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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. composition ganzer redensarten.
ehrenfried; bei Fischart (Garg. 274b 275a) sind schreck-
den-feind, schreck-den-gast namen von festungsthürmen.
Indessen mangeln schon dem 13. 14. jh. solche formen
nicht. Das angefuhrte lied von Dieterich gewährt die
riesennamen: schelle-den-walt, rinne-den-walt (Adelung 1,
196.); ungedruckte Neitharte die bauersnamen: lobenspot
(lobe-den-spott, freund von scherz) hengentriel (hänge-
das-maul, ein maulhänger) irrensrit, irrentanz (irre-den
frieden, tanz, wie vorhin störenfried; soll irrenfried den
alten namen erkenfrit parodieren?) leimenzaun (leime-den
zaun, die bauern machten ihre zäune von leim, vgl. ahd.
stein-zaun, maceria; vielleicht leimenzaun zu emendieren?)
wahsengaul (unklar, vielleicht waschengaul, reit den gaul zur
schwemme). Der Renner (Adelung 2, 136. 137.): schindengast
(schinde-den-gast) laerenbiutel (leer-den-beutel, plattd.
pflücke-büdel) füllensack (fülle-den-sack). Wahrscheinlich
ist suochenwirt, welchen namen ein dichter um 1400 führte,
zu deuten suche-den-wirt (besuche die schenke d. i. zech-
bruder). Späterhin tritt auch ein dazwischen, z. b. beit-ein-
weil, wart-ein-weil, erdichtete ortsnamen. -- g) oder neben
dem imp. steht eine praeposition mit ihrem subst., z. b. hüpf-
ins-holz, spring-ins-feld, renn-ins-land, rinn-ins-land, roll-
in-hag, lug-ins-land (Garg. 274b), bleib-im-haus (ver-
kürzt bleibmhaus) u. a. m., meistens personennamen, zu-
weilen örtliche *). -- d) oder es folgen andere casus und
partikeln, dahin der bekannte blumenname vergiß-mein-
nicht, der schon im 15. jh. galt (a. w. 1, 151.) ähnlich dem
noli-me-tangere, heutzutag neutrum, halt-uns-fest (buttel).
Gardivias wird im Tit. übersetzt huet-der-verte, doch stehen
die worte wohl uncomponiert. Ganz ausgelaßen ist der
imp. bei unserm subst. willkommen (masc., einem den will-
kommen geben, bieten) für: sei willkommen, oder ist
will-komm richtiger und komm der nachgesetzte imp.?

b) bisweilen steht das verbum im conjunctiv oder
fehlt ganz und bloße partikeln bilden den ausruf und
den namen. Für teusel pflegen wir zu sagen: der gott-
sei-bei-uns. Ein geiziger heißt nimmer-satt, das ende der
gar-aus. Ein oestr. herzog bekam den zunamen ja-so-
mir-gott; -bei Ried p. 287. in einer urkunde von 1205.
findet sich ein albero iummirowe (? iemer-o-we); ein
schneidergesell legte sich den namen zu: sieben-auf-einen-
streich.

*) vgl. die hausgesindenamen, kindermährchen 3, 233-235.

III. compoſition ganzer redensarten.
ehrenfried; bei Fiſchart (Garg. 274b 275a) ſind ſchreck-
den-feind, ſchreck-den-gaſt namen von feſtungsthürmen.
Indeſſen mangeln ſchon dem 13. 14. jh. ſolche formen
nicht. Das angefuhrte lied von Dieterich gewährt die
rieſennamen: ſchelle-den-walt, rinne-den-walt (Adelung 1,
196.); ungedruckte Nîtharte die bauersnamen: lobenſpot
(lobe-den-ſpott, freund von ſcherz) hengentriel (hänge-
das-maul, ein maulhänger) irrenſrit, irrentanz (irre-den
frieden, tanz, wie vorhin ſtörenfried; ſoll irrenfried den
alten namen erkenfrit parodieren?) lîmenzûn (leime-den
zaun, die bauern machten ihre zäune von leim, vgl. ahd.
ſtein-zûn, maceria; vielleicht leimenzûn zu emendieren?)
wahſengûl (unklar, vielleicht waſchengûl, reit den gaul zur
ſchwemme). Der Renner (Adelung 2, 136. 137.): ſchindengaſt
(ſchinde-den-gaſt) lærenbiutel (leer-den-beutel, plattd.
pflücke-büdel) füllenſack (fülle-den-ſack). Wahrſcheinlich
iſt ſuochenwirt, welchen namen ein dichter um 1400 führte,
zu deuten ſuche-den-wirt (beſuche die ſchenke d. i. zech-
bruder). Späterhin tritt auch ein dazwiſchen, z. b. beit-ein-
weil, wart-ein-weil, erdichtete ortsnamen. — γ) oder neben
dem imp. ſteht eine praepoſition mit ihrem ſubſt., z. b. hüpf-
ins-holz, ſpring-ins-feld, renn-ins-land, rinn-ins-land, roll-
in-hag, lug-ins-land (Garg. 274b), bleib-im-haus (ver-
kürzt bleibmhaus) u. a. m., meiſtens perſonennamen, zu-
weilen örtliche *). — δ) oder es folgen andere caſus und
partikeln, dahin der bekannte blumenname vergiß-mein-
nicht, der ſchon im 15. jh. galt (a. w. 1, 151.) ähnlich dem
noli-me-tangere, heutzutag neutrum, halt-uns-feſt (buttel).
Gardivias wird im Tit. überſetzt huet-der-verte, doch ſtehen
die worte wohl uncomponiert. Ganz ausgelaßen iſt der
imp. bei unſerm ſubſt. willkommen (maſc., einem den will-
kommen geben, bieten) für: ſei willkommen, oder iſt
will-komm richtiger und komm der nachgeſetzte imp.?

