Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.hing oder auf den Tischen und dem Boden umher lag, Büchsen, Pistolen, Jagdtaschen, Zündhütchen, Riemenzeug, Fruchtproben, Backsteine, Korbflaschen, Cigarrenkisten und Bücher über Gartenbau oder Pferdekrankheiten. Der wackere Mann suchte sich aus verschiedenen Packeten die beste Cigarre heraus, zündete sie an, und nach wenigen Secunden hörten die Mädchen seinen Schritt auf ihre Stube zukommen, und seine Stimme, welche "Emma" rief. Ach, um Gotteswillen, was ist? rief diese, was ist, Papa? Komm noch auf einen Augenblick zu mir herüber, Kind. Auf der Stelle. Sie hatte schon den Kamm aus dem blonden Haar gezogen und die vollen Flechten aufgelös't, nahm aber flugs einen großen Shawl, hüllte sich hinein und erschien so bei ihrem Vater, welcher sich in die dunkelste Sophaecke gesetzt hatte und rauchte. Hier bin ich, Papa. -- Liebes Kind, da liegt ein Papier auf dem Tisch, da, neben der Brieftasche. -- Ja, hier. -- Es ist ein Brief, Emma, den ich vorgestern bekommen habe. -- Ja, ich sehe, vorgestern. -- Wie so? -- Nun, ich habe in der Eile ein bischen das Datum gelesen, er ist ja ganz offen. -- Gut, so lies auch das Uebrige. Sie setzte sich auf die Tischkante, hielt den leichten silbernen Leuchter in der einen und den Brief in der anderen Hand und studirte. hing oder auf den Tischen und dem Boden umher lag, Büchsen, Pistolen, Jagdtaschen, Zündhütchen, Riemenzeug, Fruchtproben, Backsteine, Korbflaschen, Cigarrenkisten und Bücher über Gartenbau oder Pferdekrankheiten. Der wackere Mann suchte sich aus verschiedenen Packeten die beste Cigarre heraus, zündete sie an, und nach wenigen Secunden hörten die Mädchen seinen Schritt auf ihre Stube zukommen, und seine Stimme, welche „Emma“ rief. Ach, um Gotteswillen, was ist? rief diese, was ist, Papa? Komm noch auf einen Augenblick zu mir herüber, Kind. Auf der Stelle. Sie hatte schon den Kamm aus dem blonden Haar gezogen und die vollen Flechten aufgelös't, nahm aber flugs einen großen Shawl, hüllte sich hinein und erschien so bei ihrem Vater, welcher sich in die dunkelste Sophaecke gesetzt hatte und rauchte. Hier bin ich, Papa. — Liebes Kind, da liegt ein Papier auf dem Tisch, da, neben der Brieftasche. — Ja, hier. — Es ist ein Brief, Emma, den ich vorgestern bekommen habe. — Ja, ich sehe, vorgestern. — Wie so? — Nun, ich habe in der Eile ein bischen das Datum gelesen, er ist ja ganz offen. — Gut, so lies auch das Uebrige. Sie setzte sich auf die Tischkante, hielt den leichten silbernen Leuchter in der einen und den Brief in der anderen Hand und studirte. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0010"/> hing oder auf den Tischen und dem Boden umher lag, Büchsen, Pistolen, Jagdtaschen, Zündhütchen, Riemenzeug, Fruchtproben, Backsteine, Korbflaschen, Cigarrenkisten und Bücher über Gartenbau oder Pferdekrankheiten. Der wackere Mann suchte sich aus verschiedenen Packeten die beste Cigarre heraus, zündete sie an, und nach wenigen Secunden hörten die Mädchen seinen Schritt auf ihre Stube zukommen, und seine Stimme, welche „Emma“ rief.</p><lb/> <p>Ach, um Gotteswillen, was ist? rief diese, was ist, Papa?</p><lb/> <p>Komm noch auf einen Augenblick zu mir herüber, Kind.</p><lb/> <p>Auf der Stelle.</p><lb/> <p>Sie hatte schon den Kamm aus dem blonden Haar gezogen und die vollen Flechten aufgelös't, nahm aber flugs einen großen Shawl, hüllte sich hinein und erschien so bei ihrem Vater, welcher sich in die dunkelste Sophaecke gesetzt hatte und rauchte.</p><lb/> <p>Hier bin ich, Papa. — Liebes Kind, da liegt ein Papier auf dem Tisch, da, neben der Brieftasche. — Ja, hier. — Es ist ein Brief, Emma, den ich vorgestern bekommen habe. — Ja, ich sehe, vorgestern. — Wie so? — Nun, ich habe in der Eile ein bischen das Datum gelesen, er ist ja ganz offen. — Gut, so lies auch das Uebrige.</p><lb/> <p>Sie setzte sich auf die Tischkante, hielt den leichten silbernen Leuchter in der einen und den Brief in der anderen Hand und studirte.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0010]
hing oder auf den Tischen und dem Boden umher lag, Büchsen, Pistolen, Jagdtaschen, Zündhütchen, Riemenzeug, Fruchtproben, Backsteine, Korbflaschen, Cigarrenkisten und Bücher über Gartenbau oder Pferdekrankheiten. Der wackere Mann suchte sich aus verschiedenen Packeten die beste Cigarre heraus, zündete sie an, und nach wenigen Secunden hörten die Mädchen seinen Schritt auf ihre Stube zukommen, und seine Stimme, welche „Emma“ rief.
Ach, um Gotteswillen, was ist? rief diese, was ist, Papa?
Komm noch auf einen Augenblick zu mir herüber, Kind.
Auf der Stelle.
Sie hatte schon den Kamm aus dem blonden Haar gezogen und die vollen Flechten aufgelös't, nahm aber flugs einen großen Shawl, hüllte sich hinein und erschien so bei ihrem Vater, welcher sich in die dunkelste Sophaecke gesetzt hatte und rauchte.
Hier bin ich, Papa. — Liebes Kind, da liegt ein Papier auf dem Tisch, da, neben der Brieftasche. — Ja, hier. — Es ist ein Brief, Emma, den ich vorgestern bekommen habe. — Ja, ich sehe, vorgestern. — Wie so? — Nun, ich habe in der Eile ein bischen das Datum gelesen, er ist ja ganz offen. — Gut, so lies auch das Uebrige.
Sie setzte sich auf die Tischkante, hielt den leichten silbernen Leuchter in der einen und den Brief in der anderen Hand und studirte.
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Zitationshilfe: | Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_kind_1910/10>, abgerufen am 16.02.2025. |