Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Emil fühlte das Beschämende dieser Worte, aber dennoch empfand er dunkel, daß es darauf abgesehen war, ihn zu beschämen, und ein leiser Unwille darüber, daß auf diese Weise seine Ehre ins Spiel gezogen war, hielt den Rest des Muthes aufrecht, der ihn sonst völlig verlassen haben würde. Und als eine Stille eintrat und er mit seiner Antwort zögernd neben ihm weiter schritt, da ward ihm immer mehr offenbar, daß diese Offenherzigkeit nichts gewesen als die klügste Politik, und dieser Mißbrauch des Gefühls erbitterte ihn. Würdest du zu so plötzlicher Sanftmuth umgesprungen sein? fragte er sich, du? wenn es sich um die Geliebte gehandelt? um Emma? Ihre Antwort, sagte Albert. -- Gut, ich will offen sein, rief jener aus; sei dem allem wie ihm sei, ich liebe sie dennoch und Sie lieben sie nicht! Trennen wir uns hier, erwiderte nun schneidend sein Gegner. Vielleicht kommt Ihnen einmal der Gedanke, wie ich gegen Sie war, und wie Sie mir vergolten haben. Er wollte ihn verlassen, aber Emil hielt ihn zurück. Sie haben die Wahrheit verlangt, ich habe sie ausgesprochen. Sie sagen, daß sie mich nicht liebt; ich aber liebe sie, da giebt es kein Ende -- kein Aufhören. Eher wollte ich mein Leben lassen, als die Hoffnung, sie einst zu besitzen. Sie sind ruhig gewesen, Sie sind kühl und gemessen, mir steigt das Blut zum Herzen und in die Stirn; es wäre wahrlich keine Kunst, Emil fühlte das Beschämende dieser Worte, aber dennoch empfand er dunkel, daß es darauf abgesehen war, ihn zu beschämen, und ein leiser Unwille darüber, daß auf diese Weise seine Ehre ins Spiel gezogen war, hielt den Rest des Muthes aufrecht, der ihn sonst völlig verlassen haben würde. Und als eine Stille eintrat und er mit seiner Antwort zögernd neben ihm weiter schritt, da ward ihm immer mehr offenbar, daß diese Offenherzigkeit nichts gewesen als die klügste Politik, und dieser Mißbrauch des Gefühls erbitterte ihn. Würdest du zu so plötzlicher Sanftmuth umgesprungen sein? fragte er sich, du? wenn es sich um die Geliebte gehandelt? um Emma? Ihre Antwort, sagte Albert. — Gut, ich will offen sein, rief jener aus; sei dem allem wie ihm sei, ich liebe sie dennoch und Sie lieben sie nicht! Trennen wir uns hier, erwiderte nun schneidend sein Gegner. Vielleicht kommt Ihnen einmal der Gedanke, wie ich gegen Sie war, und wie Sie mir vergolten haben. Er wollte ihn verlassen, aber Emil hielt ihn zurück. Sie haben die Wahrheit verlangt, ich habe sie ausgesprochen. Sie sagen, daß sie mich nicht liebt; ich aber liebe sie, da giebt es kein Ende — kein Aufhören. Eher wollte ich mein Leben lassen, als die Hoffnung, sie einst zu besitzen. Sie sind ruhig gewesen, Sie sind kühl und gemessen, mir steigt das Blut zum Herzen und in die Stirn; es wäre wahrlich keine Kunst, <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <pb facs="#f0038"/> <p>Emil fühlte das Beschämende dieser Worte, aber dennoch empfand er dunkel, daß es darauf abgesehen war, ihn zu beschämen, und ein leiser Unwille darüber, daß auf diese Weise seine Ehre ins Spiel gezogen war, hielt den Rest des Muthes aufrecht, der ihn sonst völlig verlassen haben würde. Und als eine Stille eintrat und er mit seiner Antwort zögernd neben ihm weiter schritt, da ward ihm immer mehr offenbar, daß diese Offenherzigkeit nichts gewesen als die klügste Politik, und dieser Mißbrauch des Gefühls erbitterte ihn. Würdest du zu so plötzlicher Sanftmuth umgesprungen sein? fragte er sich, du? wenn es sich um die Geliebte gehandelt? um Emma?</p><lb/> <p>Ihre Antwort, sagte Albert. — Gut, ich will offen sein, rief jener aus; sei dem allem wie ihm sei, ich liebe sie dennoch und Sie lieben sie nicht!</p><lb/> <p>Trennen wir uns hier, erwiderte nun schneidend sein Gegner. Vielleicht kommt Ihnen einmal der Gedanke, wie ich gegen Sie war, und wie Sie mir vergolten haben. Er wollte ihn verlassen, aber Emil hielt ihn zurück. Sie haben die Wahrheit verlangt, ich habe sie ausgesprochen. Sie sagen, daß sie mich nicht liebt; ich aber liebe sie, da giebt es kein Ende — kein Aufhören. Eher wollte ich mein Leben lassen, als die Hoffnung, sie einst zu besitzen. Sie sind ruhig gewesen, Sie sind kühl und gemessen, mir steigt das Blut zum Herzen und in die Stirn; es wäre wahrlich keine Kunst,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0038]
Emil fühlte das Beschämende dieser Worte, aber dennoch empfand er dunkel, daß es darauf abgesehen war, ihn zu beschämen, und ein leiser Unwille darüber, daß auf diese Weise seine Ehre ins Spiel gezogen war, hielt den Rest des Muthes aufrecht, der ihn sonst völlig verlassen haben würde. Und als eine Stille eintrat und er mit seiner Antwort zögernd neben ihm weiter schritt, da ward ihm immer mehr offenbar, daß diese Offenherzigkeit nichts gewesen als die klügste Politik, und dieser Mißbrauch des Gefühls erbitterte ihn. Würdest du zu so plötzlicher Sanftmuth umgesprungen sein? fragte er sich, du? wenn es sich um die Geliebte gehandelt? um Emma?
Ihre Antwort, sagte Albert. — Gut, ich will offen sein, rief jener aus; sei dem allem wie ihm sei, ich liebe sie dennoch und Sie lieben sie nicht!
Trennen wir uns hier, erwiderte nun schneidend sein Gegner. Vielleicht kommt Ihnen einmal der Gedanke, wie ich gegen Sie war, und wie Sie mir vergolten haben. Er wollte ihn verlassen, aber Emil hielt ihn zurück. Sie haben die Wahrheit verlangt, ich habe sie ausgesprochen. Sie sagen, daß sie mich nicht liebt; ich aber liebe sie, da giebt es kein Ende — kein Aufhören. Eher wollte ich mein Leben lassen, als die Hoffnung, sie einst zu besitzen. Sie sind ruhig gewesen, Sie sind kühl und gemessen, mir steigt das Blut zum Herzen und in die Stirn; es wäre wahrlich keine Kunst,
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Zitationshilfe: | Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_kind_1910/38>, abgerufen am 16.02.2025. |