Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Abends war unser vierblättriges Kleeblatt wieder zu Hause. Die Stuben sahen zuerst ein wenig trist und leer aus, aber am andern Morgen war Alles, wieder im alten Geleise. Albert ging fleißig mit seiner Braut spazieren, Therese nahm sich des Haushalts um so eifriger an und bereitete die Reiseeinrichtungen vor, denn die Zeit des Fortgehens rückte immer näher. Ueber Emil hatten die Verlobten nicht gesprochen, nicht einmal der Name war genannt worden. Aber Emma war so offen und so bezaubernd freundlich gegen Albert, daß dieser ihn bald vergaß. Nur Eines war seltsam. Es gab Zeiten, wo das Kind einsam im Garten ging, stehen blieb, weiterschritt, sich an einen Baum lehnte und in die Luft sah oder einem Käfer lange mit den Augen folgte, der am Stamme hin und her kletterte. Therese schien das allein zu sehen; auch bemerkte sie, daß ihre Schwester oft die Treppe ganz langsam hinaufstieg und eben so hinab, während sie sonst immer drei, vier Stufen auf einmal zu nehmen pflegte. Auch sie hatten nur ein einziges Mal über Emil zusammen geredet. Es mochte acht Tage nach dem Balle sein, als Therese, die Nachts nicht schlief, Emma unruhig sich bewegen hörte, bis diese ganz leise ihren Namen nannte. Therese, schläfst du? -- Nein, Kind, warum schläfst du nicht? -- Ich wachte nur zufällig auf; gute Nacht. Nach einer Weile: Therese! -- Ja, Kind? -- Weißt du, als wir damals am Morgen im Garten waren und Albert dazu kam, gingst du mit Abends war unser vierblättriges Kleeblatt wieder zu Hause. Die Stuben sahen zuerst ein wenig trist und leer aus, aber am andern Morgen war Alles, wieder im alten Geleise. Albert ging fleißig mit seiner Braut spazieren, Therese nahm sich des Haushalts um so eifriger an und bereitete die Reiseeinrichtungen vor, denn die Zeit des Fortgehens rückte immer näher. Ueber Emil hatten die Verlobten nicht gesprochen, nicht einmal der Name war genannt worden. Aber Emma war so offen und so bezaubernd freundlich gegen Albert, daß dieser ihn bald vergaß. Nur Eines war seltsam. Es gab Zeiten, wo das Kind einsam im Garten ging, stehen blieb, weiterschritt, sich an einen Baum lehnte und in die Luft sah oder einem Käfer lange mit den Augen folgte, der am Stamme hin und her kletterte. Therese schien das allein zu sehen; auch bemerkte sie, daß ihre Schwester oft die Treppe ganz langsam hinaufstieg und eben so hinab, während sie sonst immer drei, vier Stufen auf einmal zu nehmen pflegte. Auch sie hatten nur ein einziges Mal über Emil zusammen geredet. Es mochte acht Tage nach dem Balle sein, als Therese, die Nachts nicht schlief, Emma unruhig sich bewegen hörte, bis diese ganz leise ihren Namen nannte. Therese, schläfst du? — Nein, Kind, warum schläfst du nicht? — Ich wachte nur zufällig auf; gute Nacht. Nach einer Weile: Therese! — Ja, Kind? — Weißt du, als wir damals am Morgen im Garten waren und Albert dazu kam, gingst du mit <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0029"/> Abends war unser vierblättriges Kleeblatt wieder zu Hause. Die Stuben sahen zuerst ein wenig trist und leer aus, aber am andern Morgen war Alles, wieder im alten Geleise. Albert ging fleißig mit seiner Braut spazieren, Therese nahm sich des Haushalts um so eifriger an und bereitete die Reiseeinrichtungen vor, denn die Zeit des Fortgehens rückte immer näher.</p><lb/> <p>Ueber Emil hatten die Verlobten nicht gesprochen, nicht einmal der Name war genannt worden. Aber Emma war so offen und so bezaubernd freundlich gegen Albert, daß dieser ihn bald vergaß. Nur Eines war seltsam. Es gab Zeiten, wo das Kind einsam im Garten ging, stehen blieb, weiterschritt, sich an einen Baum lehnte und in die Luft sah oder einem Käfer lange mit den Augen folgte, der am Stamme hin und her kletterte. Therese schien das allein zu sehen; auch bemerkte sie, daß ihre Schwester oft die Treppe ganz langsam hinaufstieg und eben so hinab, während sie sonst immer drei, vier Stufen auf einmal zu nehmen pflegte. Auch sie hatten nur ein einziges Mal über Emil zusammen geredet. Es mochte acht Tage nach dem Balle sein, als Therese, die Nachts nicht schlief, Emma unruhig sich bewegen hörte, bis diese ganz leise ihren Namen nannte. Therese, schläfst du? — Nein, Kind, warum schläfst du nicht? — Ich wachte nur zufällig auf; gute Nacht. Nach einer Weile: Therese! — Ja, Kind? — Weißt du, als wir damals am Morgen im Garten waren und Albert dazu kam, gingst du mit<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0029]
Abends war unser vierblättriges Kleeblatt wieder zu Hause. Die Stuben sahen zuerst ein wenig trist und leer aus, aber am andern Morgen war Alles, wieder im alten Geleise. Albert ging fleißig mit seiner Braut spazieren, Therese nahm sich des Haushalts um so eifriger an und bereitete die Reiseeinrichtungen vor, denn die Zeit des Fortgehens rückte immer näher.
Ueber Emil hatten die Verlobten nicht gesprochen, nicht einmal der Name war genannt worden. Aber Emma war so offen und so bezaubernd freundlich gegen Albert, daß dieser ihn bald vergaß. Nur Eines war seltsam. Es gab Zeiten, wo das Kind einsam im Garten ging, stehen blieb, weiterschritt, sich an einen Baum lehnte und in die Luft sah oder einem Käfer lange mit den Augen folgte, der am Stamme hin und her kletterte. Therese schien das allein zu sehen; auch bemerkte sie, daß ihre Schwester oft die Treppe ganz langsam hinaufstieg und eben so hinab, während sie sonst immer drei, vier Stufen auf einmal zu nehmen pflegte. Auch sie hatten nur ein einziges Mal über Emil zusammen geredet. Es mochte acht Tage nach dem Balle sein, als Therese, die Nachts nicht schlief, Emma unruhig sich bewegen hörte, bis diese ganz leise ihren Namen nannte. Therese, schläfst du? — Nein, Kind, warum schläfst du nicht? — Ich wachte nur zufällig auf; gute Nacht. Nach einer Weile: Therese! — Ja, Kind? — Weißt du, als wir damals am Morgen im Garten waren und Albert dazu kam, gingst du mit
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Zitationshilfe: | Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_kind_1910/29>, abgerufen am 16.02.2025. |