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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. partikelcomp. -- trennb. part. mit verb.
damm, durchschaue den nebel, umschiffe die welt, über-
schreite den fluß. Die bedeutung verliert dadurch etwas
an sinnlichkeit, und die umwandlung wird unzuläßig,
wenn der sprachgebrauch dem composito schon einen
noch abstractern begriff angeeignet hat, z. b. es läßt sich
nicht sagen: ich übergehe den berg, für: ich gehe über
d. b. Noch weniger können übliche composita mit die-
sen partikeln gradezu in das transitive verbum und die
praepos. aufgelöst werden, z. b. ich durchlese das buch,
waßer umgibt das land, der eine übertraf den andern
keineswegs in: ich lese durch d. b., waßer gibt um d.
l., der eine traf ü. d. a. Auch transitiva mit unter- ver-
weigern sich der umstellung, da es ganz etwas anderes
ist zu sagen: ich unterschreibe die bitte, als: ich schreibe
unter die bitte; composita mit hinter- und wider-, in
denen intransitive bedeutung vorherrscht, sind vollends
untauglich dazu. Allein in der älteren sprache waren
noch bei andern partikeln umtauschungen thunlich, die
jetzt veraltet sind. Graff hat sie s. 89-91. im ahd. nicht
bloß für durah, ubar, umpi nachgewiesen, sondern auch
für ana, hintar, in, oba, vora, vuri, welches eine
wichtige bestätigung der annahme ist, daß im ahd. diese
partikeln fester an den verbis haften, daher schon im
mhd. die umstellungen beinahe wegfallen. Je freier und
vieldeutiger die partikel, desto weniger stellt sie sich in
die praep. um, z. b. den kopf auffallen hat völlig ver-
schiednen sinn von: auf den kopf fallen.

4) mitunter kann es zweifelhaft sein, ob man die lose
partikel auf das verbum oder auf das dara, dar, huara,
huar beziehen will, welche oft unmittelbar im satz da-
neben (Graff s. 285-288.) oft aber durch andere wörter
davon getrennt stehen, z. b. in den s. 890. 891. ange-
führten: thar baldo ana sizen; dar diu driu ana sint; thar
her ana lag T. 54, 8; da sint ouh mite W. 4, 14. etc.
Im altn. gehört die den verbis unmittelbar vorstehende
partikel häufig zu einem vorausgegangnen er und es ist
alsdann keine composition vorhanden, daher auch at oder
auxiliaria zwischen partikel und verbum treten. Beispiele
gibt Rask §. 414. 449. und fürs ags. p. 102. So kann
unser nhd. ich widerstrebe, durchbreche zuweilen gleich-
viel sein mit: ich strebe dawider, breche dadurch,
hindurch.

5) zusammengesetzte nomina rechtfertigen keinen
schluß auf die composition entsprechender verba mit der
gleichen partikel. Denn selbst wo eine der sechs compo-

III. partikelcomp. — trennb. part. mit verb.
damm, durchſchaue den nebel, umſchiffe die welt, über-
ſchreite den fluß. Die bedeutung verliert dadurch etwas
an ſinnlichkeit, und die umwandlung wird unzuläßig,
wenn der ſprachgebrauch dem compoſito ſchon einen
noch abſtractern begriff angeeignet hat, z. b. es läßt ſich
nicht ſagen: ich übergehe den berg, für: ich gehe über
d. b. Noch weniger können übliche compoſita mit die-
ſen partikeln gradezu in das tranſitive verbum und die
praepoſ. aufgelöſt werden, z. b. ich durchleſe das buch,
waßer umgibt das land, der eine übertraf den andern
keineswegs in: ich leſe durch d. b., waßer gibt um d.
l., der eine traf ü. d. a. Auch tranſitiva mit unter- ver-
weigern ſich der umſtellung, da es ganz etwas anderes
iſt zu ſagen: ich unterſchreibe die bitte, als: ich ſchreibe
unter die bitte; compoſita mit hinter- und wider-, in
denen intranſitive bedeutung vorherrſcht, ſind vollends
untauglich dazu. Allein in der älteren ſprache waren
noch bei andern partikeln umtauſchungen thunlich, die
jetzt veraltet ſind. Graff hat ſie ſ. 89-91. im ahd. nicht
bloß für durah, ubar, umpi nachgewieſen, ſondern auch
für ana, hintar, in, oba, vora, vuri, welches eine
wichtige beſtätigung der annahme iſt, daß im ahd. dieſe
partikeln feſter an den verbis haften, daher ſchon im
mhd. die umſtellungen beinahe wegfallen. Je freier und
vieldeutiger die partikel, deſto weniger ſtellt ſie ſich in
die praep. um, z. b. den kopf auffallen hat völlig ver-
ſchiednen ſinn von: auf den kopf fallen.

