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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. partikelcomp. -- untr. part. mit verb.
willkürlich, vielleicht verschiedene schreiber auszeichnend?
Das ir- herrscht O. mons. und ker. (etwa von 32-289.
an, denn von 1-32. gilt ar-, und ebenso verhalten sich
fir- und far- daselbst). Sichtbar ist weniger willkür an-
zunehmen, als dialectische verschiedenheit. Uebrigens
bedeuten diese ahd. ar-, ir-, er-, ur- sämtlich gleichviel.
Alts. und ags. gelten a (für as-), dessen länge wohl nicht
zu bezweifeln steht; einmahl scheint die E. H. ao- zu
gewähren (ao-drobde, tristitia affectus est); bis aufs engl.
herab haben sich die verba mit a- zwar stufenweise ge-
mindert, nie ganz verloren. Alle ags. or- gehören der com-
polsition mit nom. an, z. b. or-sorgjan (securus esse) or-trauv-
jan stammen von or-sorge (securus) or-treove (perfidus).
Mhd. und nhd. lautet die part. einförmig er-, in einzelnen
oberdeutschen volksmundarten der-, tirol. dar- (Reinwald
henneb. id. 1, 21. 184. 2, 17. Schm. §. 451. 1059.) und von die-
sem der- finden sich schon frühe spuren, namentlich im
sgall. cod. der Nib. der-warp 4531. der-beißte 6119, oder
in der abschrift, wonach Conr. troj. kr. gedruckt ist, z. b.
1509. der-haben; ganz häufig bei Casp. von der rön.
Ich weiß es eben nicht genügend zu erklären. -- Die
bedeutungen der partikel sind manigfalt: 1) zum grund
lege ich die, welche das gelangen von innen nach außen,
das her, ausdrückt, die richtung des hin aber andern
partikeln oder dem verbo selbst zu bezeichnen überläßt.
So heißt goth. us-gaggan (exire), verstärkt und näher
bestimmt ut-us-gaggan oder us-gaggan ut; aber das ahd.
ar-kankan, ags. a-gangan oder selbst das goth. us-leithan
haben schon diesen reinen begriff selten (z. b. ar-gang
exi, T. 19, 8.), gewöhnlicher die nebenbedeutung nr. 7.
Wir müsten, um andere beispiele, die noch hierher fal-
len, sicher zu beurtheilen, über den sinn mancher einfa-
chen verba im reinen sein. -- 2) bereits in der ältesten
zeit scheint in der componierten part. mehr zu liegen, als
in der bloßen praeposition us, ar, ir, ur, nämlich die
bewegung von unten in die höhe, das herauf. Daher
auch gleichbedeutige neuere comp. nicht mit aus-, son-
dern mit auf- gebildet werden, viele gr. ana entsprechen
und die verstärkenden decomp. auf-ar-, auf-er-, ags. up-a-,
(das altn. upp-a ist ganz verschieden, ahd. auf-ana, ags.
up-on) eintreten. Der begriff kann sowohl intransitiv
sein, als transitiv. Goth. us-bairan (efferre, proferre)
zuweilen respondere Marc. 11, 14; us-fulljan (implere)
von unten bis oben, Joh. 16, 241. Neh. 6, 16. Philip. 2.
29; us-graban (ooussein); us-hafjan (elevare); us-hahjan

F f f 2

III. partikelcomp. — untr. part. mit verb.
willkürlich, vielleicht verſchiedene ſchreiber auszeichnend?
Das ir- herrſcht O. monſ. und ker. (etwa von 32-289.
an, denn von 1-32. gilt ar-, und ebenſo verhalten ſich
fir- und far- daſelbſt). Sichtbar iſt weniger willkür an-
zunehmen, als dialectiſche verſchiedenheit. Uebrigens
bedeuten dieſe ahd. ar-, ir-, er-, ur- ſämtlich gleichviel.
Altſ. und agſ. gelten â (für as-), deſſen länge wohl nicht
zu bezweifeln ſteht; einmahl ſcheint die E. H. ao- zu
gewähren (ao-drôbde, triſtitia affectus eſt); bis aufs engl.
herab haben ſich die verba mit a- zwar ſtufenweiſe ge-
mindert, nie ganz verloren. Alle agſ. or- gehören der com-
polſition mit nom. an, z. b. or-ſorgjan (ſecurus eſſe) or-trûv-
jan ſtammen von or-ſorge (ſecurus) or-trëóve (perfidus).
Mhd. und nhd. lautet die part. einförmig er-, in einzelnen
oberdeutſchen volksmundarten der-, tirol. dar- (Reinwald
henneb. id. 1, 21. 184. 2, 17. Schm. §. 451. 1059.) und von die-
ſem der- finden ſich ſchon frühe ſpuren, namentlich im
ſgall. cod. der Nib. der-warp 4531. der-beiƷte 6119, oder
in der abſchrift, wonach Conr. troj. kr. gedruckt iſt, z. b.
1509. der-haben; ganz häufig bei Caſp. von der rön.
Ich weiß es eben nicht genügend zu erklären. — Die
bedeutungen der partikel ſind manigfalt: 1) zum grund
lege ich die, welche das gelangen von innen nach außen,
das her, ausdrückt, die richtung des hin aber andern
partikeln oder dem verbo ſelbſt zu bezeichnen überläßt.
So heißt goth. us-gaggan (exire), verſtärkt und näher
beſtimmt ut-us-gaggan oder us-gaggan ut; aber das ahd.
ar-kankan, agſ. â-gangan oder ſelbſt das goth. us-leiþan
haben ſchon dieſen reinen begriff ſelten (z. b. ar-gang
exi, T. 19, 8.), gewöhnlicher die nebenbedeutung nr. 7.
Wir müſten, um andere beiſpiele, die noch hierher fal-
len, ſicher zu beurtheilen, über den ſinn mancher einfa-
chen verba im reinen ſein. — 2) bereits in der älteſten
zeit ſcheint in der componierten part. mehr zu liegen, als
in der bloßen praepoſition us, ar, ir, ur, nämlich die
bewegung von unten in die höhe, das herauf. Daher
auch gleichbedeutige neuere comp. nicht mit aus-, ſon-
dern mit auf- gebildet werden, viele gr. ἀνα entſprechen
und die verſtärkenden decomp. ûf-ar-, auf-er-, agſ. up-â-,
(das altn. upp-â iſt ganz verſchieden, ahd. ûf-ana, agſ.
up-on) eintreten. Der begriff kann ſowohl intranſitiv
ſein, als tranſitiv. Goth. us-baíran (efferre, proferre)
zuweilen reſpondere Marc. 11, 14; us-fulljan (implere)
von unten bis oben, Joh. 16, 241. Neh. 6, 16. Philip. 2.
29; us-graban (ὀούσσειν); us-hafjan (elevare); us-hahjan

