Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Tage darüber hingehen. -- Das brächte schon jedenfalls die Schicklichkeit von selbst mit sich, antwortete die alte Frau, küßte des Mädchens Stirn und ging leise über den Teppich hinaus. Therese blieb an ihrem Tische sitzen. Sie hatte den Brief bei Seite geschoben. Auf dem Schreibtische lagen nicht weniger als ein halbes Dutzend blanke, große Pinienzapfen, die ihr Emma geschickt hatte. Sie nahm einen nach dem andern, roch daran, streichelte ihn und legte ihn wieder an seine Stelle. Ein Bedienter trat mit einer Karte herein. Der Herr wartete unten. Sie las den Namen und stieß einen Schrei aus. Gleich soll er herein kommen! Der Bediente ging, sie sprang auf nach der Thür und zog mit beiden Händen Albert herein. Er war ungemein freundlich und frisch von der Kälte, aber er sah ein wenig anders aus; er hatte einen gewissen Zug über den Augen und einen um den Mund, die sie sogleich bemerkte und die sogleich ihre Stimmung in der Gewalt hatten. Hier ist ein Brief für dich, liebe Therese, sagte er. Vor allen Dingen lies ihn erst, ich wärme mich so lange dort ein wenig. Damit setzte er sich in den großen Stuhl, welcher dem Ofen zugewandt war. Therese erkannte ihrer Schwester Hand, brach auf und las, und da sie im Stehen begonnen hatte, setzte sie sich während des Lesens nieder, und nach einer Weile stützte sie den Kopf in die Hand und sah über den Brief hinaus auf den glatten Tisch, während eine Tage darüber hingehen. — Das brächte schon jedenfalls die Schicklichkeit von selbst mit sich, antwortete die alte Frau, küßte des Mädchens Stirn und ging leise über den Teppich hinaus. Therese blieb an ihrem Tische sitzen. Sie hatte den Brief bei Seite geschoben. Auf dem Schreibtische lagen nicht weniger als ein halbes Dutzend blanke, große Pinienzapfen, die ihr Emma geschickt hatte. Sie nahm einen nach dem andern, roch daran, streichelte ihn und legte ihn wieder an seine Stelle. Ein Bedienter trat mit einer Karte herein. Der Herr wartete unten. Sie las den Namen und stieß einen Schrei aus. Gleich soll er herein kommen! Der Bediente ging, sie sprang auf nach der Thür und zog mit beiden Händen Albert herein. Er war ungemein freundlich und frisch von der Kälte, aber er sah ein wenig anders aus; er hatte einen gewissen Zug über den Augen und einen um den Mund, die sie sogleich bemerkte und die sogleich ihre Stimmung in der Gewalt hatten. Hier ist ein Brief für dich, liebe Therese, sagte er. Vor allen Dingen lies ihn erst, ich wärme mich so lange dort ein wenig. Damit setzte er sich in den großen Stuhl, welcher dem Ofen zugewandt war. Therese erkannte ihrer Schwester Hand, brach auf und las, und da sie im Stehen begonnen hatte, setzte sie sich während des Lesens nieder, und nach einer Weile stützte sie den Kopf in die Hand und sah über den Brief hinaus auf den glatten Tisch, während eine <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0076"/> Tage darüber hingehen. — Das brächte schon jedenfalls die Schicklichkeit von selbst mit sich, antwortete die alte Frau, küßte des Mädchens Stirn und ging leise über den Teppich hinaus. Therese blieb an ihrem Tische sitzen. Sie hatte den Brief bei Seite geschoben. Auf dem Schreibtische lagen nicht weniger als ein halbes Dutzend blanke, große Pinienzapfen, die ihr Emma geschickt hatte. Sie nahm einen nach dem andern, roch daran, streichelte ihn und legte ihn wieder an seine Stelle.</p><lb/> <p>Ein Bedienter trat mit einer Karte herein. Der Herr wartete unten. Sie las den Namen und stieß einen Schrei aus. Gleich soll er herein kommen! Der Bediente ging, sie sprang auf nach der Thür und zog mit beiden Händen Albert herein. Er war ungemein freundlich und frisch von der Kälte, aber er sah ein wenig anders aus; er hatte einen gewissen Zug über den Augen und einen um den Mund, die sie sogleich bemerkte und die sogleich ihre Stimmung in der Gewalt hatten. Hier ist ein Brief für dich, liebe Therese, sagte er. Vor allen Dingen lies ihn erst, ich wärme mich so lange dort ein wenig. Damit setzte er sich in den großen Stuhl, welcher dem Ofen zugewandt war. Therese erkannte ihrer Schwester Hand, brach auf und las, und da sie im Stehen begonnen hatte, setzte sie sich während des Lesens nieder, und nach einer Weile stützte sie den Kopf in die Hand und sah über den Brief hinaus auf den glatten Tisch, während eine<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0076]
Tage darüber hingehen. — Das brächte schon jedenfalls die Schicklichkeit von selbst mit sich, antwortete die alte Frau, küßte des Mädchens Stirn und ging leise über den Teppich hinaus. Therese blieb an ihrem Tische sitzen. Sie hatte den Brief bei Seite geschoben. Auf dem Schreibtische lagen nicht weniger als ein halbes Dutzend blanke, große Pinienzapfen, die ihr Emma geschickt hatte. Sie nahm einen nach dem andern, roch daran, streichelte ihn und legte ihn wieder an seine Stelle.
Ein Bedienter trat mit einer Karte herein. Der Herr wartete unten. Sie las den Namen und stieß einen Schrei aus. Gleich soll er herein kommen! Der Bediente ging, sie sprang auf nach der Thür und zog mit beiden Händen Albert herein. Er war ungemein freundlich und frisch von der Kälte, aber er sah ein wenig anders aus; er hatte einen gewissen Zug über den Augen und einen um den Mund, die sie sogleich bemerkte und die sogleich ihre Stimmung in der Gewalt hatten. Hier ist ein Brief für dich, liebe Therese, sagte er. Vor allen Dingen lies ihn erst, ich wärme mich so lange dort ein wenig. Damit setzte er sich in den großen Stuhl, welcher dem Ofen zugewandt war. Therese erkannte ihrer Schwester Hand, brach auf und las, und da sie im Stehen begonnen hatte, setzte sie sich während des Lesens nieder, und nach einer Weile stützte sie den Kopf in die Hand und sah über den Brief hinaus auf den glatten Tisch, während eine
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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-15T10:24:04Z)
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Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
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