Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite

III. partikelcomp. -- allgem. bemerkungen.
deutschen einrichtung erkenne ich in zwischenschiebung
oder vorausstellung des augments bei zusammensetzungen
(Buttm. §. 86.). Die augmentierten tempora schalten
nämlich e- zwischen das verbum und die damit ver-
bundne partikel ein (apo-duo, ap-e-dusa; sul-lego,
sun-e-legon; pros-phero
, pros-e-pheron); setzen es aber
voran, sobald das verbum von einem (eigentlich oder
uneigentlich componierten) nomen abgeleitet ist (oiko-do-
meo
, oko-domesa; melo-poieo, e-melo-poioun; dus-tukheo,
e-dus-tukhesa
); wie im deutschen das (s. 869. dem aug-
ment verglichene) ge- entweder dazwischen (an-schlagen,
an-ge-schlagen) oder vorantritt (rath-schlagen, ge-rath-
schlagt).


Allgemeine bemerkungen zu §. 4. überhaupt.

1) es ist der wahrnehmung werth, daß keine einzige
der hier verhandelten, in allen deutschen mundarten
mächtigen und geläufigen partikeln auf l oder r anlautet.
Wenige beginnen mit m und n (miti, nah); viele voca-
lisch und mit mutis. Der griech. lat. slav. lett. sprach-
stamm kennt ebenfalls keine solche partikel auf l, der
griech. auch nicht auf r, wogegen r in den übrigen
auftritt (lat. re-, slav. raz- etc.). Das nhd. aus dem zus.
gesetzten zurück verderbte rück- gibt keine wahre aus-
nahme an hand. Da nun auch l und r im ablaut schwie-
rig und selten sind (1, 1035. 1036.), in den deutschen
flexionen gar nicht mitwirken (nämlich das später häu-
fige r auf organisches s zurückzuführen ist); so scheinen
ihnen, aus einem gewis tief liegenden grunde, in unserer
sprache, die biegende und verbindende kraft entzogen,
wofür fie in der ableitung eine desto bedeutendere aus-
üben (s. 390.).

2) das lebloswerden der zusammensetzung eingehen-
den partikeln hat den verfall des tons zur folge, so wie
er in flexionen und ableitungen ausstirbt. Die nähern
verhältnisse und abstufungen von der ersten schwächung
bis zur völligen erlöschung des tons laßen sich nur sehr
schwierig und für die älteste sprache, wenn es an metri-
schen denkmählern gebricht, gar nicht sicher angeben.
Darf aus der analogie der lebenden sprache zurückge-
schloßen werden, so beginnt der ton überall zuerst in
den vor verbis untrennbar gewordnen partikeln abzu-
nehmen; nächstdem auch vor nominibus, wiewohl schwan-

III. partikelcomp. — allgem. bemerkungen.
deutſchen einrichtung erkenne ich in zwiſchenſchiebung
oder vorausſtellung des augments bei zuſammenſetzungen
(Buttm. §. 86.). Die augmentierten tempora ſchalten
nämlich ε- zwiſchen das verbum und die damit ver-
bundne partikel ein (ἀπο-δύω, ἀπ-έ-δυσα; συλ-λέγω,
συν-έ-λεγον; προσ-φέρω
, προσ-έ-φερον); ſetzen es aber
voran, ſobald das verbum von einem (eigentlich oder
uneigentlich componierten) nomen abgeleitet iſt (οἰκο-δο-
μέω
, ᾠκο-δόμησα; μελο-ποιέω, ἐ-μελο-ποίουν; δυσ-τυχέω,
ἐ-δυσ-τύχησα
); wie im deutſchen das (ſ. 869. dem aug-
ment verglichene) ge- entweder dazwiſchen (an-ſchlagen,
an-ge-ſchlagen) oder vorantritt (rath-ſchlagen, ge-rath-
ſchlagt).


Allgemeine bemerkungen zu §. 4. überhaupt.

