1) das erste wort, d. h. das adj. läßt sich zwar häu- fig, der bedeutung nach, in ein freies adj. auflösen und für einzelne fälle mögen zeit und mundart das eine oder das andere vorziehen. So sagen wir z. b. nhd. kurz-weile (nicht kurze weile) aber lange weile (nicht lang-weile, obwohl lang-weilig) auch ahd. churz-weila N. Boeth. 66. mhd. kurze-weile Trist. 72; statt hoch-zeit würde uns hohe zeit unverständlich sein, ahd. zen hohon gizeitin, thio hohaun gizeitei O. I. 22, 4. IV. 8, 12; N. p. 262a, 17. setzt smaleß feho, nicht smale-feho; K. 16b ubilem tatim, 17b cuatem tatim; O. I. 25, 10. smaher scalc; unser nhd. mit- tag wird noch im mhd. uncomponiert durch mitter tac gegeben. Die composition erfolgt erst, wenn ein häufiger gebrauch gewisse adj. mit gewissen subst. ins verhältnis gesetzt hat. Gewöhnlich entspringt dann ein eigenthüm- licher, festerer, unfinnlicherer begriff und die zurückfüh- rung in das lose adj. ist meistens unthunlich. Süßholz kann z. b. erklärt werden durch: das süße holz, bezeich- net aber ein bestimmtes holz, das sich von jedem andern, mit gleicher eigenschaft der süßigkeit begabten unterschei- det; leicht-sinn ist beinahe was leichter sinn, tief-sinn aber von tiefer sinn sehr verschieden. Noch weniger dürsen composita, wie groß-vater, alt-mutter und die menge ähnlicher übersetzt werden in: großer vater, alte mutter, indem sie ganz etwas anderes aussagen. Ver- schiedne laßen sich nicht einmahl durch ein adj. zum zweiten wort deuten, z. b. siech-haus ist ein haus für sieche, grob schmied einer der grobes geräth schmiedet, altn. lang-sög serra, quae in longitud. secat.
1) das erſte wort, d. h. das adj. läßt ſich zwar häu- fig, der bedeutung nach, in ein freies adj. auflöſen und für einzelne fälle mögen zeit und mundart das eine oder das andere vorziehen. So ſagen wir z. b. nhd. kurz-weile (nicht kurze weile) aber lange weile (nicht lang-weile, obwohl lang-weilig) auch ahd. churz-wîla N. Boeth. 66. mhd. kurze-wîle Triſt. 72; ſtatt hoch-zeit würde uns hohe zeit unverſtändlich ſein, ahd. zên hôhon gizîtin, thiô hôhûn gizîtî O. I. 22, 4. IV. 8, 12; N. p. 262a, 17. ſetzt ſmaleƷ fëho, nicht ſmale-fëho; K. 16b ubilêm tâtim, 17b cuatêm tâtim; O. I. 25, 10. ſmâhêr ſcalc; unſer nhd. mit- tag wird noch im mhd. uncomponiert durch mitter tac gegeben. Die compoſition erfolgt erſt, wenn ein häufiger gebrauch gewiſſe adj. mit gewiſſen ſubſt. ins verhältnis geſetzt hat. Gewöhnlich entſpringt dann ein eigenthüm- licher, feſterer, unfinnlichérer begriff und die zurückfüh- rung in das loſe adj. iſt meiſtens unthunlich. Süßholz kann z. b. erklärt werden durch: das ſüße holz, bezeich- net aber ein beſtimmtes holz, das ſich von jedem andern, mit gleicher eigenſchaft der ſüßigkeit begabten unterſchei- det; leicht-ſinn iſt beinahe was leichter ſinn, tief-ſinn aber von tiefer ſinn ſehr verſchieden. Noch weniger dürſen compoſita, wie groß-vater, alt-mutter und die menge ähnlicher überſetzt werden in: großer vater, alte mutter, indem ſie ganz etwas anderes ausſagen. Ver- ſchiedne laßen ſich nicht einmahl durch ein adj. zum zweiten wort deuten, z. b. ſiech-haus iſt ein haus für ſieche, grob ſchmied einer der grobes geräth ſchmiedet, altn. lâng-ſög ſerra, quae in longitud. ſecat.
