Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

derlein ward bös, ergriff einen großen Tuchlap-
pen und: "euch will ichs geben" schlug es drauf.
Darnach zog es ab und zählte, wie viel es ge-
troffen, da lagen neun und zwanzig todt vor
ihm. "Bist du so ein Kerl!" sprach es und
verwundert sich über sich selbst und in der Freu-
de seines Herzens nähte es sich einen Gürtel
und stickte darauf: 29 auf einen Streich!
"Du mußt in die Welt hinein!" dacht das
Schneiderlein, band sich den Gürtel um den
Leib und sucht' im Haus, ob nichts da wär zum
mitnehmen, da fand es einen alten Käs, den
steckt' es in die Tasche, unterwegs fing es einen
Vogel, der mußte auch hinein. Das Schneider-
lein stieg auf einen hohen Berg, wie es oben
hin kam, saß da auf der Spitze ein großer Riese,
zu dem sprach es: "Cammerad, wie gehts, ihr
seht euch wohl hier oben in der Welt um, ich
will mich auch hinein begeben." Der Riese aber
blickte ihn verächtlich an und sprach: "du bist
ein miserabeler Kerl." Das Schneiderlein knöpf-
te seinen Rock auf, zeigte dem Riesen den Gür-
tel: "da kannst du sehen, was du für einen
Mann vor dir hast." Der Riese las die Worte:
29 auf einen Streich! und weil er meinte 29
Menschen auf einen Streich erschlagen, fing er
an Respect vor dem Schneiderlein zu kriegen,
doch wollt er es erst prüfen. Da nahm er ei-
nen Stein und drückte ihn so stark, daß das

derlein ward boͤs, ergriff einen großen Tuchlap-
pen und: „euch will ichs geben“ ſchlug es drauf.
Darnach zog es ab und zaͤhlte, wie viel es ge-
troffen, da lagen neun und zwanzig todt vor
ihm. „Biſt du ſo ein Kerl!“ ſprach es und
verwundert ſich uͤber ſich ſelbſt und in der Freu-
de ſeines Herzens naͤhte es ſich einen Guͤrtel
und ſtickte darauf: 29 auf einen Streich!
„Du mußt in die Welt hinein!“ dacht das
Schneiderlein, band ſich den Guͤrtel um den
Leib und ſucht' im Haus, ob nichts da waͤr zum
mitnehmen, da fand es einen alten Kaͤs, den
ſteckt' es in die Taſche, unterwegs fing es einen
Vogel, der mußte auch hinein. Das Schneider-
lein ſtieg auf einen hohen Berg, wie es oben
hin kam, ſaß da auf der Spitze ein großer Rieſe,
zu dem ſprach es: „Cammerad, wie gehts, ihr
ſeht euch wohl hier oben in der Welt um, ich
will mich auch hinein begeben.“ Der Rieſe aber
blickte ihn veraͤchtlich an und ſprach: „du biſt
ein miſerabeler Kerl.“ Das Schneiderlein knoͤpf-
te ſeinen Rock auf, zeigte dem Rieſen den Guͤr-
tel: „da kannſt du ſehen, was du fuͤr einen
Mann vor dir haſt.“ Der Rieſe las die Worte:
29 auf einen Streich! und weil er meinte 29
Menſchen auf einen Streich erſchlagen, fing er
an Reſpect vor dem Schneiderlein zu kriegen,
doch wollt er es erſt pruͤfen. Da nahm er ei-
nen Stein und druͤckte ihn ſo ſtark, daß das