1) es iſt der wahrnehmung werth, daß keine einzige
der hier verhandelten, in allen deutſchen mundarten
mächtigen und geläufigen partikeln auf l oder r anlautet.
Wenige beginnen mit m und n (miti, nâh); viele voca-
liſch und mit mutis. Der griech. lat. ſlav. lett. ſprach-
ſtamm kennt ebenfalls keine ſolche partikel auf l, der
griech. auch nicht auf r, wogegen r in den übrigen
auftritt (lat. re-, ſlav. raz- etc.). Das nhd. aus dem zuſ.
geſetzten zurück verderbte rück- gibt keine wahre aus-
nahme an hand. Da nun auch l und r im ablaut ſchwie-
rig und ſelten ſind (1, 1035. 1036.), in den deutſchen
flexionen gar nicht mitwirken (nämlich das ſpäter häu-
fige r auf organiſches s zurückzuführen iſt); ſo ſcheinen
ihnen, aus einem gewis tief liegenden grunde, in unſerer
ſprache, die biegende und verbindende kraft entzogen,
wofür fie in der ableitung eine deſto bedeutendere aus-
üben (ſ. 390.).

2) das lebloswerden der zuſammenſetzung eingehen-
den partikeln hat den verfall des tons zur folge, ſo wie
er in flexionen und ableitungen ausſtirbt. Die nähern
verhältniſſe und abſtufungen von der erſten ſchwächung
bis zur völligen erlöſchung des tons laßen ſich nur ſehr
ſchwierig und für die älteſte ſprache, wenn es an metri-
ſchen denkmählern gebricht, gar nicht ſicher angeben.
Darf aus der analogie der lebenden ſprache zurückge-
ſchloßen werden, ſo beginnt der ton überall zuerſt in
den vor verbis untrennbar gewordnen partikeln abzu-
nehmen; nächſtdem auch vor nominibus, wiewohl ſchwan-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0939" n="921"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">III. <hi rendition="#i">partikelcomp. &#x2014; allgem. bemerkungen.</hi></hi></fw><lb/>
deut&#x017F;chen einrichtung erkenne ich in zwi&#x017F;chen&#x017F;chiebung<lb/>
oder voraus&#x017F;tellung des augments bei zu&#x017F;ammen&#x017F;etzungen<lb/>
(Buttm. §. 86.). Die augmentierten tempora &#x017F;chalten<lb/>
nämlich <hi rendition="#i">&#x03B5;-</hi> zwi&#x017F;chen das verbum und die damit ver-<lb/>
bundne partikel ein (<hi rendition="#i">&#x1F00;&#x03C0;&#x03BF;-&#x03B4;&#x03CD;&#x03C9;, &#x1F00;&#x03C0;-&#x03AD;-&#x03B4;&#x03C5;&#x03C3;&#x03B1;; &#x03C3;&#x03C5;&#x03BB;-&#x03BB;&#x03AD;&#x03B3;&#x03C9;,<lb/>
&#x03C3;&#x03C5;&#x03BD;-&#x03AD;-&#x03BB;&#x03B5;&#x03B3;&#x03BF;&#x03BD;; &#x03C0;&#x03C1;&#x03BF;&#x03C3;-&#x03C6;&#x03AD;&#x03C1;&#x03C9;</hi>, <hi rendition="#i">&#x03C0;&#x03C1;&#x03BF;&#x03C3;-&#x03AD;-&#x03C6;&#x03B5;&#x03C1;&#x03BF;&#x03BD;</hi>); &#x017F;etzen es aber<lb/>
voran, &#x017F;obald das verbum von einem (eigentlich oder<lb/>
uneigentlich componierten) nomen abgeleitet i&#x017F;t (<hi rendition="#i">&#x03BF;&#x1F30;&#x03BA;&#x03BF;-&#x03B4;&#x03BF;-<lb/>
