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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. subst. eigentl. comp. -- subst. mit subst.
überhaupt für organisch halten wollte, müste nachweisen,
daß diminutive wie escili, heidili, ougili etc. oder andere
ableitungen auf -al, -il zu grund liegen [vgl. oben s. 381.
382. das l in den adj. roseleht] dann stünde heidel-berg
für heidil-perc (wie wentil-seo, endil-meri, wentil-stein)
oder heidili-perc (wie wunscili-gerta), der sinn bliebe da-
hingestellt.

5) in den verzeichnissen ist hin und wieder angeführt
worden, wie neben den eigentlichen compositis uneigent-
liche
eintreten; reichliche beispiele wird hernach die ab-
handlung der letzteren darbieten. Es geschieht aher theils
organisch (indem der begriff uneigentl. comp. fordert,
wenigstens zuläßt) theils unorganisch, so daß die ältere
eigentliche zus. setzung durch eine spätere uneigentliche
verdrängt wird, und hiervon bleibt noch einiges zu be-
merken. Der hauptfall ist, wenn das erste wort ein
schwachflexivisches -en annimmt, ohne daß ihm ein
schwacher gen. sg. oder pl. zu grunde liegt. Nhd. bei-
spiele: blumen-korb, dinten-faß, (mhd. tint-horn) dor-
nen-krone, fürsten-thum (ahd. vurist-tuom, furstuom N.
70, 19. mhd. vermuthl. vürstuom), gerten-schlag, linden-
baum, menschen-opfer, ruthen-streich, tannen-baum,
trauben-kern u. a. m., wo blum-korb, dint-faß, dorn-
krone etc. richtiger wären. Nur hüte man sich, ablei-
tende -en für fehlerhaft zu halten, z. b. in fersen-geld,
küchen-magd, raben-stein, raben-mutter (grausam wie
raben, eine kühne, appositionelle zus. setzung oben s. 440.)
wolken-seule, zeichen-schrift *). Einzelne unorganische
comp. sind aber ziemlich alt und schon im mhd. aufge-
kommen, z. b. palmen-boum amgb. 46a f. palm-boum
mons. 328. 331. 340., das nicht genommen werden darf, wie
palmono gerta bei T.

6) umlaut erleidet kaum das erste wort durch ein
zweites, dessen vocal i ist (z. b. -gift, -hilt, -lint, -list);
die verbindung durch zus. setzung erscheint also weniger
fest und innig, als der anwuchs ableitender silben, die den
umlaut der wurzel nach sich ziehen (kerl-inc, gevenc-
nisse etc.). Eine spur ist doch in dem eigennamen göte-
lint Nib. EM., die meisten hss. lesen gote-lint. Assimila-
tionen treten unbedenklicher ein: worolt f. wer-olt, wer-

*) formeller zweifel über eigentl. oder uneigentl. comp. kann,
seit wegfall des comp. vocals, bei den starken masc. entspringen,
die dem gen. kein -s geben, also z. b. in vater-heim (patria) her-
rad. 180a, vater-land, vater-mörder etc.

III. ſubſt. eigentl. comp. — ſubſt. mit ſubſt.
überhaupt für organiſch halten wollte, müſte nachweiſen,
daß diminutive wie eſcili, heidili, ougili etc. oder andere
ableitungen auf -al, -il zu grund liegen [vgl. oben ſ. 381.
382. das l in den adj. rôſelëht] dann ſtünde heidel-berg
für heidil-përc (wie wentil-ſêo, endil-meri, wentil-ſtein)
oder heidili-përc (wie wunſcili-gerta), der ſinn bliebe da-
hingeſtellt.

5) in den verzeichniſſen iſt hin und wieder angeführt
worden, wie neben den eigentlichen compoſitis uneigent-
liche
eintreten; reichliche beiſpiele wird hernach die ab-
handlung der letzteren darbieten. Es geſchieht aher theils
organiſch (indem der begriff uneigentl. comp. fordert,
wenigſtens zuläßt) theils unorganiſch, ſo daß die ältere
eigentliche zuſ. ſetzung durch eine ſpätere uneigentliche
verdrängt wird, und hiervon bleibt noch einiges zu be-
merken. Der hauptfall iſt, wenn das erſte wort ein
ſchwachflexiviſches -en annimmt, ohne daß ihm ein
ſchwacher gen. ſg. oder pl. zu grunde liegt. Nhd. bei-
ſpiele: blumen-korb, dinten-faß, (mhd. tint-horn) dor-
nen-krone, fürſten-thum (ahd. vuriſt-tuom, furſtuom N.
70, 19. mhd. vermuthl. vürſtuom), gerten-ſchlag, linden-
baum, menſchen-opfer, ruthen-ſtreich, tannen-baum,
trauben-kern u. a. m., wo blum-korb, dint-faß, dorn-
krone etc. richtiger wären. Nur hüte man ſich, ablei-
tende -en für fehlerhaft zu halten, z. b. in ferſen-geld,
küchen-magd, raben-ſtein, raben-mutter (grauſam wie
raben, eine kühne, appoſitionelle zuſ. ſetzung oben ſ. 440.)
wolken-ſeule, zeichen-ſchrift *). Einzelne unorganiſche
comp. ſind aber ziemlich alt und ſchon im mhd. aufge-
kommen, z. b. palmen-boum amgb. 46a f. palm-boum
monſ. 328. 331. 340., das nicht genommen werden darf, wie
palmônô gerta bei T.