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[819/0837] III. partikelcomp. — untr. part. mit verb. willkürlich, vielleicht verſchiedene ſchreiber auszeichnend? Das ir- herrſcht O. monſ. und ker. (etwa von 32-289. an, denn von 1-32. gilt ar-, und ebenſo verhalten ſich fir- und far- daſelbſt). Sichtbar iſt weniger willkür an- zunehmen, als dialectiſche verſchiedenheit. Uebrigens bedeuten dieſe ahd. ar-, ir-, er-, ur- ſämtlich gleichviel. Altſ. und agſ. gelten â (für as-), deſſen länge wohl nicht zu bezweifeln ſteht; einmahl ſcheint die E. H. ao- zu gewähren (ao-drôbde, triſtitia affectus eſt); bis aufs engl. herab haben ſich die verba mit a- zwar ſtufenweiſe ge- mindert, nie ganz verloren. Alle agſ. or- gehören der com- polſition mit nom. an, z. b. or-ſorgjan (ſecurus eſſe) or-trûv- jan ſtammen von or-ſorge (ſecurus) or-trëóve (perfidus). Mhd. und nhd. lautet die part. einförmig er-, in einzelnen oberdeutſchen volksmundarten der-, tirol. dar- (Reinwald henneb. id. 1, 21. 184. 2, 17. Schm. §. 451. 1059.) und von die- ſem der- finden ſich ſchon frühe ſpuren, namentlich im ſgall. cod. der Nib. der-warp 4531. der-beiƷte 6119, oder in der abſchrift, wonach Conr. troj. kr. gedruckt iſt, z. b. 1509. der-haben; ganz häufig bei Caſp. von der rön. Ich weiß es eben nicht genügend zu erklären. — Die bedeutungen der partikel ſind manigfalt: 1) zum grund lege ich die, welche das gelangen von innen nach außen, das her, ausdrückt, die richtung des hin aber andern partikeln oder dem verbo ſelbſt zu bezeichnen überläßt. So heißt goth. us-gaggan (exire), verſtärkt und näher beſtimmt ut-us-gaggan oder us-gaggan ut; aber das ahd. ar-kankan, agſ. â-gangan oder ſelbſt das goth. us-leiþan haben ſchon dieſen reinen begriff ſelten (z. b. ar-gang exi, T. 19, 8.), gewöhnlicher die nebenbedeutung nr. 7. Wir müſten, um andere beiſpiele, die noch hierher fal- len, ſicher zu beurtheilen, über den ſinn mancher einfa- chen verba im reinen ſein. — 2) bereits in der älteſten zeit ſcheint in der componierten part. mehr zu liegen, als in der bloßen praepoſition us, ar, ir, ur, nämlich die bewegung von unten in die höhe, das herauf. Daher auch gleichbedeutige neuere comp. nicht mit aus-, ſon- dern mit auf- gebildet werden, viele gr. ἀνα entſprechen und die verſtärkenden decomp. ûf-ar-, auf-er-, agſ. up-â-, (das altn. upp-â iſt ganz verſchieden, ahd. ûf-ana, agſ. up-on) eintreten. Der begriff kann ſowohl intranſitiv ſein, als tranſitiv. Goth. us-baíran (efferre, proferre) zuweilen reſpondere Marc. 11, 14; us-fulljan (implere) von unten bis oben, Joh. 16, 241. Neh. 6, 16. Philip. 2. 29; us-graban (ὀούσσειν); us-hafjan (elevare); us-hahjan F f f 2

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 819. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/837>, abgerufen am 25.11.2024.