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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. subst. eigentl. comp. -- subst. mit subst.
133. spätere denkmähler haben middan-eard. Andere
dialecte componieren mit dem gleichbedeutigen mittil:
ahd. mittili-gart (orbis) jun. 216. (mundus) T. 16, 1. 76.
mittil-gart, mittel-gart T. 155, 1. 165, 1. 178, 2. 179, 1, 2,
3.; alts. middil-gard; der altn. mit dem bloßen midja (me-
dium): mid-gardr (orbis), dem die Edda aut-gardr ent-
gegensetzt. Noch ein schwed. volkslied hat medje-
gard = konungsgard, das land, wo wir wohnen (visor
1, 140.). Vgl. goth. midja-sveipains (diluvium). Daß
midjun, mittin, middan, mittil, mid- einander ganz gleich-
stehen, lehren weitere composita, z. b. ags. middan-vin-
ter, neben mid-sumer und middel-hring, middel-taun etc.
ahd. metan-scaf (mediocritas) jun. 214. neben metel-scaf
doc. 294.

miss? misso? (vices, diversitas, defectus); in der an-
geblich untrennbaren partikel mis- erblicke ich (wie in
dem mit adjectiven componierten baura-, pora-) ein wah-
res subst. aus folgenden gründen 1) seine trennbarkeit
zeigt sich theils in dem goth. misso (invicem), das hinter
die pluralformen der persönlichen pronomina gesetzt zu
werden pflegt, (beispiele cap. IV.), theils in dem altn. a
mis
(alternatim), wo die vorstehende praep. deutlich ein
nomen verkündet. 2) der übergang der begriffe wechsel,
abstand, abgang, fehler ist natürlich, das altn. mis bedeu-
tet nicht nur per vices, sondern auch praeter, contra jus
et aequum, de via und in der compos. tritt der begriff
des wechselnden, wechselseitigen (allelos) genug hervor,
vgl. misdaudi, misnesi. 3) es gibt noch ein mhd. subst.
misse (error) Parc. 113a, das ohne zweifel schon ahd. war,
obgleich ich es jetzt nicht belegen kann; aus ihm muß
das schw. verb. missan (carere) jun. 181. O. I. 22, 40. II.
5, 36. V. 7, 19. oder misson N. 108, 24. ags. missjan (er-
rare) altn. missa (amittere) geleitet werden *). -- Subst.
zusammensetzungen sind also: goth. missa-deds (peccatum)
missa-qviss (dissensio); ahd. (die gl. hrab. haben noch den
comp. vocal a, andere quellen assimilieren ihn meist zu
i; die gl. ker. geben mehrmahls bloßes mis-) missi-tat
(pecc. error, commissio) mons. 355. 359. 389. mis-tat ker.

*) die eigentl. wurzel von miss, misso liegt verborgen, die ge-
mination ss könnte, wie in vissa, qviss, stass, aus einer zusammen-
ziehung erwachsen und mit, mid, mith lauten, in letzterm
falle ließe sich das lat. met vergleichen, das sich an persönl. pron.
hängt, aber auch im sing. Verwandtschaft zwischen miss und dem
adj. midja. so wie der praep. mith ist mir nicht unwahrscheinlich.

III. ſubſt. eigentl. comp. — ſubſt. mit ſubſt.
133. ſpätere denkmähler haben middan-ëard. Andere
dialecte componieren mit dem gleichbedeutigen mittil:
ahd. mittili-gart (orbis) jun. 216. (mundus) T. 16, 1. 76.
mittil-gart, mittel-gart T. 155, 1. 165, 1. 178, 2. 179, 1, 2,
3.; altſ. middil-gard; der altn. mit dem bloßen midja (me-
dium): mid-gardr (orbis), dem die Edda ût-gardr ent-
gegenſetzt. Noch ein ſchwed. volkslied hat medje-
gård = konungsgård, das land, wo wir wohnen (viſor
1, 140.). Vgl. goth. midja-ſveipáins (diluvium). Daß
midjun, mittin, middan, mittil, mid- einander ganz gleich-
ſtehen, lehren weitere compoſita, z. b. agſ. middan-vin-
ter, neben mid-ſumer und middel-hring, middel-tûn etc.
ahd. mëtan-ſcaf (mediocritas) jun. 214. neben mëtel-ſcaf
doc. 294.

