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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. subst. eigentl. comp. -- subst. mit verb.
bums, der inf. und die participia, wie wir unten sehen
werden, sich auch mehr der composition zuwenden.

4) ausnahmen von der regel sind daran zu erkennen,
daß sich ein starkes verbum substantivisch componieren
läßt, weil in diesem fall ableitung von einem andern
compositum undenkbar ist. a) wichtigste und älteste aus-
nahme scheint mir die zusammensetzung mit missa-, wel-
ches s. 470. 471. für ein subst. erklärt wurde und sich
ohne zweifel an starke wie schwache verba fügt. Zwar
bietet Ulf. noch kein beispiel dar, aber im ahd. kommen
sie so häufig vor, daß es vollständiger aufzählung nicht
bedarf: missi-weiß (desipit); missi-gangan, missi-giang;
missi-fahan, missi-fiang, missi-hellan, missi-hillit, missi-pio-
tan, missi-piutit, missi-pot; missi-tuon, missi-teta, missi-
tatun; missi-sezan, missi-sazta etc. Ebenso mhd. misse-
vallen, misse-viel; misse-hellen; misse-zemen, misse-zam,
misse-zaeme; misse-bieten, -bot; misse-reden; misse-ha-
ben; misse-tuon; nhd. mis-fallen, -fiel; mis-handeln, han-
delte, ge-mis-handelt u. a. m. ags. mis-beodan, mis-bead;
mis-limpan, mis-lamp; mis-gretan, mis-grette etc. end-
lich altn. mis-bioda, mis-baud; mis-briota, mis-bryt,
-braut, -brotinn; mis-gruna, mis-grunadi. Wenn auch
einzelne schwache bloß abgeleitet wären, z. b. ahd. missa-
zumston mons. 409. von missa-zumft oder altn. mis-kaupa
von mis-kaup, mis-lika von mis-leikr; so findet bei an-
dern schwachen dieser ausweg nicht statt und ohnehin
bei keinem starken. Offenbar verhält sich missa-, missi-,
mis- in solchen zusammensetzungen ganz wie andere un-
trennbare partikeln, von welchen §. 4. handeln wird und
gleicht ihnen auch in der abstract gewordnen privativen
bedeutung. Zeugt also unsere ausnahme wider seinen
substantivischen ursprung? ihn aufgegeben, fiele die aus-
nahme selbst weg. Er braucht aber nicht aufgegeben zu
werden, meine ich. Die adjectivische composition wird
hernach eine ganz analoge ausnahme in den ersten wör-
tern folla- und wana- darbieten, welchen ihr adjectivi-
scher ursprung nicht abgestritten werden kann, falls dem
letztern nicht gar ein substantivischer gebührt. Vielleicht
entdecken wir künftig unter den subst. zusammensetzun-
gen dergleichen anomalien mehr, z. b. ein bora-weiß (su-
persapit?) wäre nicht unmöglich. -- b) im altn. oder
vielmehr isländischen begegnen verschiedne starke verba
mit subst. componiert, namentlich bei Biörn: fot-troda
(conculcare) hand-hefja (juvare) lög-bioda (publice auctio-
nari) lög-taka (in legem recipere) kne-kriupa (genuflectere),

III. ſubſt. eigentl. comp. — ſubſt. mit verb.
bums, der inf. und die participia, wie wir unten ſehen
werden, ſich auch mehr der compoſition zuwenden.

4) ausnahmen von der regel ſind daran zu erkennen,
daß ſich ein ſtarkes verbum ſubſtantiviſch componieren
läßt, weil in dieſem fall ableitung von einem andern
compoſitum undenkbar iſt. α) wichtigſte und älteſte aus-
nahme ſcheint mir die zuſammenſetzung mit miſſa-, wel-
ches ſ. 470. 471. für ein ſubſt. erklärt wurde und ſich
ohne zweifel an ſtarke wie ſchwache verba fügt. Zwar
bietet Ulf. noch kein beiſpiel dar, aber im ahd. kommen
ſie ſo häufig vor, daß es vollſtändiger aufzählung nicht
bedarf: miſſi-weiƷ (deſipit); miſſi-gangan, miſſi-giang;
miſſi-fahan, miſſi-fiang, miſſi-hëllan, miſſi-hillit, miſſi-pio-
tan, miſſi-piutit, miſſi-pôt; miſſi-tuon, miſſi-tëta, miſſi-
tâtun; miſſi-ſezan, miſſi-ſazta etc. Ebenſo mhd. miſſe-
vallen, miſſe-viel; miſſe-hëllen; miſſe-zëmen, miſſe-zam,
miſſe-zæme; miſſe-bieten, -bôt; miſſe-rëden; miſſe-ha-
ben; miſſe-tuon; nhd. mis-fallen, -fiel; mis-handeln, han-
delte, ge-mis-handelt u. a. m. agſ. mis-bëódan, mis-beád;
mis-limpan, mis-lamp; mis-grêtan, mis-grêtte etc. end-
lich altn. mis-bióda, mis-baud; mis-brióta, mis-brŷt,
-braut, -brotinn; mis-gruna, mis-grunadi. Wenn auch
einzelne ſchwache bloß abgeleitet wären, z. b. ahd. miſſa-
zumſtôn monſ. 409. von miſſa-zumft oder altn. mis-kaupa
von mis-kaup, mis-lika von mis-lîkr; ſo findet bei an-
dern ſchwachen dieſer ausweg nicht ſtatt und ohnehin
bei keinem ſtarken. Offenbar verhält ſich miſſa-, miſſi-,
mis- in ſolchen zuſammenſetzungen ganz wie andere un-
trennbare partikeln, von welchen §. 4. handeln wird und
gleicht ihnen auch in der abſtract gewordnen privativen
bedeutung. Zeugt alſo unſere ausnahme wider ſeinen
ſubſtantiviſchen urſprung? ihn aufgegeben, fiele die aus-
nahme ſelbſt weg. Er braucht aber nicht aufgegeben zu
werden, meine ich. Die adjectiviſche compoſition wird
hernach eine ganz analoge ausnahme in den erſten wör-
tern folla- und wana- darbieten, welchen ihr adjectivi-
ſcher urſprung nicht abgeſtritten werden kann, falls dem
letztern nicht gar ein ſubſtantiviſcher gebührt. Vielleicht
entdecken wir künftig unter den ſubſt. zuſammenſetzun-
gen dergleichen anomalien mehr, z. b. ein bora-weiƷ (ſu-
perſapit?) wäre nicht unmöglich. — β) im altn. oder
vielmehr iſländiſchen begegnen verſchiedne ſtarke verba
mit ſubſt. componiert, namentlich bei Biörn: fôt-troda
(conculcare) hand-hefja (juvare) lög-bióda (publice auctio-
nari) lög-taka (in legem recipere) knê-kriupa (genuflectere),

