Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Grund aus zu genießen, denn die meisten erholten sich von langjährigen Mühen, aus denen sie endlich geflüchtet waren. Dies die älteren, die jüngeren aber sammelten begierig für ein langes Leben Kenntnisse und beglückende Erinnerung. Allen aber war Emma lieb, sie wetteiferten, ihr den unendlichen Vorrath der Dinge zu erklären, jedes liebliche Bild strahlte aus ihr zurück, und ihre Augen lernten allmählich das Richtige finden. Das dauerte vom Morgen bis zum Abend. Wie rollte es sich leicht in den Wagen durch die Campagna, wie ritt es sich lustig durch die gebirgigen Wege, wie ging es sich leicht in den Gärten, und Abends, welch ein Leben! Man sprach, man hörte Musik, man tanzte, oder die Säle mit den Statuen wurden bei Fackellicht betrachtet, und dann die Stadt selbst im Mondschein, und am andern Tage sprangen schon früh Morgens die unermüdlichen Fontaine im Sonnenglanze und lockten sie, ihrem Rauschen zuzuhören. Der Winter ging so hin, er war ungewöhnlich milde gewesen. Sie dachten, seine Strenge würde erst in vollem Maße eintreten, als schon überall die Knospen wieder sprangen und die Wärme zunahm. Man war eines Abends in der Soiree bei einer französischen Familie, welche an bestimmten Tagen offenes Haus hielt, und zu der sich die Welt drängte. Plötzlich sah Heinrich seine Schwester durch die Menge Grund aus zu genießen, denn die meisten erholten sich von langjährigen Mühen, aus denen sie endlich geflüchtet waren. Dies die älteren, die jüngeren aber sammelten begierig für ein langes Leben Kenntnisse und beglückende Erinnerung. Allen aber war Emma lieb, sie wetteiferten, ihr den unendlichen Vorrath der Dinge zu erklären, jedes liebliche Bild strahlte aus ihr zurück, und ihre Augen lernten allmählich das Richtige finden. Das dauerte vom Morgen bis zum Abend. Wie rollte es sich leicht in den Wagen durch die Campagna, wie ritt es sich lustig durch die gebirgigen Wege, wie ging es sich leicht in den Gärten, und Abends, welch ein Leben! Man sprach, man hörte Musik, man tanzte, oder die Säle mit den Statuen wurden bei Fackellicht betrachtet, und dann die Stadt selbst im Mondschein, und am andern Tage sprangen schon früh Morgens die unermüdlichen Fontaine im Sonnenglanze und lockten sie, ihrem Rauschen zuzuhören. Der Winter ging so hin, er war ungewöhnlich milde gewesen. Sie dachten, seine Strenge würde erst in vollem Maße eintreten, als schon überall die Knospen wieder sprangen und die Wärme zunahm. Man war eines Abends in der Soiree bei einer französischen Familie, welche an bestimmten Tagen offenes Haus hielt, und zu der sich die Welt drängte. Plötzlich sah Heinrich seine Schwester durch die Menge <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0054"/> Grund aus zu genießen, denn die meisten erholten sich von langjährigen Mühen, aus denen sie endlich geflüchtet waren. Dies die älteren, die jüngeren aber sammelten begierig für ein langes Leben Kenntnisse und beglückende Erinnerung. Allen aber war Emma lieb, sie wetteiferten, ihr den unendlichen Vorrath der Dinge zu erklären, jedes liebliche Bild strahlte aus ihr zurück, und ihre Augen lernten allmählich das Richtige finden.</p><lb/> <p>Das dauerte vom Morgen bis zum Abend. Wie rollte es sich leicht in den Wagen durch die Campagna, wie ritt es sich lustig durch die gebirgigen Wege, wie ging es sich leicht in den Gärten, und Abends, welch ein Leben! Man sprach, man hörte Musik, man tanzte, oder die Säle mit den Statuen wurden bei Fackellicht betrachtet, und dann die Stadt selbst im Mondschein, und am andern Tage sprangen schon früh Morgens die unermüdlichen Fontaine im Sonnenglanze und lockten sie, ihrem Rauschen zuzuhören.</p><lb/> <p>Der Winter ging so hin, er war ungewöhnlich milde gewesen. Sie dachten, seine Strenge würde erst in vollem Maße eintreten, als schon überall die Knospen wieder sprangen und die Wärme zunahm.</p><lb/> <p>Man war eines Abends in der Soiree bei einer französischen Familie, welche an bestimmten Tagen offenes Haus hielt, und zu der sich die Welt drängte. Plötzlich sah Heinrich seine Schwester durch die Menge<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0054]
Grund aus zu genießen, denn die meisten erholten sich von langjährigen Mühen, aus denen sie endlich geflüchtet waren. Dies die älteren, die jüngeren aber sammelten begierig für ein langes Leben Kenntnisse und beglückende Erinnerung. Allen aber war Emma lieb, sie wetteiferten, ihr den unendlichen Vorrath der Dinge zu erklären, jedes liebliche Bild strahlte aus ihr zurück, und ihre Augen lernten allmählich das Richtige finden.
Das dauerte vom Morgen bis zum Abend. Wie rollte es sich leicht in den Wagen durch die Campagna, wie ritt es sich lustig durch die gebirgigen Wege, wie ging es sich leicht in den Gärten, und Abends, welch ein Leben! Man sprach, man hörte Musik, man tanzte, oder die Säle mit den Statuen wurden bei Fackellicht betrachtet, und dann die Stadt selbst im Mondschein, und am andern Tage sprangen schon früh Morgens die unermüdlichen Fontaine im Sonnenglanze und lockten sie, ihrem Rauschen zuzuhören.
Der Winter ging so hin, er war ungewöhnlich milde gewesen. Sie dachten, seine Strenge würde erst in vollem Maße eintreten, als schon überall die Knospen wieder sprangen und die Wärme zunahm.
Man war eines Abends in der Soiree bei einer französischen Familie, welche an bestimmten Tagen offenes Haus hielt, und zu der sich die Welt drängte. Plötzlich sah Heinrich seine Schwester durch die Menge
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Zitationshilfe: | Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_kind_1910/54>, abgerufen am 16.07.2024. |