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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. laut u. ablaut. schlußbemerkungen.
nanzen harte, zu keiner zeit erlaubte wechsel zugelaßen,
kostete es geringe mühe, die verschiedenartigsten wurzeln
zu vereinbaren oder unter willkürliche bedeutungen zu
zwängen. Und mit irgend einem der heutigen dialecte
ist wenig anzufangen, wenn nicht die sämmtlichen übri-
gen, voraus die ältesten, hinzugenommen werden.

2) Indem ich der falschen methode auszuweichen
trachte, scheint mir freilich, daß ich eine richtigere noch
sehr unvollkommen ausübe. Liegen, darf gezweifelt wer-
den, jetzt schon alle verhältnisse deutscher buchstaben
und laute am tage? kann nicht fortschreitende feinere
zergliederung derselben erst den blick auf den rechten
etymologischen grund und boden leiten? Ich antworte
mit einer unterscheidung. Die bestimmung der einzelnen
buchstaben und laute, ihrer zusammensetzung und ver-
änderung läßt sich gewis noch erweitern und, da in die-
ser hinsicht die jüngeren mundarten so grob, die älteren
so fein erscheinen, genauere bekanntschaft mit den letz-
teren *) wird uns neue ansichten eröffnen, um deren
willen manche der von mir versuchten etymologien auf-
zugeben sind. Was aber den ablaut, die eigentliche
grundlage des ganzen capitels angeht, so glaube ich nicht,
daß in dieser lehre noch bedeutende änderungen erfolgen
können. Alle deutschen sprachen ohne ausnahme bewah-
ren die tiefgewurzelte unterscheidung der sechs ablau-
tenden conjugationen bis auf den heutigen tag. Die go-
thische, die formreichste, besitzt hier nicht mehr als die
neuenglische, die formärmste. Einzelne verba dieser sechs
classen verblühen, die abtheilung selbst dauert fort und
ausgestorbene stämme haben wortbildungen hinterlaßen,
welche der nämlichen abtheilung zugethan bleiben, durch-
aus keine andere zu erkennen geben. Es ist darum un-
wahrscheinlich, daß die vollständige goth. mundart oder
eine noch reichere frühere ein weiteres, unbekanntes
verhältnis des ablauts beseßen habe, bloß in jeder classe
erfreuen sie sich einer reicheren zahl von wörtern. Hier-

*) wünschenswerth bleibt festsetzung und durchführung des
richtigen unterschieds zwischen d und d beim altnordischen in-
und auslaut; ich habe 1, 315 die ungenügende Raskische regel
bezweifelt, hernach doch befolgt, in gegenwärtigem bande be-
stimmt verlaßen, so oft mich die analogie der übrigen mundarten
dazu berechtigte. Die reiche nordische sprache besitzt nur so
manche wörter ausschließlich, wo man leider nicht weiß, ob
ihnen med. gebühre oder asp.

III. laut u. ablaut. ſchlußbemerkungen.
nanzen harte, zu keiner zeit erlaubte wechſel zugelaßen,
koſtete es geringe mühe, die verſchiedenartigſten wurzeln
zu vereinbaren oder unter willkürliche bedeutungen zu
zwängen. Und mit irgend einem der heutigen dialecte
iſt wenig anzufangen, wenn nicht die ſämmtlichen übri-
gen, voraus die älteſten, hinzugenommen werden.

2) Indem ich der falſchen methode auszuweichen
trachte, ſcheint mir freilich, daß ich eine richtigere noch
ſehr unvollkommen ausübe. Liegen, darf gezweifelt wer-
den, jetzt ſchon alle verhältniſſe deutſcher buchſtaben
und laute am tage? kann nicht fortſchreitende feinere
zergliederung derſelben erſt den blick auf den rechten
etymologiſchen grund und boden leiten? Ich antworte
mit einer unterſcheidung. Die beſtimmung der einzelnen
buchſtaben und laute, ihrer zuſammenſetzung und ver-
änderung läßt ſich gewis noch erweitern und, da in die-
ſer hinſicht die jüngeren mundarten ſo grob, die älteren
ſo fein erſcheinen, genauere bekanntſchaft mit den letz-
teren *) wird uns neue anſichten eröffnen, um deren
willen manche der von mir verſuchten etymologien auf-
zugeben ſind. Was aber den ablaut, die eigentliche
grundlage des ganzen capitels angeht, ſo glaube ich nicht,
daß in dieſer lehre noch bedeutende änderungen erfolgen
können. Alle deutſchen ſprachen ohne ausnahme bewah-
ren die tiefgewurzelte unterſcheidung der ſechs ablau-
tenden conjugationen bis auf den heutigen tag. Die go-
thiſche, die formreichſte, beſitzt hier nicht mehr als die
neuengliſche, die formärmſte. Einzelne verba dieſer ſechs
claſſen verblühen, die abtheilung ſelbſt dauert fort und
ausgeſtorbene ſtämme haben wortbildungen hinterlaßen,
welche der nämlichen abtheilung zugethan bleiben, durch-
aus keine andere zu erkennen geben. Es iſt darum un-
wahrſcheinlich, daß die vollſtändige goth. mundart oder
eine noch reichere frühere ein weiteres, unbekanntes
verhältnis des ablauts beſeßen habe, bloß in jeder claſſe
erfreuen ſie ſich einer reicheren zahl von wörtern. Hier-