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[587/0605] III. ſubſt. eigentl. comp. — ſubſt. mit verb. bums, der inf. und die participia, wie wir unten ſehen werden, ſich auch mehr der compoſition zuwenden. 4) ausnahmen von der regel ſind daran zu erkennen, daß ſich ein ſtarkes verbum ſubſtantiviſch componieren läßt, weil in dieſem fall ableitung von einem andern compoſitum undenkbar iſt. α) wichtigſte und älteſte aus- nahme ſcheint mir die zuſammenſetzung mit miſſa-, wel- ches ſ. 470. 471. für ein ſubſt. erklärt wurde und ſich ohne zweifel an ſtarke wie ſchwache verba fügt. Zwar bietet Ulf. noch kein beiſpiel dar, aber im ahd. kommen ſie ſo häufig vor, daß es vollſtändiger aufzählung nicht bedarf: miſſi-weiƷ (deſipit); miſſi-gangan, miſſi-giang; miſſi-fahan, miſſi-fiang, miſſi-hëllan, miſſi-hillit, miſſi-pio- tan, miſſi-piutit, miſſi-pôt; miſſi-tuon, miſſi-tëta, miſſi- tâtun; miſſi-ſezan, miſſi-ſazta etc. Ebenſo mhd. miſſe- vallen, miſſe-viel; miſſe-hëllen; miſſe-zëmen, miſſe-zam, miſſe-zæme; miſſe-bieten, -bôt; miſſe-rëden; miſſe-ha- ben; miſſe-tuon; nhd. mis-fallen, -fiel; mis-handeln, han- delte, ge-mis-handelt u. a. m. agſ. mis-bëódan, mis-beád; mis-limpan, mis-lamp; mis-grêtan, mis-grêtte etc. end- lich altn. mis-bióda, mis-baud; mis-brióta, mis-brŷt, -braut, -brotinn; mis-gruna, mis-grunadi. Wenn auch einzelne ſchwache bloß abgeleitet wären, z. b. ahd. miſſa- zumſtôn monſ. 409. von miſſa-zumft oder altn. mis-kaupa von mis-kaup, mis-lika von mis-lîkr; ſo findet bei an- dern ſchwachen dieſer ausweg nicht ſtatt und ohnehin bei keinem ſtarken. Offenbar verhält ſich miſſa-, miſſi-, mis- in ſolchen zuſammenſetzungen ganz wie andere un- trennbare partikeln, von welchen §. 4. handeln wird und gleicht ihnen auch in der abſtract gewordnen privativen bedeutung. Zeugt alſo unſere ausnahme wider ſeinen ſubſtantiviſchen urſprung? ihn aufgegeben, fiele die aus- nahme ſelbſt weg. Er braucht aber nicht aufgegeben zu werden, meine ich. Die adjectiviſche compoſition wird hernach eine ganz analoge ausnahme in den erſten wör- tern folla- und wana- darbieten, welchen ihr adjectivi- ſcher urſprung nicht abgeſtritten werden kann, falls dem letztern nicht gar ein ſubſtantiviſcher gebührt. Vielleicht entdecken wir künftig unter den ſubſt. zuſammenſetzun- gen dergleichen anomalien mehr, z. b. ein bora-weiƷ (ſu- perſapit?) wäre nicht unmöglich. — β) im altn. oder vielmehr iſländiſchen begegnen verſchiedne ſtarke verba mit ſubſt. componiert, namentlich bei Biörn: fôt-troda (conculcare) hand-hefja (juvare) lög-bióda (publice auctio- nari) lög-taka (in legem recipere) knê-kriupa (genuflectere),

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 587. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/605>, abgerufen am 22.11.2024.