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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. partikelcomposition. -- part. mit nom.
von 1267. (Günther cod. dipl. rhenomos. 2, 355.) liest ane-
gerve, wo ein anderes exemplar ganerve. Die zweite
ansicht vergleicht gan-erbe mit dem im seeländ. und scho-
nischen gesetz vorkommenden gang-arv (Kofod Ancher
I, 374. 375.) dem gegensatz von fram-arv. Hierfür ließe
sich höchstens die angeführte falsche lesart canh-erbo in
der stelle bei N. anschlagen, insofern sie cang-erbo bedeu-
tete; übrigens weicht der begriff des dän. gang-arv (altn.
kein gang-arfi) ganz von dem des deutschen gan-erbe ab
und die verkürzung aus ganc-erbo, gang-erbe hat gar
keinen schein. z) endlich habe ich bis hierher aufgeho-
ben das räthselhafte ahd. gan-eistara, mhd. gan-eiste (scin-
tilla), wovon oben s. 370. bei ganz dunkler wurzel gan
oder gan die ableitung -eist gesucht wurde. Den dorti-
gen citaten ist aus sgall. 183. ganastra (f. ganeistra) beizu-
fügen. Wäre nun umgedreht eista wurzel, gan partikel,
so würde begreiflicher, wie sich aus gan-eistra, gan-eisto
späterhin gaen-ster und gn-eiste, altn. gn-eisti, n-eisti ne-
beneinander entwickelten (warum aber nicht ga-eisto,
g-eisto?). Die wurzel eisa (cinis ignitus) belegt das
altn. (Biörn fehlerhaft eysa, vgl. das verbum eisa, aestuare,
saem. edd. 153a) so daß gn-eisti, gan-eisto leicht socius ignis
oder etwas dergl. bedeuten könnte. Keines dieser bei-
spiele (von a bis z) gebe ich für mehr als bloße vermu-
thung, welcher namentlich entgegensteht, daß im goth.
nur ga-, keine spur von gan-, gam- anzutreffen ist. Und
wie verhält sich dazu die formell nicht unwahrscheinliche
verwandtschaft mit der gleichfolgenden partikel?

ahd. kakan, gagan (contra) könnte, wie contra mit
cum, com-, con- (intra in, extra ex, supra sub etc.) mit
der eben abgehandelten part. ka-, ga- in berührung stehen,
nach analogie von in innan, auß außan, oba oban etc.;
die übergänge der bedeutung (vgl. wid, widar; ags. vid,
vider; oder den doppelsinn von and-) befremden weni-
ger, als das verhältnis der doppelten gutturalis. Die ags.
form lautet gegn und gean, das zuweilen und wohl richtiger
gan, gen (gaen, gen?) geschrieben auf gägen (wie vän auf
vägen) führt; altn. gagn und gegn; bei Ulf. kommt die
part. gar nicht vor *). Mit nominibus geht sie nur selten
composition ein. Ahd. gagen-lauta (tonus) N. Cap. 145;

*) oder wäre sie mit ga-geigan (lucrari) franz. gagner einer
wurzel, wie das altn. gagn wirklich iucrum, franz. gain heißt?
das brächte auf einen ganz andern weg, der aber auch formelle
schwierigkeit hat.

III. partikelcompoſition. — part. mit nom.
von 1267. (Günther cod. dipl. rhenomoſ. 2, 355.) lieſt ane-
gerve, wo ein anderes exemplar ganerve. Die zweite
anſicht vergleicht gan-erbe mit dem im ſeeländ. und ſcho-
niſchen geſetz vorkommenden gang-arv (Kofod Ancher
I, 374. 375.) dem gegenſatz von fram-arv. Hierfür ließe
ſich höchſtens die angeführte falſche lesart canh-erbo in
der ſtelle bei N. anſchlagen, inſofern ſie cang-erbo bedeu-
tete; übrigens weicht der begriff des dän. gang-arv (altn.
kein gâng-arfi) ganz von dem des deutſchen gan-erbe ab
und die verkürzung aus ganc-erbo, gang-erbe hat gar
keinen ſchein. ζ) endlich habe ich bis hierher aufgeho-
ben das räthſelhafte ahd. gan-eiſtara, mhd. gan-eiſte (ſcin-
tilla), wovon oben ſ. 370. bei ganz dunkler wurzel gan
oder gân die ableitung -eiſt geſucht wurde. Den dorti-
gen citaten iſt aus ſgall. 183. ganaſtra (f. ganeiſtra) beizu-
fügen. Wäre nun umgedreht eiſta wurzel, gan partikel,
ſo würde begreiflicher, wie ſich aus gan-eiſtra, gan-eiſto
ſpäterhin gæn-ſter und gn-eiſte, altn. gn-eiſti, n-eiſti ne-
beneinander entwickelten (warum aber nicht ga-eiſto,
g-eiſto?). Die wurzel eiſa (cinis ignitus) belegt das
altn. (Biörn fehlerhaft eyſa, vgl. das verbum eiſa, aeſtuare,
ſæm. edd. 153a) ſo daß gn-eiſti, gan-eiſto leicht ſocius ignis
oder etwas dergl. bedeuten könnte. Keines dieſer bei-
ſpiele (von α bis ζ) gebe ich für mehr als bloße vermu-
thung, welcher namentlich entgegenſteht, daß im goth.
nur ga-, keine ſpur von gan-, gam- anzutreffen iſt. Und
wie verhält ſich dazu die formell nicht unwahrſcheinliche
verwandtſchaft mit der gleichfolgenden partikel?

