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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. subst. eigentl. comp. -- subst. mit verb.

I) in wie fern kann das wirkliche verbum mit einem
subst. componiert werden?

1) vorlaute theorie würde die statthaftigkeit der zu-
sammensetzung bejahen und wie bei dem nomen verhält-
nisse der praepositionen und casus oder der vergleichung
annehmen. Warum sollte der satz: ich reise zu land,
schwärme bei nacht, trinke wein, fliege wie ein adler
nicht zusammengesetzt ausgedrückt werden dürfen: ich
land-reise, nacht-schwärme, wein-trinke, adler-fliege?
Die praxis unserer sprache sträubt sich entschieden da-
wider, so unbedenklich ihr subst. wie land-reise, nacht-
schwärmer, nacht-schwärmerei, wein-trinker, adler-flug,
u. dgl. find. Und diesem sträuben liegt ohne zweifel ein
tiefer grund unter. Wahrhafte composition würde sich
hier hauptsächlich an zwei kennzeichen prüfen laßen: a)
an ihrem haft durch tempora und modos. Wie kein
nomen für eigentlich zus. gesetzt gehalten werden kann,
dessen erstes wort sich etwa nur dem nom. anfügte, in
den übrigen casibus abspränge; eben so wenig ist ein ver-
bum eigentlich componiert, dem ein nomen im infinit.
vortritt, im indic. conj. etc. aber nicht. Da der compo-
sitionsvocal keine flexion ausdrückt, bloß zwei wörter
verbindet, so muß er sie eben unzertrennlich verbinden.
Denn was sollte, beide theile wieder voneinandergenom-
men, aus dem flexionslosen ersten worte werden, das
kein casuszeichen hat, folglich im satze nicht bestehen
kann? Wenden wir den grundsatz auf jene versuchten
bildungen an, so ergibt sich, daß höchstens infinitivisch
wein-trinken, nacht-schwärmen gesagt werden dürfe,
nicht aber ich wein-trinke, er wein-trinkt, er wein-trank.
b) im §. 4. wird ausgeführt werden, daß die partikel ge-
vor
dem worte stehen muß, womit sie sich verbindet, sei
es simplex oder compositum; z. b. ge-lingen, ge-linget,
ge-lungen, ge-ruhen, ge-ruhet. Es ist aber wiederum
unthunlich selbst im inf. oder partic. zu sagen: ge-wein-
trinken, ge-weintrunken, ge-landreiset; folglich auch aus
dieser ursache composition zu leugnen.

2) regel scheint mir demnach, daß in unserer sprache
eigentliche composita, deren erstes wort nomen, das zweite
verbum wäre, unerlaubt sind. Es gibt zwar eine anzahl
zusammengesetzter verba, welche die aufgestellten beiden
kennzeichen aushalten, z. b. rathschlagen, davon unbe-
denklich stattfindet: rath-schlaget, rath-schlagte, ge-rath-
schlaget. Allein alle solche fälle setzen ein bereits eigent-

III. ſubſt. eigentl. comp. — ſubſt. mit verb.

I) in wie fern kann das wirkliche verbum mit einem
ſubſt. componiert werden?

1) vorlaute theorie würde die ſtatthaftigkeit der zu-
ſammenſetzung bejahen und wie bei dem nomen verhält-
niſſe der praepoſitionen und caſus oder der vergleichung
annehmen. Warum ſollte der ſatz: ich reiſe zu land,
ſchwärme bei nacht, trinke wein, fliege wie ein adler
nicht zuſammengeſetzt ausgedrückt werden dürfen: ich
land-reiſe, nacht-ſchwärme, wein-trinke, adler-fliege?
Die praxis unſerer ſprache ſträubt ſich entſchieden da-
wider, ſo unbedenklich ihr ſubſt. wie land-reiſe, nacht-
ſchwärmer, nacht-ſchwärmerei, wein-trinker, adler-flug,
u. dgl. find. Und dieſem ſträuben liegt ohne zweifel ein
tiefer grund unter. Wahrhafte compoſition würde ſich
hier hauptſächlich an zwei kennzeichen prüfen laßen: a)
an ihrem haft durch tempora und modos. Wie kein
nomen für eigentlich zuſ. geſetzt gehalten werden kann,
deſſen erſtes wort ſich etwa nur dem nom. anfügte, in
den übrigen caſibus abſpränge; eben ſo wenig iſt ein ver-
bum eigentlich componiert, dem ein nomen im infinit.
vortritt, im indic. conj. etc. aber nicht. Da der compo-
ſitionsvocal keine flexion ausdrückt, bloß zwei wörter
verbindet, ſo muß er ſie eben unzertrennlich verbinden.
Denn was ſollte, beide theile wieder voneinandergenom-
men, aus dem flexionsloſen erſten worte werden, das
kein caſuszeichen hat, folglich im ſatze nicht beſtehen
kann? Wenden wir den grundſatz auf jene verſuchten
bildungen an, ſo ergibt ſich, daß höchſtens infinitiviſch
wein-trinken, nacht-ſchwärmen geſagt werden dürfe,
nicht aber ich wein-trinke, er wein-trinkt, er wein-trank.
b) im §. 4. wird ausgeführt werden, daß die partikel ge-
vor
dem worte ſtehen muß, womit ſie ſich verbindet, ſei
es ſimplex oder compoſitum; z. b. ge-lingen, ge-linget,
ge-lungen, ge-ruhen, ge-ruhet. Es iſt aber wiederum
unthunlich ſelbſt im inf. oder partic. zu ſagen: ge-wein-
trinken, ge-weintrunken, ge-landreiſet; folglich auch aus
dieſer urſache compoſition zu leugnen.