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0120" n="86"/>
derlein ward bo&#x0364;s, ergriff einen großen Tuchlap-<lb/>
pen und: &#x201E;euch will ichs geben&#x201C; &#x017F;chlug es drauf.<lb/>
Darnach zog es ab und za&#x0364;hlte, wie viel es ge-<lb/>
troffen, da lagen neun und zwanzig todt vor<lb/>
ihm. &#x201E;Bi&#x017F;t du &#x017F;o ein Kerl!&#x201C; &#x017F;prach es und<lb/>
verwundert &#x017F;ich u&#x0364;ber &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t und in der Freu-<lb/>
de &#x017F;eines Herzens na&#x0364;hte es &#x017F;ich einen Gu&#x0364;rtel<lb/>
und &#x017F;tickte darauf: 29 <hi rendition="#g">auf einen Streich</hi>!<lb/>
&#x201E;Du mußt in die Welt hinein!&#x201C; dacht das<lb/>
Schneiderlein, band &#x017F;ich den Gu&#x0364;rtel um den<lb/>
Leib und &#x017F;ucht' im Haus, ob nichts da wa&#x0364;r zum<lb/>
mitnehmen, da fand es einen alten Ka&#x0364;s, den<lb/>
&#x017F;teckt' es in die Ta&#x017F;che, unterwegs fing es einen<lb/>
Vogel, der mußte auch hinein. Das Schneider-<lb/>
lein &#x017F;tieg auf einen hohen Berg, wie es oben<lb/>
hin kam, &#x017F;aß da auf der Spitze ein großer Rie&#x017F;e,<lb/>
zu dem &#x017F;prach es: &#x201E;Cammerad, wie gehts, ihr<lb/>
&#x017F;eht euch wohl hier oben in der Welt um, ich<lb/>
will mich auch hinein begeben.&#x201C; Der Rie&#x017F;e aber<lb/>
blickte ihn vera&#x0364;chtlich an und &#x017F;prach: &#x201E;du bi&#x017F;t<lb/>
ein mi&#x017F;erabeler Kerl.&#x201C; Das Schneiderlein kno&#x0364;pf-<lb/>
te &#x017F;einen Rock auf, zeigte dem Rie&#x017F;en den Gu&#x0364;r-<lb/>
tel: &#x201E;da kann&#x017F;t du &#x017F;ehen, was du fu&#x0364;r einen<lb/>
Mann vor dir ha&#x017F;t.&#x201C; Der Rie&#x017F;e las die Worte:<lb/>
29 auf einen Streich! und weil er meinte 29<lb/>
Men&#x017F;chen auf einen Streich er&#x017F;chlagen, fing er<lb/>
an Re&#x017F;pect vor dem Schneiderlein zu kriegen,<lb/>
doch wollt er es er&#x017F;t pru&#x0364;fen. Da nahm er ei-<lb/>
nen Stein und dru&#x0364;ckte ihn &#x017F;o &#x017F;tark, daß das<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[86/0120] derlein ward boͤs, ergriff einen großen Tuchlap- pen und: „euch will ichs geben“ ſchlug es drauf. Darnach zog es ab und zaͤhlte, wie viel es ge- troffen, da lagen neun und zwanzig todt vor ihm. „Biſt du ſo ein Kerl!“ ſprach es und verwundert ſich uͤber ſich ſelbſt und in der Freu- de ſeines Herzens naͤhte es ſich einen Guͤrtel und ſtickte darauf: 29 auf einen Streich! „Du mußt in die Welt hinein!“ dacht das Schneiderlein, band ſich den Guͤrtel um den Leib und ſucht' im Haus, ob nichts da waͤr zum mitnehmen, da fand es einen alten Kaͤs, den ſteckt' es in die Taſche, unterwegs fing es einen Vogel, der mußte auch hinein. Das Schneider- lein ſtieg auf einen hohen Berg, wie es oben hin kam, ſaß da auf der Spitze ein großer Rieſe, zu dem ſprach es: „Cammerad, wie gehts, ihr ſeht euch wohl hier oben in der Welt um, ich will mich auch hinein begeben.“ Der Rieſe aber blickte ihn veraͤchtlich an und ſprach: „du biſt ein miſerabeler Kerl.“ Das Schneiderlein knoͤpf- te ſeinen Rock auf, zeigte dem Rieſen den Guͤr- tel: „da kannſt du ſehen, was du fuͤr einen Mann vor dir haſt.“ Der Rieſe las die Worte: 29 auf einen Streich! und weil er meinte 29 Menſchen auf einen Streich erſchlagen, fing er an Reſpect vor dem Schneiderlein zu kriegen, doch wollt er es erſt pruͤfen. Da nahm er ei- nen Stein und druͤckte ihn ſo ſtark, daß das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/120
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/120>, abgerufen am 24.11.2024.