b) bisweilen ſteht das verbum im conjunctiv oder
fehlt ganz und bloße partikeln bilden den ausruf und
den namen. Für teuſel pflegen wir zu ſagen: der gott-
ſei-bei-uns. Ein geiziger heißt nimmer-ſatt, das ende der
gar-aus. Ein oeſtr. herzog bekam den zunamen jâ-ſô-
mir-gott; -bei Ried p. 287. in einer urkunde von 1205.
findet ſich ein albero iummirowê (? iemer-ô-wê); ein
ſchneidergeſell legte ſich den namen zu: ſieben-auf-einen-
ſtreich.

*) vgl. die hausgeſindenamen, kindermährchen 3, 233-235.
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[962/0980] III. compoſition ganzer redensarten. ehrenfried; bei Fiſchart (Garg. 274b 275a) ſind ſchreck- den-feind, ſchreck-den-gaſt namen von feſtungsthürmen. Indeſſen mangeln ſchon dem 13. 14. jh. ſolche formen nicht. Das angefuhrte lied von Dieterich gewährt die rieſennamen: ſchelle-den-walt, rinne-den-walt (Adelung 1, 196.); ungedruckte Nîtharte die bauersnamen: lobenſpot (lobe-den-ſpott, freund von ſcherz) hengentriel (hänge- das-maul, ein maulhänger) irrenſrit, irrentanz (irre-den frieden, tanz, wie vorhin ſtörenfried; ſoll irrenfried den alten namen erkenfrit parodieren?) lîmenzûn (leime-den zaun, die bauern machten ihre zäune von leim, vgl. ahd. ſtein-zûn, maceria; vielleicht leimenzûn zu emendieren?) wahſengûl (unklar, vielleicht waſchengûl, reit den gaul zur ſchwemme). Der Renner (Adelung 2, 136. 137.): ſchindengaſt (ſchinde-den-gaſt) lærenbiutel (leer-den-beutel, plattd. pflücke-büdel) füllenſack (fülle-den-ſack). Wahrſcheinlich iſt ſuochenwirt, welchen namen ein dichter um 1400 führte, zu deuten ſuche-den-wirt (beſuche die ſchenke d. i. zech- bruder). Späterhin tritt auch ein dazwiſchen, z. b. beit-ein- weil, wart-ein-weil, erdichtete ortsnamen. — γ) oder neben dem imp. ſteht eine praepoſition mit ihrem ſubſt., z. b. hüpf- ins-holz, ſpring-ins-feld, renn-ins-land, rinn-ins-land, roll- in-hag, lug-ins-land (Garg. 274b), bleib-im-haus (ver- kürzt bleibmhaus) u. a. m., meiſtens perſonennamen, zu- weilen örtliche *). — δ) oder es folgen andere caſus und partikeln, dahin der bekannte blumenname vergiß-mein- nicht, der ſchon im 15. jh. galt (a. w. 1, 151.) ähnlich dem noli-me-tangere, heutzutag neutrum, halt-uns-feſt (buttel). Gardivias wird im Tit. überſetzt huet-der-verte, doch ſtehen die worte wohl uncomponiert. Ganz ausgelaßen iſt der imp. bei unſerm ſubſt. willkommen (maſc., einem den will- kommen geben, bieten) für: ſei willkommen, oder iſt will-komm richtiger und komm der nachgeſetzte imp.? b) bisweilen ſteht das verbum im conjunctiv oder fehlt ganz und bloße partikeln bilden den ausruf und den namen. Für teuſel pflegen wir zu ſagen: der gott- ſei-bei-uns. Ein geiziger heißt nimmer-ſatt, das ende der gar-aus. Ein oeſtr. herzog bekam den zunamen jâ-ſô- mir-gott; -bei Ried p. 287. in einer urkunde von 1205. findet ſich ein albero iummirowê (? iemer-ô-wê); ein ſchneidergeſell legte ſich den namen zu: ſieben-auf-einen- ſtreich. *) vgl. die hausgeſindenamen, kindermährchen 3, 233-235.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 962. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/980>, abgerufen am 24.11.2024.