&#x03BC;&#x03AD;&#x03C9;</hi>, <hi rendition="#i">&#x1FA0;&#x03BA;&#x03BF;-&#x03B4;&#x03CC;&#x03BC;&#x03B7;&#x03C3;&#x03B1;; &#x03BC;&#x03B5;&#x03BB;&#x03BF;-&#x03C0;&#x03BF;&#x03B9;&#x03AD;&#x03C9;</hi>, <hi rendition="#i">&#x1F10;-&#x03BC;&#x03B5;&#x03BB;&#x03BF;-&#x03C0;&#x03BF;&#x03AF;&#x03BF;&#x03C5;&#x03BD;; &#x03B4;&#x03C5;&#x03C3;-&#x03C4;&#x03C5;&#x03C7;&#x03AD;&#x03C9;,<lb/>
&#x1F10;-&#x03B4;&#x03C5;&#x03C3;-&#x03C4;&#x03CD;&#x03C7;&#x03B7;&#x03C3;&#x03B1;</hi>); wie im deut&#x017F;chen das (&#x017F;. 869. dem aug-<lb/>
ment verglichene) ge- entweder dazwi&#x017F;chen (an-&#x017F;chlagen,<lb/>
an-ge-&#x017F;chlagen) oder vorantritt (rath-&#x017F;chlagen, ge-rath-<lb/>
&#x017F;chlagt).</p>
                </div>
              </div>
            </div><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <div n="4">
              <head><hi rendition="#i">Allgemeine bemerkungen zu</hi> §. 4. <hi rendition="#i">überhaupt.</hi></head><lb/>
              <p>1) es i&#x017F;t der wahrnehmung werth, daß keine einzige<lb/>
der hier verhandelten, in allen deut&#x017F;chen mundarten<lb/>
mächtigen und geläufigen partikeln auf <hi rendition="#i">l</hi> oder <hi rendition="#i">r</hi> anlautet.<lb/>
Wenige beginnen mit <hi rendition="#i">m</hi> und <hi rendition="#i">n</hi> (miti, nâh); viele voca-<lb/>
li&#x017F;ch und mit mutis. Der griech. lat. &#x017F;lav. lett. &#x017F;prach-<lb/>
&#x017F;tamm kennt ebenfalls keine &#x017F;olche partikel auf <hi rendition="#i">l</hi>, der<lb/>
griech. auch nicht auf <hi rendition="#i">r</hi>, wogegen <hi rendition="#i">r</hi> in den übrigen<lb/>
auftritt (lat. re-, &#x017F;lav. raz- etc.). Das nhd. aus dem zu&#x017F;.<lb/>
ge&#x017F;etzten zurück verderbte rück- gibt keine wahre aus-<lb/>
nahme an hand. Da nun auch <hi rendition="#i">l</hi> und <hi rendition="#i">r</hi> im ablaut &#x017F;chwie-<lb/>
rig und &#x017F;elten &#x017F;ind (1, 1035. 1036.), in den deut&#x017F;chen<lb/>
flexionen gar nicht mitwirken (nämlich das &#x017F;päter häu-<lb/>
fige r auf organi&#x017F;ches s zurückzuführen i&#x017F;t); &#x017F;o &#x017F;cheinen<lb/>
ihnen, aus einem gewis tief liegenden grunde, in un&#x017F;erer<lb/>
&#x017F;prache, die biegende und verbindende kraft entzogen,<lb/>
wofür fie in der ableitung eine de&#x017F;to bedeutendere aus-<lb/>
üben (&#x017F;. 390.).</p><lb/>
              <p>2) das lebloswerden der zu&#x017F;ammen&#x017F;etzung eingehen-<lb/>
den partikeln hat den <hi rendition="#i">verfall des tons</hi> zur folge, &#x017F;o wie<lb/>
er in flexionen und ableitungen aus&#x017F;tirbt. Die nähern<lb/>
verhältni&#x017F;&#x017F;e und ab&#x017F;tufungen von der er&#x017F;ten &#x017F;chwächung<lb/>
bis zur völligen erlö&#x017F;chung des tons laßen &#x017F;ich nur &#x017F;ehr<lb/>
&#x017F;chwierig und für die älte&#x017F;te &#x017F;prache, wenn es an metri-<lb/>
&#x017F;chen denkmählern gebricht, gar nicht &#x017F;icher angeben.<lb/>
