Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

zessin haben wolle, der solle ausführen, was sie
ihm aufgeben werde, sey er hernach nicht im
Stande, habe er sein Leben verloren. Es wa-
ren aber schon viele Prinzen da gewesen, die
waren alle dabei umgekommen, daß niemand
sich mehr daran wagen wollte; da ließ es die
Prinzessin von neuem bekannt machen. Der
Jüngling gedachte, er woll' es wagen und mel-
dete sich als Freier. Da ward er hinaus ans
Meer geführt, und ein Ring hinabgeworfen,
den sollt er wiederholen, und wenn er aus
dem Wasser heraufkäme ohne den Ring, werde
er wieder hineingestürzt und müsse darin ster-
ben. Wie er aber am Ufer stand, kamen die
Fische, die er aus dem Rohr in das Wasser
geworfen hatte, und der mittelste hatte eine
Muschel im Munde, darin lag der Ring, die
Muschel legte er zu seinen Füßen an den
Strand. Da war der Jüngling froh, brachte
dem König den Ring und verlangte die Prin-
zessin. Die Prinzessin aber, als sie hörte, daß
es kein Prinz sey, wollte ihn nicht, sie schütte-
te zehn Säcke Hirsen ins Gras: die solle er
erst auflesen, daß kein Körnchen fehle, ehe die
Morgensonne aufgegangen. Da kam der Amei-
senkönig mit alle seinen Ameisen, die der Jüng-
ling geschont hatte und lasen in der Nacht al-
len Hirsen auf, und trugen ihn in die Säcke,
und vor Sonnenaufgang waren sie fertig. Wie

zeſſin haben wolle, der ſolle ausfuͤhren, was ſie
ihm aufgeben werde, ſey er hernach nicht im
Stande, habe er ſein Leben verloren. Es wa-
ren aber ſchon viele Prinzen da geweſen, die
waren alle dabei umgekommen, daß niemand
ſich mehr daran wagen wollte; da ließ es die
Prinzeſſin von neuem bekannt machen. Der
Juͤngling gedachte, er woll' es wagen und mel-
dete ſich als Freier. Da ward er hinaus ans
Meer gefuͤhrt, und ein Ring hinabgeworfen,
den ſollt er wiederholen, und wenn er aus
dem Waſſer heraufkaͤme ohne den Ring, werde
er wieder hineingeſtuͤrzt und muͤſſe darin ſter-
ben. Wie er aber am Ufer ſtand, kamen die
Fiſche, die er aus dem Rohr in das Waſſer
geworfen hatte, und der mittelſte hatte eine
Muſchel im Munde, darin lag der Ring, die
Muſchel legte er zu ſeinen Fuͤßen an den
Strand. Da war der Juͤngling froh, brachte
dem Koͤnig den Ring und verlangte die Prin-
zeſſin. Die Prinzeſſin aber, als ſie hoͤrte, daß
es kein Prinz ſey, wollte ihn nicht, ſie ſchuͤtte-
te zehn Saͤcke Hirſen ins Gras: die ſolle er
erſt aufleſen, daß kein Koͤrnchen fehle, ehe die
Morgenſonne aufgegangen. Da kam der Amei-
ſenkoͤnig mit alle ſeinen Ameiſen, die der Juͤng-
ling geſchont hatte und laſen in der Nacht al-
len Hirſen auf, und trugen ihn in die Saͤcke,
und vor Sonnenaufgang waren ſie fertig. Wie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0100" n="66"/>
ze&#x017F;&#x017F;in haben wolle, der &#x017F;olle ausfu&#x0364;hren, was &#x017F;ie<lb/>
ihm aufgeben werde, &#x017F;ey er hernach nicht im<lb/>
Stande, habe er &#x017F;ein Leben verloren. Es wa-<lb/>
ren aber &#x017F;chon viele Prinzen da gewe&#x017F;en, die<lb/>
waren alle dabei umgekommen, daß niemand<lb/>
&#x017F;ich mehr daran wagen wollte; da ließ es die<lb/>