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III. adj. eigentl. comp. — adj. mit ſubſt.
nhd. ſinn (animus): froh-finn; leicht-ſinn; ſcharf-ſinn;
tiefſinn; trüb-ſinn.
ſkafts? (indoles): ahd. kimein-ſcaf (commercium) ker.
64. — agſ. gemæn-ſcipe (communio). — altn. blîð-ſkapr
(blanditiae). — mhd. gemeinſchaft; bereit-ſch. Triſt. — mnl.
blî-ſcap Maerl. 2, 410; gram-ſcap 1, 107. 180; lief-ſcap 1,
11; vroet-ſcap 2, 94. — nhd. baar-ſchaft; kund-ſchaft;
lieb-ſchaft; gemein-ſchaft; bereit-ſchaft. Unrichtig war
alſo ſ. 544. die comp. von -ſchaft mit adj. geleugnet wor-
den; ſie iſt bloß ſelten, zumahl in der alten ſprache.
vaúrdi? (dictum): altn. ill-yrdi (maledictum); ſann-
yrdi (veritas); ſtôr-yrdi (convitia).
Bemerkungen zu der eig. comp. des adj. mit ſubſt.
1) das erſte wort, d. h. das adj. läßt ſich zwar häu-
fig, der bedeutung nach, in ein freies adj. auflöſen und
für einzelne fälle mögen zeit und mundart das eine oder
das andere vorziehen. So ſagen wir z. b. nhd. kurz-weile
(nicht kurze weile) aber lange weile (nicht lang-weile,
obwohl lang-weilig) auch ahd. churz-wîla N. Boeth. 66.
mhd. kurze-wîle Triſt. 72; ſtatt hoch-zeit würde uns
hohe zeit unverſtändlich ſein, ahd. zên hôhon gizîtin, thiô
hôhûn gizîtî O. I. 22, 4. IV. 8, 12; N. p. 262a, 17. ſetzt
ſmaleƷ fëho, nicht ſmale-fëho; K. 16b ubilêm tâtim, 17b
cuatêm tâtim; O. I. 25, 10. ſmâhêr ſcalc; unſer nhd. mit-
tag wird noch im mhd. uncomponiert durch mitter tac
gegeben. Die compoſition erfolgt erſt, wenn ein häufiger
gebrauch gewiſſe adj. mit gewiſſen ſubſt. ins verhältnis
geſetzt hat. Gewöhnlich entſpringt dann ein eigenthüm-
licher, feſterer, unfinnlichérer begriff und die zurückfüh-
rung in das loſe adj. iſt meiſtens unthunlich. Süßholz
kann z. b. erklärt werden durch: das ſüße holz, bezeich-
net aber ein beſtimmtes holz, das ſich von jedem andern,
mit gleicher eigenſchaft der ſüßigkeit begabten unterſchei-
det; leicht-ſinn iſt beinahe was leichter ſinn, tief-ſinn
aber von tiefer ſinn ſehr verſchieden. Noch weniger
dürſen compoſita, wie groß-vater, alt-mutter und die
menge ähnlicher überſetzt werden in: großer vater, alte
mutter, indem ſie ganz etwas anderes ausſagen. Ver-
ſchiedne laßen ſich nicht einmahl durch ein adj. zum
zweiten wort deuten, z. b. ſiech-haus iſt ein haus für
ſieche, grob ſchmied einer der grobes geräth ſchmiedet,
altn. lâng-ſög ſerra, quae in longitud. ſecat.
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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 646. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/664>, abgerufen am 22.11.2024.
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