Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite

III. partikelcomp. -- trennb. part. mit verb.
nieder-laß die arme!), wo man die ursprüngliche losheit
der partikel fühlt.

Beispiele dieser noch nicht vollständig eingetretenen,
gleichsam nur anfliegenden zus. setzungen sind schwerlich
nöthig. Ich will bloß als gegensatz zu jenen unbetonten
durch-, über-, um-, unter-, wider- einige insinitive an-
führen, deren partikel den ton behält; oft sind es diesel-
ben wörter, mit nachdrücklicherer und veränderter be-
deutung: durch kann beinahe allen vorhingenannten auch
betont vorgesetzt werden, ich habe das buch durchgele-
sen sagt mehr als ich habe es durchlesen; ich habe (ihn)
durchschaut etwas anderes als, ich habe durchgeschaut
(durch das loch); der vogel hat das land durchflogen und
er ist durchgeflogen; ich bin durchdrungen von einer
wahrheit, der regen ist durchgedrungen; ich habe den
koth durchwatet, ich bin durchgewatet. Zuweilen ist der
unterschied im sinn unmerklich. Die betonten über sind
aber seltner als die unbetonten, weichen auch mehr ab
in den bedeutungen, man kann sie zumeist in ein hin-
über, herüber, darüber erweitern: über-fahren; -fliegen;
-führen; -gehen (die stadt geht über, die leiche geht
über); -hangen; -helfen; -hohlen (hohl über! zu fähr-
leuten); -kommen; -laufen (von augen); -legen (über die
knie); -rinnen; -schiffen; -schlagen; -schreiten; schwan-
ken; -setzen; -springen; -treiben; -wallen; -werfen;
-ziehen; einigemahl steht es für übrig: über-bleiben,
über-laßen. Die betonten um sind gleichfalls seltner, als
die unbetonten und weichen im sinn bedeutend ab: um-
fahren (ein kind mit den rädern); -geben (ein tuch);
-gehen (im kreiß); -graben (noch einmahl); -hängen (ei-
nen mantel); -schreiben (von neuem); -schauen (in der ge-
gend). Betontes unter vor wenigen wörtern, hinunter,
darunter ausdrückend: unter-ackern; -binden (ein tuch);
-bringen (unter dach); -gehen; -halten (ein glas); -kom-
men; -kriechen; -legen; -mengen; -ordnen; -schieben;
-schlagen; (ein bein); -sinken; -stecken; -tauchen; -tre-
ten; -ziehen (die schwelle). Wider im sinne von contra:
wider-fahren; wider-halten (resistere); wider-reden (obloqui,
dissuadere); wider-stehen; -streben; -streiten; öfter wenn es
rursus bedeutet, wo man wieder schreibt *): wieder-kauen;

*) die unterscheidung zwischen wider und wieder (oben s. 796.)
ist doch wohl nicht rein erfunden, sondern eben auf die beobach-
tung gegründet, daß in der zus. setzung mit verbis das unbetonte
wider- von dem betonten wieder- absteht, daher letzteres dem im-

III. partikelcomp. — trennb. part. mit verb.
nieder-laß die arme!), wo man die urſprüngliche losheit
der partikel fühlt.

Beiſpiele dieſer noch nicht vollſtändig eingetretenen,
gleichſam nur anfliegenden zuſ. ſetzungen ſind ſchwerlich
nöthig. Ich will bloß als gegenſatz zu jenen unbetonten
durch-, über-, um-, unter-, wider- einige inſinitive an-
führen, deren partikel den ton behält; oft ſind es dieſel-
ben wörter, mit nachdrücklicherer und veränderter be-
deutung: durch kann beinahe allen vorhingenannten auch
betont vorgeſetzt werden, ich habe das buch durchgele-
ſen ſagt mehr als ich habe es durchleſen; ich habe (ihn)
durchſchaut etwas anderes als, ich habe durchgeſchaut
(durch das loch); der vogel hat das land durchflogen und
er iſt durchgeflogen; ich bin durchdrungen von einer
wahrheit, der regen iſt durchgedrungen; ich habe den
koth durchwatet, ich bin durchgewatet. Zuweilen iſt der
unterſchied im ſinn unmerklich. Die betonten über ſind
aber ſeltner als die unbetonten, weichen auch mehr ab
in den bedeutungen, man kann ſie zumeiſt in ein hin-
über, herüber, darüber erweitern: über-fahren; -fliegen;
-führen; -gehen (die ſtadt geht über, die leiche geht
über); -hangen; -helfen; -hohlen (hohl über! zu fähr-
leuten); -kommen; -laufen (von augen); -legen (über die
knie); -rinnen; -ſchiffen; -ſchlagen; -ſchreiten; ſchwan-
ken; -ſetzen; -ſpringen; -treiben; -wallen; -werfen;
-ziehen; einigemahl ſteht es für übrig: über-bleiben,
über-laßen. Die betonten um ſind gleichfalls ſeltner, als
die unbetonten und weichen im ſinn bedeutend ab: um-
fahren (ein kind mit den rädern); -geben (ein tuch);
-gehen (im kreiß); -graben (noch einmahl); -hängen (ei-
nen mantel); -ſchreiben (von neuem); -ſchauen (in der ge-
gend). Betontes unter vor wenigen wörtern, hinunter,
darunter ausdrückend: unter-ackern; -binden (ein tuch);
-bringen (unter dach); -gehen; -halten (ein glas); -kom-
men; -kriechen; -legen; -mengen; -ordnen; -ſchieben;
-ſchlagen; (ein bein); -ſinken; -ſtecken; -tauchen; -tre-
ten; -ziehen (die ſchwelle). Wider im ſinne von contra:
wider-fahren; wider-halten (reſiſtere); wider-reden (obloqui,
disſuadere); wider-ſtehen; -ſtreben; -ſtreiten; öfter wenn es
rurſus bedeutet, wo man wieder ſchreibt *): wieder-kauen;