4) mitunter kann es zweifelhaft ſein, ob man die loſe
partikel auf das verbum oder auf das dara, dâr, huara,
huâr beziehen will, welche oft unmittelbar im ſatz da-
neben (Graff ſ. 285-288.) oft aber durch andere wörter
davon getrennt ſtehen, z. b. in den ſ. 890. 891. ange-
führten: thâr baldo ana ſizen; dâr diu driu ana ſint; thâr
her ana lag T. 54, 8; dâ ſint ouh mite W. 4, 14. etc.
Im altn. gehört die den verbis unmittelbar vorſtehende
partikel häufig zu einem vorausgegangnen er und es iſt
alsdann keine compoſition vorhanden, daher auch at oder
auxiliaria zwiſchen partikel und verbum treten. Beiſpiele
gibt Raſk §. 414. 449. und fürs agſ. p. 102. So kann
unſer nhd. ich widerſtrebe, durchbreche zuweilen gleich-
viel ſein mit: ich ſtrebe dawider, breche dadurch,
hindurch.

5) zuſammengeſetzte nomina rechtfertigen keinen
ſchluß auf die compoſition entſprechender verba mit der
gleichen partikel. Denn ſelbſt wo eine der ſechs compo-

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[918/0936] III. partikelcomp. — trennb. part. mit verb. damm, durchſchaue den nebel, umſchiffe die welt, über- ſchreite den fluß. Die bedeutung verliert dadurch etwas an ſinnlichkeit, und die umwandlung wird unzuläßig, wenn der ſprachgebrauch dem compoſito ſchon einen noch abſtractern begriff angeeignet hat, z. b. es läßt ſich nicht ſagen: ich übergehe den berg, für: ich gehe über d. b. Noch weniger können übliche compoſita mit die- ſen partikeln gradezu in das tranſitive verbum und die praepoſ. aufgelöſt werden, z. b. ich durchleſe das buch, waßer umgibt das land, der eine übertraf den andern keineswegs in: ich leſe durch d. b., waßer gibt um d. l., der eine traf ü. d. a. Auch tranſitiva mit unter- ver- weigern ſich der umſtellung, da es ganz etwas anderes iſt zu ſagen: ich unterſchreibe die bitte, als: ich ſchreibe unter die bitte; compoſita mit hinter- und wider-, in denen intranſitive bedeutung vorherrſcht, ſind vollends untauglich dazu. Allein in der älteren ſprache waren noch bei andern partikeln umtauſchungen thunlich, die jetzt veraltet ſind. Graff hat ſie ſ. 89-91. im ahd. nicht bloß für durah, ubar, umpi nachgewieſen, ſondern auch für ana, hintar, in, oba, vora, vuri, welches eine wichtige beſtätigung der annahme iſt, daß im ahd. dieſe partikeln feſter an den verbis haften, daher ſchon im mhd. die umſtellungen beinahe wegfallen. Je freier und vieldeutiger die partikel, deſto weniger ſtellt ſie ſich in die praep. um, z. b. den kopf auffallen hat völlig ver- ſchiednen ſinn von: auf den kopf fallen. 4) mitunter kann es zweifelhaft ſein, ob man die loſe partikel auf das verbum oder auf das dara, dâr, huara, huâr beziehen will, welche oft unmittelbar im ſatz da- neben (Graff ſ. 285-288.) oft aber durch andere wörter davon getrennt ſtehen, z. b. in den ſ. 890. 891. ange- führten: thâr baldo ana ſizen; dâr diu driu ana ſint; thâr her ana lag T. 54, 8; dâ ſint ouh mite W. 4, 14. etc. Im altn. gehört die den verbis unmittelbar vorſtehende partikel häufig zu einem vorausgegangnen er und es iſt alsdann keine compoſition vorhanden, daher auch at oder auxiliaria zwiſchen partikel und verbum treten. Beiſpiele gibt Raſk §. 414. 449. und fürs agſ. p. 102. So kann unſer nhd. ich widerſtrebe, durchbreche zuweilen gleich- viel ſein mit: ich ſtrebe dawider, breche dadurch, hindurch. 5) zuſammengeſetzte nomina rechtfertigen keinen ſchluß auf die compoſition entſprechender verba mit der gleichen partikel. Denn ſelbſt wo eine der ſechs compo-

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 918. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/936>, abgerufen am 22.11.2024.