Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Aschenputtel die Linsen rein gelesen, waren sie
böse, denn sie wollten es gern schelten, und da
sie das nicht konnten, huben sie an von dem
Ball zu erzählen und sagten: "Aschenputtel,
das ist eine Lust gewesen, bei dem Tanz, der
Prinz, der allerschönste auf der Welt hat uns
dazu geführt, und eine von uns wird seine Ge-
mahlin werden." -- "Ja, sagte Aschenputtel,
ich habe die Lichter flimmern sehen, das mag
recht prächtig gewesen seyn." -- "Ei! wie hast
du das angefangen," fragte die älteste. --
"Ich hab' oben auf den Taubenstall gestan-
den." -- Wie sie das hörte, trieb sie der Neid
und sie befahl, daß der Taubenstall gleich sollte
niedergerissen werden.

Aschenputtel aber mußte sie wieder käm-
men und putzen; da sagte die jüngste, die noch
ein wenig Mitleid im Herzen hatte: "Aschen-
puttel, wenns dunkel ist, kannst du hinzugehen
und von außen durch die Fenster gucken!" --
"Nein, sagte die älteste, das macht sie nur
faul, da hast du einen Sack voll Wicken,
Aschenputtel, da lese die guten und bösen aus-
einander und sey fleißig, und wenn du sie mor-
gen nicht rein hast, so schütte ich dir sie in die
Asche und du mußt hungern, bis du sie alle
herausgesucht hast."

Aschenputtel setzte sich betrübt auf den
Heerd und schüttete die Wicken aus. Da flogen

Aſchenputtel die Linſen rein geleſen, waren ſie
boͤſe, denn ſie wollten es gern ſchelten, und da
ſie das nicht konnten, huben ſie an von dem
Ball zu erzaͤhlen und ſagten: „Aſchenputtel,
das iſt eine Luſt geweſen, bei dem Tanz, der
Prinz, der allerſchoͤnſte auf der Welt hat uns
dazu gefuͤhrt, und eine von uns wird ſeine Ge-
mahlin werden.“ — „Ja, ſagte Aſchenputtel,
ich habe die Lichter flimmern ſehen, das mag
recht praͤchtig geweſen ſeyn.“ — „Ei! wie haſt
du das angefangen,“ fragte die aͤlteſte. —
„Ich hab' oben auf den Taubenſtall geſtan-
den.“ — Wie ſie das hoͤrte, trieb ſie der Neid
und ſie befahl, daß der Taubenſtall gleich ſollte
niedergeriſſen werden.

Aſchenputtel aber mußte ſie wieder kaͤm-
men und putzen; da ſagte die juͤngſte, die noch
ein wenig Mitleid im Herzen hatte: „Aſchen-
puttel, wenns dunkel iſt, kannſt du hinzugehen
und von außen durch die Fenſter gucken!“ —
„Nein, ſagte die aͤlteſte, das macht ſie nur
faul, da haſt du einen Sack voll Wicken,
Aſchenputtel, da leſe die guten und boͤſen aus-
einander und ſey fleißig, und wenn du ſie mor-
gen nicht rein haſt, ſo ſchuͤtte ich dir ſie in die
Aſche und du mußt hungern, bis du ſie alle
herausgeſucht haſt.“