*) wünſchenswerth bleibt feſtſetzung und durchführung des
richtigen unterſchieds zwiſchen d und ð beim altnordiſchen in-
und auslaut; ich habe 1, 315 die ungenügende Raſkiſche regel
bezweifelt, hernach doch befolgt, in gegenwärtigem bande be-
ſtimmt verlaßen, ſo oft mich die analogie der übrigen mundarten
dazu berechtigte. Die reiche nordiſche ſprache beſitzt nur ſo
manche wörter ausſchließlich, wo man leider nicht weiß, ob
ihnen med. gebühre oder aſp.
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[68/0086] III. laut u. ablaut. ſchlußbemerkungen. nanzen harte, zu keiner zeit erlaubte wechſel zugelaßen, koſtete es geringe mühe, die verſchiedenartigſten wurzeln zu vereinbaren oder unter willkürliche bedeutungen zu zwängen. Und mit irgend einem der heutigen dialecte iſt wenig anzufangen, wenn nicht die ſämmtlichen übri- gen, voraus die älteſten, hinzugenommen werden. 2) Indem ich der falſchen methode auszuweichen trachte, ſcheint mir freilich, daß ich eine richtigere noch ſehr unvollkommen ausübe. Liegen, darf gezweifelt wer- den, jetzt ſchon alle verhältniſſe deutſcher buchſtaben und laute am tage? kann nicht fortſchreitende feinere zergliederung derſelben erſt den blick auf den rechten etymologiſchen grund und boden leiten? Ich antworte mit einer unterſcheidung. Die beſtimmung der einzelnen buchſtaben und laute, ihrer zuſammenſetzung und ver- änderung läßt ſich gewis noch erweitern und, da in die- ſer hinſicht die jüngeren mundarten ſo grob, die älteren ſo fein erſcheinen, genauere bekanntſchaft mit den letz- teren *) wird uns neue anſichten eröffnen, um deren willen manche der von mir verſuchten etymologien auf- zugeben ſind. Was aber den ablaut, die eigentliche grundlage des ganzen capitels angeht, ſo glaube ich nicht, daß in dieſer lehre noch bedeutende änderungen erfolgen können. Alle deutſchen ſprachen ohne ausnahme bewah- ren die tiefgewurzelte unterſcheidung der ſechs ablau- tenden conjugationen bis auf den heutigen tag. Die go- thiſche, die formreichſte, beſitzt hier nicht mehr als die neuengliſche, die formärmſte. Einzelne verba dieſer ſechs claſſen verblühen, die abtheilung ſelbſt dauert fort und ausgeſtorbene ſtämme haben wortbildungen hinterlaßen, welche der nämlichen abtheilung zugethan bleiben, durch- aus keine andere zu erkennen geben. Es iſt darum un- wahrſcheinlich, daß die vollſtändige goth. mundart oder eine noch reichere frühere ein weiteres, unbekanntes verhältnis des ablauts beſeßen habe, bloß in jeder claſſe erfreuen ſie ſich einer reicheren zahl von wörtern. Hier- *) wünſchenswerth bleibt feſtſetzung und durchführung des richtigen unterſchieds zwiſchen d und ð beim altnordiſchen in- und auslaut; ich habe 1, 315 die ungenügende Raſkiſche regel bezweifelt, hernach doch befolgt, in gegenwärtigem bande be- ſtimmt verlaßen, ſo oft mich die analogie der übrigen mundarten dazu berechtigte. Die reiche nordiſche ſprache beſitzt nur ſo manche wörter ausſchließlich, wo man leider nicht weiß, ob ihnen med. gebühre oder aſp.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/86>, abgerufen am 28.11.2024.