*) die unterſcheidung zwiſchen wider und wieder (oben ſ. 796.)
iſt doch wohl nicht rein erfunden, ſondern eben auf die beobach-
tung gegründet, daß in der zuſ. ſetzung mit verbis das unbetonte
wider- von dem betonten wieder- abſteht, daher letzteres dem im-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0892" n="874"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">III. <hi rendition="#i">partikelcomp. &#x2014; trennb. part. mit verb.</hi></hi></fw><lb/>
nieder-laß die arme!), wo man die ur&#x017F;prüngliche losheit<lb/>
der partikel fühlt.</p><lb/>
                <p>Bei&#x017F;piele die&#x017F;er noch nicht voll&#x017F;tändig eingetretenen,<lb/>
gleich&#x017F;am nur anfliegenden zu&#x017F;. &#x017F;etzungen &#x017F;ind &#x017F;chwerlich<lb/>
nöthig. Ich will bloß als gegen&#x017F;atz zu jenen unbetonten<lb/>
durch-, über-, um-, unter-, wider- einige in&#x017F;initive an-<lb/>
führen, deren partikel den ton behält; oft &#x017F;ind es die&#x017F;el-<lb/>
ben wörter, mit nachdrücklicherer und veränderter be-<lb/>
deutung: <hi rendition="#i">durch</hi> kann beinahe allen vorhingenannten auch<lb/>
betont vorge&#x017F;etzt werden, ich habe das buch durchgele-<lb/>
&#x017F;en &#x017F;agt mehr als ich habe es durchle&#x017F;en; ich habe (ihn)<lb/>
durch&#x017F;chaut etwas anderes als, ich habe durchge&#x017F;chaut<lb/>
(durch das loch); der vogel hat das land durchflogen und<lb/>
er i&#x017F;t durchgeflogen; ich bin durchdrungen von einer<lb/>
wahrheit, der regen i&#x017F;t durchgedrungen; ich habe den<lb/>
koth durchwatet, ich bin durchgewatet. Zuweilen i&#x017F;t der<lb/>
unter&#x017F;chied im &#x017F;inn unmerklich. Die betonten <hi rendition="#i">über</hi> &#x017F;ind<lb/>
aber &#x017F;eltner als die unbetonten, weichen auch mehr ab<lb/>
in den bedeutungen, man kann &#x017F;ie zumei&#x017F;t in ein hin-<lb/>
über, herüber, darüber erweitern: über-fahren; -fliegen;<lb/>
-führen; -gehen (die &#x017F;tadt geht über, die leiche geht<lb/>
über); -hangen; -helfen; -hohlen (hohl über! zu fähr-<lb/>
leuten); -kommen; -laufen (von augen); -legen (über die<lb/>
knie); -rinnen; -&#x017F;chiffen; -&#x017F;chlagen; -&#x017F;chreiten; &#x017F;chwan-<lb/>
ken; -&#x017F;etzen; -&#x017F;pringen; -treiben; -wallen; -werfen;<lb/>
-ziehen; einigemahl &#x017F;teht es für übrig: über-bleiben,<lb/>
über-laßen. Die betonten <hi rendition="#i">um</hi> &#x017F;ind gleichfalls &#x017F;eltner, als<lb/>
die unbetonten und weichen im &#x017F;inn bedeutend ab: um-<lb/>
fahren (ein kind mit den rädern); -geben (ein tuch);<lb/>
-gehen (im kreiß); -graben (noch einmahl); -hängen (ei-<lb/>
nen mantel); -&#x017F;chreiben (von neuem); -&#x017F;chauen (in der ge-<lb/>
gend). Betontes <hi rendition="#i">unter</hi> vor wenigen wörtern, hinunter,<lb/>
darunter ausdrückend: unter-ackern; -binden (ein tuch);<lb/>
-bringen (unter dach); -gehen; -halten (ein glas); -kom-<lb/>
men; -kriechen; -legen; -mengen; -ordnen; -&#x017F;chieben;<lb/>
-&#x017F;chlagen; (ein bein); -&#x017F;inken; -&#x017F;tecken; -tauchen; -tre-<lb/>
ten; -ziehen (die &#x017F;chwelle). <hi rendition="#i">Wider</hi> im &#x017F;inne von contra:<lb/>
wider-fahren; wider-halten (re&#x017F;i&#x017F;tere); wider-reden (obloqui,<lb/>
dis&#x017F;uadere); wider-&#x017F;tehen; -&#x017F;treben; -&#x017F;treiten; öfter wenn es<lb/>
