Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

zu mir zu sagen oder etwas Aehnliches, und ich werde dann fortgehen, wenn Sie es wünschen, oder denken, es wäre nichts vorgefallen.

Das Kind schlug die langbewimperten Augen zu Boden und zitterte, aber der Griff der Thüre war unbarmherzig und ließ nicht los.

O, stotterte sie, ich bekam nur so einen Schreck. -- Vor mir? Setzen Sie sich doch nur einen Augenblick da auf den Stuhl. Ich verspreche Ihnen, daß ich mich dort am Fenster halten und nicht einen Schritt zu Ihnen hin thun werde. -- Er ging aufs Fenster zu, und sie schlich zu dem Stuhle, weil sie einen unaussprechlichen Zwang fühlte, dem Manne gehorsam zu sein.

Also Sie erschraken, liebe Emma? -- Nein, stotterte sie fast unhörbar und sagte dann etwas freier: Ach, Herr von R., ich bin noch so jung. -- Dies war eine Folge ungeheurer Anstrengung; sie wollte durchaus etwas sagen, das ihm ihre Sclaverei verbergen sollte, und sprach es aus.

Ja wohl, antwortete er lächelnd, aber mit einem Accente von Wehmuth, und ich bin schon so alt? -- Nein, fuhr er lebhaft fort, das wollten Sie mir nicht sagen. Es ist wahr, Sie sind noch sehr jung; deßhalb hat es auch noch zwei lange Jahre mit uns Zeit, und mehr, wenn Sie wollen. -- Ach ja, antwortete sie, und sah voll der tiefsten Dankbarkeit zu ihm empor. Denn daß dieser Mann, von dem ein bloßer Blick sie ver-

zu mir zu sagen oder etwas Aehnliches, und ich werde dann fortgehen, wenn Sie es wünschen, oder denken, es wäre nichts vorgefallen.

Das Kind schlug die langbewimperten Augen zu Boden und zitterte, aber der Griff der Thüre war unbarmherzig und ließ nicht los.

O, stotterte sie, ich bekam nur so einen Schreck. — Vor mir? Setzen Sie sich doch nur einen Augenblick da auf den Stuhl. Ich verspreche Ihnen, daß ich mich dort am Fenster halten und nicht einen Schritt zu Ihnen hin thun werde. — Er ging aufs Fenster zu, und sie schlich zu dem Stuhle, weil sie einen unaussprechlichen Zwang fühlte, dem Manne gehorsam zu sein.

Also Sie erschraken, liebe Emma? — Nein, stotterte sie fast unhörbar und sagte dann etwas freier: Ach, Herr von R., ich bin noch so jung. — Dies war eine Folge ungeheurer Anstrengung; sie wollte durchaus etwas sagen, das ihm ihre Sclaverei verbergen sollte, und sprach es aus.

Ja wohl, antwortete er lächelnd, aber mit einem Accente von Wehmuth, und ich bin schon so alt? — Nein, fuhr er lebhaft fort, das wollten Sie mir nicht sagen. Es ist wahr, Sie sind noch sehr jung; deßhalb hat es auch noch zwei lange Jahre mit uns Zeit, und mehr, wenn Sie wollen. — Ach ja, antwortete sie, und sah voll der tiefsten Dankbarkeit zu ihm empor. Denn daß dieser Mann, von dem ein bloßer Blick sie ver-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="1">
        <p><pb facs="#f0014"/>
zu mir zu sagen oder etwas Aehnliches, und ich werde dann fortgehen, wenn Sie es wünschen,      oder denken, es wäre nichts vorgefallen.</p><lb/>
        <p>Das Kind schlug die langbewimperten Augen zu Boden und zitterte, aber der Griff der Thüre war      unbarmherzig und ließ nicht los.</p><lb/>
        <p>O, stotterte sie, ich bekam nur so einen Schreck. &#x2014; Vor mir? Setzen Sie sich doch nur einen      Augenblick da auf den Stuhl. Ich verspreche Ihnen, daß ich mich dort am Fenster halten und      nicht einen Schritt zu Ihnen hin thun werde. &#x2014; Er ging aufs Fenster zu, und sie schlich zu dem      Stuhle, weil sie einen unaussprechlichen Zwang fühlte, dem Manne gehorsam zu sein.</p><lb/>
        <p>Also Sie erschraken, liebe Emma? &#x2014; Nein, stotterte sie fast unhörbar und sagte dann etwas      freier: Ach, Herr von R., ich bin noch so jung. &#x2014; Dies war eine Folge ungeheurer Anstrengung;      sie wollte durchaus etwas sagen, das ihm ihre Sclaverei verbergen sollte, und sprach es      aus.</p><lb/>
        <p>Ja wohl, antwortete er lächelnd, aber mit einem Accente von Wehmuth, und ich bin schon so      alt? &#x2014; Nein, fuhr er lebhaft fort, das wollten Sie mir nicht sagen. Es ist wahr, Sie sind noch      sehr jung; deßhalb hat es auch noch zwei lange Jahre mit uns Zeit, und mehr, wenn Sie wollen. &#x2014;      Ach ja, antwortete sie, und sah voll der tiefsten Dankbarkeit zu ihm empor. Denn daß dieser      Mann, von dem ein bloßer Blick sie ver-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0014] zu mir zu sagen oder etwas Aehnliches, und ich werde dann fortgehen, wenn Sie es wünschen, oder denken, es wäre nichts vorgefallen. Das Kind schlug die langbewimperten Augen zu Boden und zitterte, aber der Griff der Thüre war unbarmherzig und ließ nicht los. O, stotterte sie, ich bekam nur so einen Schreck. — Vor mir? Setzen Sie sich doch nur einen Augenblick da auf den Stuhl. Ich verspreche Ihnen, daß ich mich dort am Fenster halten und nicht einen Schritt zu Ihnen hin thun werde. — Er ging aufs Fenster zu, und sie schlich zu dem Stuhle, weil sie einen unaussprechlichen Zwang fühlte, dem Manne gehorsam zu sein. Also Sie erschraken, liebe Emma? — Nein, stotterte sie fast unhörbar und sagte dann etwas freier: Ach, Herr von R., ich bin noch so jung. — Dies war eine Folge ungeheurer Anstrengung; sie wollte durchaus etwas sagen, das ihm ihre Sclaverei verbergen sollte, und sprach es aus. Ja wohl, antwortete er lächelnd, aber mit einem Accente von Wehmuth, und ich bin schon so alt? — Nein, fuhr er lebhaft fort, das wollten Sie mir nicht sagen. Es ist wahr, Sie sind noch sehr jung; deßhalb hat es auch noch zwei lange Jahre mit uns Zeit, und mehr, wenn Sie wollen. — Ach ja, antwortete sie, und sah voll der tiefsten Dankbarkeit zu ihm empor. Denn daß dieser Mann, von dem ein bloßer Blick sie ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:24:04Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:24:04Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_kind_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_kind_1910/14
Zitationshilfe: Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_kind_1910/14>, abgerufen am 27.11.2024.