2) regel ſcheint mir demnach, daß in unſerer ſprache
eigentliche compoſita, deren erſtes wort nomen, das zweite
verbum wäre, unerlaubt ſind. Es gibt zwar eine anzahl
zuſammengeſetzter verba, welche die aufgeſtellten beiden
kennzeichen aushalten, z. b. rathſchlagen, davon unbe-
denklich ſtattfindet: rath-ſchlaget, rath-ſchlagte, ge-rath-
ſchlaget. Allein alle ſolche fälle ſetzen ein bereits eigent-

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[582/0600] III. ſubſt. eigentl. comp. — ſubſt. mit verb. I) in wie fern kann das wirkliche verbum mit einem ſubſt. componiert werden? 1) vorlaute theorie würde die ſtatthaftigkeit der zu- ſammenſetzung bejahen und wie bei dem nomen verhält- niſſe der praepoſitionen und caſus oder der vergleichung annehmen. Warum ſollte der ſatz: ich reiſe zu land, ſchwärme bei nacht, trinke wein, fliege wie ein adler nicht zuſammengeſetzt ausgedrückt werden dürfen: ich land-reiſe, nacht-ſchwärme, wein-trinke, adler-fliege? Die praxis unſerer ſprache ſträubt ſich entſchieden da- wider, ſo unbedenklich ihr ſubſt. wie land-reiſe, nacht- ſchwärmer, nacht-ſchwärmerei, wein-trinker, adler-flug, u. dgl. find. Und dieſem ſträuben liegt ohne zweifel ein tiefer grund unter. Wahrhafte compoſition würde ſich hier hauptſächlich an zwei kennzeichen prüfen laßen: a) an ihrem haft durch tempora und modos. Wie kein nomen für eigentlich zuſ. geſetzt gehalten werden kann, deſſen erſtes wort ſich etwa nur dem nom. anfügte, in den übrigen caſibus abſpränge; eben ſo wenig iſt ein ver- bum eigentlich componiert, dem ein nomen im infinit. vortritt, im indic. conj. etc. aber nicht. Da der compo- ſitionsvocal keine flexion ausdrückt, bloß zwei wörter verbindet, ſo muß er ſie eben unzertrennlich verbinden. Denn was ſollte, beide theile wieder voneinandergenom- men, aus dem flexionsloſen erſten worte werden, das kein caſuszeichen hat, folglich im ſatze nicht beſtehen kann? Wenden wir den grundſatz auf jene verſuchten bildungen an, ſo ergibt ſich, daß höchſtens infinitiviſch wein-trinken, nacht-ſchwärmen geſagt werden dürfe, nicht aber ich wein-trinke, er wein-trinkt, er wein-trank. b) im §. 4. wird ausgeführt werden, daß die partikel ge- vor dem worte ſtehen muß, womit ſie ſich verbindet, ſei es ſimplex oder compoſitum; z. b. ge-lingen, ge-linget, ge-lungen, ge-ruhen, ge-ruhet. Es iſt aber wiederum unthunlich ſelbſt im inf. oder partic. zu ſagen: ge-wein- trinken, ge-weintrunken, ge-landreiſet; folglich auch aus dieſer urſache compoſition zu leugnen. 2) regel ſcheint mir demnach, daß in unſerer ſprache eigentliche compoſita, deren erſtes wort nomen, das zweite verbum wäre, unerlaubt ſind. Es gibt zwar eine anzahl zuſammengeſetzter verba, welche die aufgeſtellten beiden kennzeichen aushalten, z. b. rathſchlagen, davon unbe- denklich ſtattfindet: rath-ſchlaget, rath-ſchlagte, ge-rath- ſchlaget. Allein alle ſolche fälle ſetzen ein bereits eigent-

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 582. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/600>, abgerufen am 22.11.2024.