6) umlaut erleidet kaum das erſte wort durch ein
zweites, deſſen vocal i iſt (z. b. -gift, -hilt, -lint, -liſt);
die verbindung durch zuſ. ſetzung erſcheint alſo weniger
feſt und innig, als der anwuchs ableitender ſilben, die den
umlaut der wurzel nach ſich ziehen (kerl-inc, gevenc-
niſſe etc.). Eine ſpur iſt doch in dem eigennamen göte-
lint Nib. EM., die meiſten hſſ. leſen gote-lint. Aſſimila-
tionen treten unbedenklicher ein: worolt f. wër-olt, wër-

*) formeller zweifel über eigentl. oder uneigentl. comp. kann,
ſeit wegfall des comp. vocals, bei den ſtarken maſc. entſpringen,
die dem gen. kein -s geben, alſo z. b. in vater-heim (patria) her-
rad. 180a, vater-land, vater-mörder etc.
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[541/0559] III. ſubſt. eigentl. comp. — ſubſt. mit ſubſt. überhaupt für organiſch halten wollte, müſte nachweiſen, daß diminutive wie eſcili, heidili, ougili etc. oder andere ableitungen auf -al, -il zu grund liegen [vgl. oben ſ. 381. 382. das l in den adj. rôſelëht] dann ſtünde heidel-berg für heidil-përc (wie wentil-ſêo, endil-meri, wentil-ſtein) oder heidili-përc (wie wunſcili-gerta), der ſinn bliebe da- hingeſtellt. 5) in den verzeichniſſen iſt hin und wieder angeführt worden, wie neben den eigentlichen compoſitis uneigent- liche eintreten; reichliche beiſpiele wird hernach die ab- handlung der letzteren darbieten. Es geſchieht aher theils organiſch (indem der begriff uneigentl. comp. fordert, wenigſtens zuläßt) theils unorganiſch, ſo daß die ältere eigentliche zuſ. ſetzung durch eine ſpätere uneigentliche verdrängt wird, und hiervon bleibt noch einiges zu be- merken. Der hauptfall iſt, wenn das erſte wort ein ſchwachflexiviſches -en annimmt, ohne daß ihm ein ſchwacher gen. ſg. oder pl. zu grunde liegt. Nhd. bei- ſpiele: blumen-korb, dinten-faß, (mhd. tint-horn) dor- nen-krone, fürſten-thum (ahd. vuriſt-tuom, furſtuom N. 70, 19. mhd. vermuthl. vürſtuom), gerten-ſchlag, linden- baum, menſchen-opfer, ruthen-ſtreich, tannen-baum, trauben-kern u. a. m., wo blum-korb, dint-faß, dorn- krone etc. richtiger wären. Nur hüte man ſich, ablei- tende -en für fehlerhaft zu halten, z. b. in ferſen-geld, küchen-magd, raben-ſtein, raben-mutter (grauſam wie raben, eine kühne, appoſitionelle zuſ. ſetzung oben ſ. 440.) wolken-ſeule, zeichen-ſchrift *). Einzelne unorganiſche comp. ſind aber ziemlich alt und ſchon im mhd. aufge- kommen, z. b. palmen-boum amgb. 46a f. palm-boum monſ. 328. 331. 340., das nicht genommen werden darf, wie palmônô gerta bei T. 6) umlaut erleidet kaum das erſte wort durch ein zweites, deſſen vocal i iſt (z. b. -gift, -hilt, -lint, -liſt); die verbindung durch zuſ. ſetzung erſcheint alſo weniger feſt und innig, als der anwuchs ableitender ſilben, die den umlaut der wurzel nach ſich ziehen (kerl-inc, gevenc- niſſe etc.). Eine ſpur iſt doch in dem eigennamen göte- lint Nib. EM., die meiſten hſſ. leſen gote-lint. Aſſimila- tionen treten unbedenklicher ein: worolt f. wër-olt, wër- *) formeller zweifel über eigentl. oder uneigentl. comp. kann, ſeit wegfall des comp. vocals, bei den ſtarken maſc. entſpringen, die dem gen. kein -s geben, alſo z. b. in vater-heim (patria) her- rad. 180a, vater-land, vater-mörder etc.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 541. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/559>, abgerufen am 22.11.2024.