ahd. kakan, gagan (contra) könnte, wie contra mit
cum, com-, con- (intra in, extra ex, ſupra ſub etc.) mit
der eben abgehandelten part. ka-, ga- in berührung ſtehen,
nach analogie von in innan, ûƷ ûƷƷan, oba oban etc.;
die übergänge der bedeutung (vgl. wid, widar; agſ. við,
viðer; oder den doppelſinn von and-) befremden weni-
ger, als das verhältnis der doppelten gutturalis. Die agſ.
form lautet gegn und gëan, das zuweilen und wohl richtiger
gân, gen (gæn, gên?) geſchrieben auf gägen (wie vän auf
vägen) führt; altn. gagn und gegn; bei Ulf. kommt die
part. gar nicht vor *). Mit nominibus geht ſie nur ſelten
compoſition ein. Ahd. gagen-lûta (tonus) N. Cap. 145;

*) oder wäre ſie mit ga-geigan (lucrari) franz. gagner einer
wurzel, wie das altn. gagn wirklich iucrum, franz. gain heißt?
das brächte auf einen ganz andern weg, der aber auch formelle
ſchwierigkeit hat.
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[754/0772] III. partikelcompoſition. — part. mit nom. von 1267. (Günther cod. dipl. rhenomoſ. 2, 355.) lieſt ane- gerve, wo ein anderes exemplar ganerve. Die zweite anſicht vergleicht gan-erbe mit dem im ſeeländ. und ſcho- niſchen geſetz vorkommenden gang-arv (Kofod Ancher I, 374. 375.) dem gegenſatz von fram-arv. Hierfür ließe ſich höchſtens die angeführte falſche lesart canh-erbo in der ſtelle bei N. anſchlagen, inſofern ſie cang-erbo bedeu- tete; übrigens weicht der begriff des dän. gang-arv (altn. kein gâng-arfi) ganz von dem des deutſchen gan-erbe ab und die verkürzung aus ganc-erbo, gang-erbe hat gar keinen ſchein. ζ) endlich habe ich bis hierher aufgeho- ben das räthſelhafte ahd. gan-eiſtara, mhd. gan-eiſte (ſcin- tilla), wovon oben ſ. 370. bei ganz dunkler wurzel gan oder gân die ableitung -eiſt geſucht wurde. Den dorti- gen citaten iſt aus ſgall. 183. ganaſtra (f. ganeiſtra) beizu- fügen. Wäre nun umgedreht eiſta wurzel, gan partikel, ſo würde begreiflicher, wie ſich aus gan-eiſtra, gan-eiſto ſpäterhin gæn-ſter und gn-eiſte, altn. gn-eiſti, n-eiſti ne- beneinander entwickelten (warum aber nicht ga-eiſto, g-eiſto?). Die wurzel eiſa (cinis ignitus) belegt das altn. (Biörn fehlerhaft eyſa, vgl. das verbum eiſa, aeſtuare, ſæm. edd. 153a) ſo daß gn-eiſti, gan-eiſto leicht ſocius ignis oder etwas dergl. bedeuten könnte. Keines dieſer bei- ſpiele (von α bis ζ) gebe ich für mehr als bloße vermu- thung, welcher namentlich entgegenſteht, daß im goth. nur ga-, keine ſpur von gan-, gam- anzutreffen iſt. Und wie verhält ſich dazu die formell nicht unwahrſcheinliche verwandtſchaft mit der gleichfolgenden partikel? ahd. kakan, gagan (contra) könnte, wie contra mit cum, com-, con- (intra in, extra ex, ſupra ſub etc.) mit der eben abgehandelten part. ka-, ga- in berührung ſtehen, nach analogie von in innan, ûƷ ûƷƷan, oba oban etc.; die übergänge der bedeutung (vgl. wid, widar; agſ. við, viðer; oder den doppelſinn von and-) befremden weni- ger, als das verhältnis der doppelten gutturalis. Die agſ. form lautet gegn und gëan, das zuweilen und wohl richtiger gân, gen (gæn, gên?) geſchrieben auf gägen (wie vän auf vägen) führt; altn. gagn und gegn; bei Ulf. kommt die part. gar nicht vor *). Mit nominibus geht ſie nur ſelten compoſition ein. Ahd. gagen-lûta (tonus) N. Cap. 145; *) oder wäre ſie mit ga-geigan (lucrari) franz. gagner einer wurzel, wie das altn. gagn wirklich iucrum, franz. gain heißt? das brächte auf einen ganz andern weg, der aber auch formelle ſchwierigkeit hat.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 754. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/772>, abgerufen am 16.07.2024.