Prinze&#x017F;&#x017F;in von neuem bekannt machen. Der<lb/>
Ju&#x0364;ngling gedachte, er woll' es wagen und mel-<lb/>
dete &#x017F;ich als Freier. Da ward er hinaus ans<lb/>
Meer gefu&#x0364;hrt, und ein Ring hinabgeworfen,<lb/>
den &#x017F;ollt er wiederholen, und wenn er aus<lb/>
dem Wa&#x017F;&#x017F;er heraufka&#x0364;me ohne den Ring, werde<lb/>
er wieder hineinge&#x017F;tu&#x0364;rzt und mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e darin &#x017F;ter-<lb/>
ben. Wie er aber am Ufer &#x017F;tand, kamen die<lb/>
Fi&#x017F;che, die er aus dem Rohr in das Wa&#x017F;&#x017F;er<lb/>
geworfen hatte, und der mittel&#x017F;te hatte eine<lb/>
Mu&#x017F;chel im Munde, darin lag der Ring, die<lb/>
Mu&#x017F;chel legte er zu &#x017F;einen Fu&#x0364;ßen an den<lb/>
Strand. Da war der Ju&#x0364;ngling froh, brachte<lb/>
dem Ko&#x0364;nig den Ring und verlangte die Prin-<lb/>
ze&#x017F;&#x017F;in. Die Prinze&#x017F;&#x017F;in aber, als &#x017F;ie ho&#x0364;rte, daß<lb/>
es kein Prinz &#x017F;ey, wollte ihn nicht, &#x017F;ie &#x017F;chu&#x0364;tte-<lb/>
te zehn Sa&#x0364;cke Hir&#x017F;en ins Gras: die &#x017F;olle er<lb/>
er&#x017F;t aufle&#x017F;en, daß kein Ko&#x0364;rnchen fehle, ehe die<lb/>
Morgen&#x017F;onne aufgegangen. Da kam der Amei-<lb/>
&#x017F;enko&#x0364;nig mit alle &#x017F;einen Amei&#x017F;en, die der Ju&#x0364;ng-<lb/>
ling ge&#x017F;chont hatte und la&#x017F;en in der Nacht al-<lb/>
len Hir&#x017F;en auf, und trugen ihn in die Sa&#x0364;cke,<lb/>
und vor Sonnenaufgang waren &#x017F;ie fertig. Wie<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[66/0100] zeſſin haben wolle, der ſolle ausfuͤhren, was ſie ihm aufgeben werde, ſey er hernach nicht im Stande, habe er ſein Leben verloren. Es wa- ren aber ſchon viele Prinzen da geweſen, die waren alle dabei umgekommen, daß niemand ſich mehr daran wagen wollte; da ließ es die Prinzeſſin von neuem bekannt machen. Der Juͤngling gedachte, er woll' es wagen und mel- dete ſich als Freier. Da ward er hinaus ans Meer gefuͤhrt, und ein Ring hinabgeworfen, den ſollt er wiederholen, und wenn er aus dem Waſſer heraufkaͤme ohne den Ring, werde er wieder hineingeſtuͤrzt und muͤſſe darin ſter- ben. Wie er aber am Ufer ſtand, kamen die Fiſche, die er aus dem Rohr in das Waſſer geworfen hatte, und der mittelſte hatte eine Muſchel im Munde, darin lag der Ring, die Muſchel legte er zu ſeinen Fuͤßen an den Strand. Da war der Juͤngling froh, brachte dem Koͤnig den Ring und verlangte die Prin- zeſſin. Die Prinzeſſin aber, als ſie hoͤrte, daß es kein Prinz ſey, wollte ihn nicht, ſie ſchuͤtte- te zehn Saͤcke Hirſen ins Gras: die ſolle er erſt aufleſen, daß kein Koͤrnchen fehle, ehe die Morgenſonne aufgegangen. Da kam der Amei- ſenkoͤnig mit alle ſeinen Ameiſen, die der Juͤng- ling geſchont hatte und laſen in der Nacht al- len Hirſen auf, und trugen ihn in die Saͤcke, und vor Sonnenaufgang waren ſie fertig. Wie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/100
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/100>, abgerufen am 25.11.2024.