Aſchenputtel ſetzte ſich betruͤbt auf den
Heerd und ſchuͤttete die Wicken aus. Da flogen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0126" n="92"/>
A&#x017F;chenputtel die Lin&#x017F;en rein gele&#x017F;en, waren &#x017F;ie<lb/>
bo&#x0364;&#x017F;e, denn &#x017F;ie wollten es gern &#x017F;chelten, und da<lb/>
&#x017F;ie das nicht konnten, huben &#x017F;ie an von dem<lb/>
Ball zu erza&#x0364;hlen und &#x017F;agten: &#x201E;A&#x017F;chenputtel,<lb/>
das i&#x017F;t eine Lu&#x017F;t gewe&#x017F;en, bei dem Tanz, der<lb/>
Prinz, der aller&#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te auf der Welt hat uns<lb/>
dazu gefu&#x0364;hrt, und eine von uns wird &#x017F;eine Ge-<lb/>
mahlin werden.&#x201C; &#x2014; &#x201E;Ja, &#x017F;agte A&#x017F;chenputtel,<lb/>
ich habe die Lichter flimmern &#x017F;ehen, das mag<lb/>
recht pra&#x0364;chtig gewe&#x017F;en &#x017F;eyn.&#x201C; &#x2014; &#x201E;Ei! wie ha&#x017F;t<lb/>
du das angefangen,&#x201C; fragte die a&#x0364;lte&#x017F;te. &#x2014;<lb/>
&#x201E;Ich hab' oben auf den Tauben&#x017F;tall ge&#x017F;tan-<lb/>
den.&#x201C; &#x2014; Wie &#x017F;ie das ho&#x0364;rte, trieb &#x017F;ie der Neid<lb/>
und &#x017F;ie befahl, daß der Tauben&#x017F;tall gleich &#x017F;ollte<lb/>
niedergeri&#x017F;&#x017F;en werden.</p><lb/>
        <p>A&#x017F;chenputtel aber mußte &#x017F;ie wieder ka&#x0364;m-<lb/>
men und putzen; da &#x017F;agte die ju&#x0364;ng&#x017F;te, die noch<lb/>
ein wenig Mitleid im Herzen hatte: &#x201E;A&#x017F;chen-<lb/>
puttel, wenns dunkel i&#x017F;t, kann&#x017F;t du hinzugehen<lb/>
und von außen durch die Fen&#x017F;ter gucken!&#x201C; &#x2014;<lb/>
&#x201E;Nein, &#x017F;agte die a&#x0364;lte&#x017F;te, das macht &#x017F;ie nur<lb/>
faul, da ha&#x017F;t du einen Sack voll Wicken,<lb/>
A&#x017F;chenputtel, da le&#x017F;e die guten und bo&#x0364;&#x017F;en aus-<lb/>
einander und &#x017F;ey fleißig, und wenn du &#x017F;ie mor-<lb/>
gen nicht rein ha&#x017F;t, &#x017F;o &#x017F;chu&#x0364;tte ich dir &#x017F;ie in die<lb/>
A&#x017F;che und du mußt hungern, bis du &#x017F;ie alle<lb/>
herausge&#x017F;ucht ha&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
        <p>A&#x017F;chenputtel &#x017F;etzte &#x017F;ich betru&#x0364;bt auf den<lb/>
Heerd und &#x017F;chu&#x0364;ttete die Wicken aus. Da flogen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[92/0126] Aſchenputtel die Linſen rein geleſen, waren ſie boͤſe, denn ſie wollten es gern ſchelten, und da ſie das nicht konnten, huben ſie an von dem Ball zu erzaͤhlen und ſagten: „Aſchenputtel, das iſt eine Luſt geweſen, bei dem Tanz, der Prinz, der allerſchoͤnſte auf der Welt hat uns dazu gefuͤhrt, und eine von uns wird ſeine Ge- mahlin werden.“ — „Ja, ſagte Aſchenputtel, ich habe die Lichter flimmern ſehen, das mag recht praͤchtig geweſen ſeyn.“ — „Ei! wie haſt du das angefangen,“ fragte die aͤlteſte. — „Ich hab' oben auf den Taubenſtall geſtan- den.“ — Wie ſie das hoͤrte, trieb ſie der Neid und ſie befahl, daß der Taubenſtall gleich ſollte niedergeriſſen werden. Aſchenputtel aber mußte ſie wieder kaͤm- men und putzen; da ſagte die juͤngſte, die noch ein wenig Mitleid im Herzen hatte: „Aſchen- puttel, wenns dunkel iſt, kannſt du hinzugehen und von außen durch die Fenſter gucken!“ — „Nein, ſagte die aͤlteſte, das macht ſie nur faul, da haſt du einen Sack voll Wicken, Aſchenputtel, da leſe die guten und boͤſen aus- einander und ſey fleißig, und wenn du ſie mor- gen nicht rein haſt, ſo ſchuͤtte ich dir ſie in die Aſche und du mußt hungern, bis du ſie alle herausgeſucht haſt.“ Aſchenputtel ſetzte ſich betruͤbt auf den Heerd und ſchuͤttete die Wicken aus. Da flogen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/126
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/126>, abgerufen am 22.11.2024.