sie, und haltet mir mein Kind an die Brust, so lange bis ich ihm zu trinken gegeben habe" welches der Mann that, und darauf sagte er zu ihr: dort steht ein dicker Baum, zu dem geh hin und schlinge deine abgestumpften Arme drei- mal um ihn!" und als sie es gethan, wuchsen ihr die Hände wieder an. Darauf zeigte er ihr ein Haus: "darin wohne und geh nicht heraus und mache niemand die Thür auf, der nicht dreimal um Gotteswillen darum bittet."
Indessen war der König nach Haus gekom- men und sah ein, wie er betrogen worden war. In der Begleitung eines einzigen Dieners mach- te er sich auf, und nach einer langen Reise ver- irrte er sich endlich gerade in der Nacht in dem- selben Walde, wo die Königin wohnte, er wußte aber nicht, daß sie ihm so nah war. Dort hin- ten, sprach der Diener, glimmt ein Lichtchen in einem Haus, gottlob, da können wir ruhen. -- "ach nein, sprach der König, ich will nicht so lange rasten, und weiter nach meiner geliebten Frau suchen, eher habe ich doch keine Ruhe." Allein der Diener bat so viel und klagte so über Müdigkeit, daß der König, aus Mitleid einwilligte. Wie sie zu dem Haus kamen, schien der Mond und sie sahen die Königin am Fen- ster stehen. "Ach, das muß unsere Königin seyn, so gleicht sie ihr" sagte der Diener, aber ich sehe doch, daß sie es nicht ist, denn diese da
ſie, und haltet mir mein Kind an die Bruſt, ſo lange bis ich ihm zu trinken gegeben habe“ welches der Mann that, und darauf ſagte er zu ihr: dort ſteht ein dicker Baum, zu dem geh hin und ſchlinge deine abgeſtumpften Arme drei- mal um ihn!“ und als ſie es gethan, wuchſen ihr die Haͤnde wieder an. Darauf zeigte er ihr ein Haus: „darin wohne und geh nicht heraus und mache niemand die Thuͤr auf, der nicht dreimal um Gotteswillen darum bittet.“
Indeſſen war der Koͤnig nach Haus gekom- men und ſah ein, wie er betrogen worden war. In der Begleitung eines einzigen Dieners mach- te er ſich auf, und nach einer langen Reiſe ver- irrte er ſich endlich gerade in der Nacht in dem- ſelben Walde, wo die Koͤnigin wohnte, er wußte aber nicht, daß ſie ihm ſo nah war. Dort hin- ten, ſprach der Diener, glimmt ein Lichtchen in einem Haus, gottlob, da koͤnnen wir ruhen. — „ach nein, ſprach der Koͤnig, ich will nicht ſo lange raſten, und weiter nach meiner geliebten Frau ſuchen, eher habe ich doch keine Ruhe.“ Allein der Diener bat ſo viel und klagte ſo uͤber Muͤdigkeit, daß der Koͤnig, aus Mitleid einwilligte. Wie ſie zu dem Haus kamen, ſchien der Mond und ſie ſahen die Koͤnigin am Fen- ſter ſtehen. „Ach, das muß unſere Koͤnigin ſeyn, ſo gleicht ſie ihr“ ſagte der Diener, aber ich ſehe doch, daß ſie es nicht iſt, denn dieſe da
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ſie, und haltet mir mein Kind an die Bruſt, ſo
lange bis ich ihm zu trinken gegeben habe“
welches der Mann that, und darauf ſagte er
zu ihr: dort ſteht ein dicker Baum, zu dem geh
hin und ſchlinge deine abgeſtumpften Arme drei-
mal um ihn!“ und als ſie es gethan, wuchſen
ihr die Haͤnde wieder an. Darauf zeigte er
ihr ein Haus: „darin wohne und geh nicht
heraus und mache niemand die Thuͤr auf, der
nicht dreimal um Gotteswillen darum bittet.“
Indeſſen war der Koͤnig nach Haus gekom-
men und ſah ein, wie er betrogen worden war.
In der Begleitung eines einzigen Dieners mach-
te er ſich auf, und nach einer langen Reiſe ver-
irrte er ſich endlich gerade in der Nacht in dem-
ſelben Walde, wo die Koͤnigin wohnte, er wußte
aber nicht, daß ſie ihm ſo nah war. Dort hin-
ten, ſprach der Diener, glimmt ein Lichtchen in
einem Haus, gottlob, da koͤnnen wir ruhen. —
„ach nein, ſprach der Koͤnig, ich will nicht ſo
lange raſten, und weiter nach meiner geliebten
Frau ſuchen, eher habe ich doch keine Ruhe.“
Allein der Diener bat ſo viel und klagte ſo
uͤber Muͤdigkeit, daß der Koͤnig, aus Mitleid
einwilligte. Wie ſie zu dem Haus kamen, ſchien
der Mond und ſie ſahen die Koͤnigin am Fen-
ſter ſtehen. „Ach, das muß unſere Koͤnigin
ſeyn, ſo gleicht ſie ihr“ ſagte der Diener, aber
ich ſehe doch, daß ſie es nicht iſt, denn dieſe da
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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/171>, abgerufen am 25.11.2024.
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