Aufn Herbst kommen in einem Weizen- acker viel Sperlinge zusammen, allda trifft der Alte seine vier Jungen an, die führt er mit Freuden mit sich heim: "ach, meine lieben Söhne, was habt ihr mir den Sommer über Sorge gemacht, dieweil ihr ohne meine Lehre in Winde kamet; höret meine Worte, und fol- get eurem Vater, und sehet euch wohl vor: kleine Vöglein haben große Gefährlichkeit aus- zustehn!" Darauf fraget er den ältern, wo er sich den Sommer über aufgehalten, und wie er sich ernährt hätte? "Ich habe mich in den Gärten gehalten, Räuplein und Würmlein ge- sucht, bis die Kirschen reif wurden." -- "Ach! mein Sohn, sagte der Vater, die Schnabelweid ist nicht bös, aber es ist große Gefahr dabei, darum habe forthin deiner wohl Acht und son- derlich wenn Leut in Gärten umher gehn, die lange grüne Stangen tragen, die inwendig hohl sind und oben ein Löchlein haben." -- "Ja, mein Vater, wenn denn ein grün Blätt- lein aufs Löchlein mit Wachs geklebt wäre?" spricht der Sohn. -- "Wo hast du das ge- sehn?" -- "In eines Kaufmanns Garten," sagt der Junge. -- "O! mein Sohn, spricht der Vater, Kaufleut, geschwinde Leut, bist du um die Weltkinder gewesen, so hast du Welt- geschmeidigkeit genug gelernt, siehe und brauchs nur recht wohl, und trau dir nicht viele."
Aufn Herbſt kommen in einem Weizen- acker viel Sperlinge zuſammen, allda trifft der Alte ſeine vier Jungen an, die fuͤhrt er mit Freuden mit ſich heim: „ach, meine lieben Soͤhne, was habt ihr mir den Sommer uͤber Sorge gemacht, dieweil ihr ohne meine Lehre in Winde kamet; hoͤret meine Worte, und fol- get eurem Vater, und ſehet euch wohl vor: kleine Voͤglein haben große Gefaͤhrlichkeit aus- zuſtehn!“ Darauf fraget er den aͤltern, wo er ſich den Sommer uͤber aufgehalten, und wie er ſich ernaͤhrt haͤtte? „Ich habe mich in den Gaͤrten gehalten, Raͤuplein und Wuͤrmlein ge- ſucht, bis die Kirſchen reif wurden.“ — „Ach! mein Sohn, ſagte der Vater, die Schnabelweid iſt nicht boͤs, aber es iſt große Gefahr dabei, darum habe forthin deiner wohl Acht und ſon- derlich wenn Leut in Gaͤrten umher gehn, die lange gruͤne Stangen tragen, die inwendig hohl ſind und oben ein Loͤchlein haben.“ — „Ja, mein Vater, wenn denn ein gruͤn Blaͤtt- lein aufs Loͤchlein mit Wachs geklebt waͤre?“ ſpricht der Sohn. — „Wo haſt du das ge- ſehn?“ — „In eines Kaufmanns Garten,“ ſagt der Junge. — „O! mein Sohn, ſpricht der Vater, Kaufleut, geſchwinde Leut, biſt du um die Weltkinder geweſen, ſo haſt du Welt- geſchmeidigkeit genug gelernt, ſiehe und brauchs nur recht wohl, und trau dir nicht viele.“
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Aufn Herbſt kommen in einem Weizen-
acker viel Sperlinge zuſammen, allda trifft der
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Freuden mit ſich heim: „ach, meine lieben
Soͤhne, was habt ihr mir den Sommer uͤber
Sorge gemacht, dieweil ihr ohne meine Lehre
in Winde kamet; hoͤret meine Worte, und fol-
get eurem Vater, und ſehet euch wohl vor:
kleine Voͤglein haben große Gefaͤhrlichkeit aus-
zuſtehn!“ Darauf fraget er den aͤltern, wo
er ſich den Sommer uͤber aufgehalten, und wie
er ſich ernaͤhrt haͤtte? „Ich habe mich in den
Gaͤrten gehalten, Raͤuplein und Wuͤrmlein ge-
ſucht, bis die Kirſchen reif wurden.“ — „Ach!
mein Sohn, ſagte der Vater, die Schnabelweid
iſt nicht boͤs, aber es iſt große Gefahr dabei,
darum habe forthin deiner wohl Acht und ſon-
derlich wenn Leut in Gaͤrten umher gehn, die
lange gruͤne Stangen tragen, die inwendig
hohl ſind und oben ein Loͤchlein haben.“ —
„Ja, mein Vater, wenn denn ein gruͤn Blaͤtt-
lein aufs Loͤchlein mit Wachs geklebt waͤre?“
ſpricht der Sohn. — „Wo haſt du das ge-
ſehn?“ — „In eines Kaufmanns Garten,“
ſagt der Junge. — „O! mein Sohn, ſpricht
der Vater, Kaufleut, geſchwinde Leut, biſt du
um die Weltkinder geweſen, ſo haſt du Welt-
geſchmeidigkeit genug gelernt, ſiehe und brauchs
nur recht wohl, und trau dir nicht viele.“
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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/191>, abgerufen am 22.11.2024.
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