rur&#x017F;us bedeutet, wo man <hi rendition="#i">wieder</hi> &#x017F;chreibt <note xml:id="note-0892" next="#note-0893" place="foot" n="*)">die unter&#x017F;cheidung zwi&#x017F;chen <hi rendition="#i">wider</hi> und <hi rendition="#i">wieder</hi> (oben &#x017F;. 796.)<lb/>
i&#x017F;t doch wohl nicht rein erfunden, &#x017F;ondern eben auf die beobach-<lb/>
tung gegründet, daß in der zu&#x017F;. &#x017F;etzung mit verbis das unbetonte<lb/><hi rendition="#i">wider-</hi> von dem betonten <hi rendition="#i">wieder-</hi> ab&#x017F;teht, daher letzteres dem im-</note>: wieder-kauen;<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[874/0892] III. partikelcomp. — trennb. part. mit verb. nieder-laß die arme!), wo man die urſprüngliche losheit der partikel fühlt. Beiſpiele dieſer noch nicht vollſtändig eingetretenen, gleichſam nur anfliegenden zuſ. ſetzungen ſind ſchwerlich nöthig. Ich will bloß als gegenſatz zu jenen unbetonten durch-, über-, um-, unter-, wider- einige inſinitive an- führen, deren partikel den ton behält; oft ſind es dieſel- ben wörter, mit nachdrücklicherer und veränderter be- deutung: durch kann beinahe allen vorhingenannten auch betont vorgeſetzt werden, ich habe das buch durchgele- ſen ſagt mehr als ich habe es durchleſen; ich habe (ihn) durchſchaut etwas anderes als, ich habe durchgeſchaut (durch das loch); der vogel hat das land durchflogen und er iſt durchgeflogen; ich bin durchdrungen von einer wahrheit, der regen iſt durchgedrungen; ich habe den koth durchwatet, ich bin durchgewatet. Zuweilen iſt der unterſchied im ſinn unmerklich. Die betonten über ſind aber ſeltner als die unbetonten, weichen auch mehr ab in den bedeutungen, man kann ſie zumeiſt in ein hin- über, herüber, darüber erweitern: über-fahren; -fliegen; -führen; -gehen (die ſtadt geht über, die leiche geht über); -hangen; -helfen; -hohlen (hohl über! zu fähr- leuten); -kommen; -laufen (von augen); -legen (über die knie); -rinnen; -ſchiffen; -ſchlagen; -ſchreiten; ſchwan- ken; -ſetzen; -ſpringen; -treiben; -wallen; -werfen; -ziehen; einigemahl ſteht es für übrig: über-bleiben, über-laßen. Die betonten um ſind gleichfalls ſeltner, als die unbetonten und weichen im ſinn bedeutend ab: um- fahren (ein kind mit den rädern); -geben (ein tuch); -gehen (im kreiß); -graben (noch einmahl); -hängen (ei- nen mantel); -ſchreiben (von neuem); -ſchauen (in der ge- gend). Betontes unter vor wenigen wörtern, hinunter, darunter ausdrückend: unter-ackern; -binden (ein tuch); -bringen (unter dach); -gehen; -halten (ein glas); -kom- men; -kriechen; -legen; -mengen; -ordnen; -ſchieben; -ſchlagen; (ein bein); -ſinken; -ſtecken; -tauchen; -tre- ten; -ziehen (die ſchwelle). Wider im ſinne von contra: wider-fahren; wider-halten (reſiſtere); wider-reden (obloqui, disſuadere); wider-ſtehen; -ſtreben; -ſtreiten; öfter wenn es rurſus bedeutet, wo man wieder ſchreibt *): wieder-kauen; *) die unterſcheidung zwiſchen wider und wieder (oben ſ. 796.) iſt doch wohl nicht rein erfunden, ſondern eben auf die beobach- tung gegründet, daß in der zuſ. ſetzung mit verbis das unbetonte wider- von dem betonten wieder- abſteht, daher letzteres dem im-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/892
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 874. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/892>, abgerufen am 25.11.2024.