miſſ? miſſô? (vices, diverſitas, defectus); in der an-
geblich untrennbaren partikel mis- erblicke ich (wie in
dem mit adjectiven componierten baúra-, pora-) ein wah-
res ſubſt. aus folgenden gründen 1) ſeine trennbarkeit
zeigt ſich theils in dem goth. miſſô (invicem), das hinter
die pluralformen der perſönlichen pronomina geſetzt zu
werden pflegt, (beiſpiele cap. IV.), theils in dem altn. â
mis
(alternatim), wo die vorſtehende praep. deutlich ein
nomen verkündet. 2) der übergang der begriffe wechſel,
abſtand, abgang, fehler iſt natürlich, das altn. mis bedeu-
tet nicht nur per vices, ſondern auch praeter, contra jus
et aequum, de via und in der compoſ. tritt der begriff
des wechſelnden, wechſelſeitigen (ἀλλήλως) genug hervor,
vgl. misdaudi, misneſi. 3) es gibt noch ein mhd. ſubſt.
miſſe (error) Parc. 113a, das ohne zweifel ſchon ahd. war,
obgleich ich es jetzt nicht belegen kann; aus ihm muß
das ſchw. verb. miſſan (carere) jun. 181. O. I. 22, 40. II.
5, 36. V. 7, 19. oder miſſôn N. 108, 24. agſ. miſſjan (er-
rare) altn. miſſa (amittere) geleitet werden *). — Subſt.
zuſammenſetzungen ſind alſo: goth. miſſa-dêds (peccatum)
miſſa-qviſſ (diſſenſio); ahd. (die gl. hrab. haben noch den
comp. vocal a, andere quellen aſſimilieren ihn meiſt zu
i; die gl. ker. geben mehrmahls bloßes mis-) miſſi-tât
(pecc. error, commiſſio) monſ. 355. 359. 389. mis-tât ker.

*) die eigentl. wurzel von miſſ, miſſô liegt verborgen, die ge-
mination ſſ könnte, wie in viſſa, qviſſ, ſtaſſ, aus einer zuſammen-
ziehung erwachſen und mit, mid, miþ lauten, in letzterm
falle ließe ſich das lat. met vergleichen, das ſich an perſönl. pron.
hängt, aber auch im ſing. Verwandtſchaft zwiſchen miſſ und dem
adj. midja. ſo wie der praep. miþ iſt mir nicht unwahrſcheinlich.
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[470/0488] III. ſubſt. eigentl. comp. — ſubſt. mit ſubſt. 133. ſpätere denkmähler haben middan-ëard. Andere dialecte componieren mit dem gleichbedeutigen mittil: ahd. mittili-gart (orbis) jun. 216. (mundus) T. 16, 1. 76. mittil-gart, mittel-gart T. 155, 1. 165, 1. 178, 2. 179, 1, 2, 3.; altſ. middil-gard; der altn. mit dem bloßen midja (me- dium): mid-gardr (orbis), dem die Edda ût-gardr ent- gegenſetzt. Noch ein ſchwed. volkslied hat medje- gård = konungsgård, das land, wo wir wohnen (viſor 1, 140.). Vgl. goth. midja-ſveipáins (diluvium). Daß midjun, mittin, middan, mittil, mid- einander ganz gleich- ſtehen, lehren weitere compoſita, z. b. agſ. middan-vin- ter, neben mid-ſumer und middel-hring, middel-tûn etc. ahd. mëtan-ſcaf (mediocritas) jun. 214. neben mëtel-ſcaf doc. 294. miſſ? miſſô? (vices, diverſitas, defectus); in der an- geblich untrennbaren partikel mis- erblicke ich (wie in dem mit adjectiven componierten baúra-, pora-) ein wah- res ſubſt. aus folgenden gründen 1) ſeine trennbarkeit zeigt ſich theils in dem goth. miſſô (invicem), das hinter die pluralformen der perſönlichen pronomina geſetzt zu werden pflegt, (beiſpiele cap. IV.), theils in dem altn. â mis (alternatim), wo die vorſtehende praep. deutlich ein nomen verkündet. 2) der übergang der begriffe wechſel, abſtand, abgang, fehler iſt natürlich, das altn. mis bedeu- tet nicht nur per vices, ſondern auch praeter, contra jus et aequum, de via und in der compoſ. tritt der begriff des wechſelnden, wechſelſeitigen (ἀλλήλως) genug hervor, vgl. misdaudi, misneſi. 3) es gibt noch ein mhd. ſubſt. miſſe (error) Parc. 113a, das ohne zweifel ſchon ahd. war, obgleich ich es jetzt nicht belegen kann; aus ihm muß das ſchw. verb. miſſan (carere) jun. 181. O. I. 22, 40. II. 5, 36. V. 7, 19. oder miſſôn N. 108, 24. agſ. miſſjan (er- rare) altn. miſſa (amittere) geleitet werden *). — Subſt. zuſammenſetzungen ſind alſo: goth. miſſa-dêds (peccatum) miſſa-qviſſ (diſſenſio); ahd. (die gl. hrab. haben noch den comp. vocal a, andere quellen aſſimilieren ihn meiſt zu i; die gl. ker. geben mehrmahls bloßes mis-) miſſi-tât (pecc. error, commiſſio) monſ. 355. 359. 389. mis-tât ker. *) die eigentl. wurzel von miſſ, miſſô liegt verborgen, die ge- mination ſſ könnte, wie in viſſa, qviſſ, ſtaſſ, aus einer zuſammen- ziehung erwachſen und mit, mid, miþ lauten, in letzterm falle ließe ſich das lat. met vergleichen, das ſich an perſönl. pron. hängt, aber auch im ſing. Verwandtſchaft zwiſchen miſſ und dem adj. midja. ſo wie der praep. miþ iſt mir nicht unwahrſcheinlich.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 470. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/488>, abgerufen am 25.11.2024.