Darf aus der analogie der lebenden &#x017F;prache zurückge-<lb/>
&#x017F;chloßen werden, &#x017F;o beginnt der ton überall zuer&#x017F;t in<lb/>
den vor verbis untrennbar gewordnen partikeln abzu-<lb/>
nehmen; näch&#x017F;tdem auch vor nominibus, wiewohl &#x017F;chwan-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[921/0939] III. partikelcomp. — allgem. bemerkungen. deutſchen einrichtung erkenne ich in zwiſchenſchiebung oder vorausſtellung des augments bei zuſammenſetzungen (Buttm. §. 86.). Die augmentierten tempora ſchalten nämlich ε- zwiſchen das verbum und die damit ver- bundne partikel ein (ἀπο-δύω, ἀπ-έ-δυσα; συλ-λέγω, συν-έ-λεγον; προσ-φέρω, προσ-έ-φερον); ſetzen es aber voran, ſobald das verbum von einem (eigentlich oder uneigentlich componierten) nomen abgeleitet iſt (οἰκο-δο- μέω, ᾠκο-δόμησα; μελο-ποιέω, ἐ-μελο-ποίουν; δυσ-τυχέω, ἐ-δυσ-τύχησα); wie im deutſchen das (ſ. 869. dem aug- ment verglichene) ge- entweder dazwiſchen (an-ſchlagen, an-ge-ſchlagen) oder vorantritt (rath-ſchlagen, ge-rath- ſchlagt). Allgemeine bemerkungen zu §. 4. überhaupt. 1) es iſt der wahrnehmung werth, daß keine einzige der hier verhandelten, in allen deutſchen mundarten mächtigen und geläufigen partikeln auf l oder r anlautet. Wenige beginnen mit m und n (miti, nâh); viele voca- liſch und mit mutis. Der griech. lat. ſlav. lett. ſprach- ſtamm kennt ebenfalls keine ſolche partikel auf l, der griech. auch nicht auf r, wogegen r in den übrigen auftritt (lat. re-, ſlav. raz- etc.). Das nhd. aus dem zuſ. geſetzten zurück verderbte rück- gibt keine wahre aus- nahme an hand. Da nun auch l und r im ablaut ſchwie- rig und ſelten ſind (1, 1035. 1036.), in den deutſchen flexionen gar nicht mitwirken (nämlich das ſpäter häu- fige r auf organiſches s zurückzuführen iſt); ſo ſcheinen ihnen, aus einem gewis tief liegenden grunde, in unſerer ſprache, die biegende und verbindende kraft entzogen, wofür fie in der ableitung eine deſto bedeutendere aus- üben (ſ. 390.). 2) das lebloswerden der zuſammenſetzung eingehen- den partikeln hat den verfall des tons zur folge, ſo wie er in flexionen und ableitungen ausſtirbt. Die nähern verhältniſſe und abſtufungen von der erſten ſchwächung bis zur völligen erlöſchung des tons laßen ſich nur ſehr ſchwierig und für die älteſte ſprache, wenn es an metri- ſchen denkmählern gebricht, gar nicht ſicher angeben. Darf aus der analogie der lebenden ſprache zurückge- ſchloßen werden, ſo beginnt der ton überall zuerſt in den vor verbis untrennbar gewordnen partikeln abzu- nehmen; nächſtdem auch vor nominibus, wiewohl ſchwan-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/939
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 921. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/939>, abgerufen am 21.11.2024.