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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

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schale war gewaltig bös, doch weil er so lang
seinen Dienst ordentlich versehen und weil er
auch seinen Fehler offenherzig gestanden, schenk-
te er ihm ein Tischgen deck dich. Der Schnei-
der war damit von Herzen zufrieden und mach-
te sich auf den Heimweg zu seinem Vater. Un-
terwegs kam er in ein Wirthshaus, da ließ er
sich von dem Wirth eine besondere Stube ge-
ben, sagte, er brauche kein Essen und schloß sich
ein. Der Wirth dachte, was mag der wunder-
liche Gast vorhaben, schlich sich hinauf, und
guckte durch das Schlüsselloch, da sah er wie
der Fremde einen kleinen Tisch vor sich setzte,
"Tischgen deck dich!" sprach und alsbald das
beste Essen und Trinken vor sich stehen hatte.
Der Wirth meinte, das Tischen wär noch bes-
ser für ihn selber, und in der Nacht, als der
Fremde fest schlief, holt' er es heraus, und stellte
ein anderes dahin, das ebenso aussah. Am
Morgen zog der Schneider fort und merkte
nichts von dem Betrug. Als er heim kam er-
zählte er seinem Vater sein Glück, der war
froh, und wollte gleich das Wunder probiren,
allein alles Sprechen, "Tischgen deck dich" war
umsonst, es blieb leer, und der junge Schneider
sah nun, daß er bestolen war.

Da bekam der zweite Sohn seinen Pfann-
kuchen und Heller, sollt in die Welt gehn und
es besser machen. Er kam auch zu dem Herrn

ſchale war gewaltig boͤs, doch weil er ſo lang
ſeinen Dienſt ordentlich verſehen und weil er
auch ſeinen Fehler offenherzig geſtanden, ſchenk-
te er ihm ein Tiſchgen deck dich. Der Schnei-
der war damit von Herzen zufrieden und mach-
te ſich auf den Heimweg zu ſeinem Vater. Un-
terwegs kam er in ein Wirthshaus, da ließ er
ſich von dem Wirth eine beſondere Stube ge-
ben, ſagte, er brauche kein Eſſen und ſchloß ſich
ein. Der Wirth dachte, was mag der wunder-
liche Gaſt vorhaben, ſchlich ſich hinauf, und
guckte durch das Schluͤſſelloch, da ſah er wie
der Fremde einen kleinen Tiſch vor ſich ſetzte,
„Tiſchgen deck dich!“ ſprach und alsbald das
beſte Eſſen und Trinken vor ſich ſtehen hatte.
Der Wirth meinte, das Tiſchen waͤr noch beſ-
ſer fuͤr ihn ſelber, und in der Nacht, als der
Fremde feſt ſchlief, holt' er es heraus, und ſtellte
ein anderes dahin, das ebenſo ausſah. Am
Morgen zog der Schneider fort und merkte
nichts von dem Betrug. Als er heim kam er-
zaͤhlte er ſeinem Vater ſein Gluͤck, der war
froh, und wollte gleich das Wunder probiren,
allein alles Sprechen, „Tiſchgen deck dich“ war
umſonſt, es blieb leer, und der junge Schneider
ſah nun, daß er beſtolen war.

Da bekam der zweite Sohn ſeinen Pfann-
kuchen und Heller, ſollt in die Welt gehn und
es beſſer machen. Er kam auch zu dem Herrn

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[169/0203] ſchale war gewaltig boͤs, doch weil er ſo lang ſeinen Dienſt ordentlich verſehen und weil er auch ſeinen Fehler offenherzig geſtanden, ſchenk- te er ihm ein Tiſchgen deck dich. Der Schnei- der war damit von Herzen zufrieden und mach- te ſich auf den Heimweg zu ſeinem Vater. Un- terwegs kam er in ein Wirthshaus, da ließ er ſich von dem Wirth eine beſondere Stube ge- ben, ſagte, er brauche kein Eſſen und ſchloß ſich ein. Der Wirth dachte, was mag der wunder- liche Gaſt vorhaben, ſchlich ſich hinauf, und guckte durch das Schluͤſſelloch, da ſah er wie der Fremde einen kleinen Tiſch vor ſich ſetzte, „Tiſchgen deck dich!“ ſprach und alsbald das beſte Eſſen und Trinken vor ſich ſtehen hatte. Der Wirth meinte, das Tiſchen waͤr noch beſ- ſer fuͤr ihn ſelber, und in der Nacht, als der Fremde feſt ſchlief, holt' er es heraus, und ſtellte ein anderes dahin, das ebenſo ausſah. Am Morgen zog der Schneider fort und merkte nichts von dem Betrug. Als er heim kam er- zaͤhlte er ſeinem Vater ſein Gluͤck, der war froh, und wollte gleich das Wunder probiren, allein alles Sprechen, „Tiſchgen deck dich“ war umſonſt, es blieb leer, und der junge Schneider ſah nun, daß er beſtolen war. Da bekam der zweite Sohn ſeinen Pfann- kuchen und Heller, ſollt in die Welt gehn und es beſſer machen. Er kam auch zu dem Herrn

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/203>, abgerufen am 28.11.2024.