Einige laßen sich durch adjectiva deuten, z. b. der nebe- lichte tag, via lactea, der stürmische wind, regen viurein, der göttliche mensch; einige gezwungen durch praeposi- tionen, z. b. blutregen der mit blut verbunden, begleitet ist; andere fordern ganze redensarten zur erklärung, wet- terhahn, der das wetter anzeigt, kindbett, worin ein kind geboren worden ist, speckmaus, die den speck frißt, vogelflinte, womit vögel geschoßen werden, das goth. asilu-qvairnus die mühle, die der esel tritt (mola asinaria). Verschiedne vorhin bei der präp. zu angegebne erläutern sich lieber durch freie redensarten, z. b. schweißtuch, womit der schweiß getrocknet wird. Wir sehen, wie kühn in bildung solcher zusammensetzungen die volks- sprache verfährt und alle merkmahle zur unterscheidung nutzt, z. b. einer namens meier wird zops-meier heißen, weil er einen zopf trägt, löffel-meier weil er einen löffel gestolen hat, vieh-meier, weil er mit vieh handelt.
5) zuweilen ist, ganz im gegensatz von 2 und 3, das erste wort das allgemeinere, bloß zur verstärkung des zweiten vorgesetzte. Dahin gehören die ahd. subst. magan-, regin-, irman-, ellan-, diot-, worolt- und noch andere, von welchen hernach weiter gehandelt wer- den wird. So z. b. bedeutet magan-wetar ein heftiges sturmwetter, regin-diob einen erzdieb, worolt-chraft eine erhöhte kraft. Die spätere sprache verschmäht solche composita meistens, doch sagen wir noch heute welt- schande von einer großen, öffentlichen; leut-betrüger, gau-dieb. Leise nebenbedeutungen in dem ersten wort sind jedoch nicht abgeleugnet. --
anmerkung zu der appositionellen zusammensetzung: an formelle, wirkliche apposition ist in allen augeführten fällen so wenig zu denken, als bei der praepositionellen an zum grund liegende praepositionsfügungen. Wahre apposition fordert, daß die unverbunden nebeneinander gestellten subst. beide decliniert werden und in dem casus stehen, den der satz mit sich bringt. Hier aber ist das erste wort (theoretisch) durch den compositionsvocal an das zweite festgeknüpft und der begriff der apposition hat uns bloß die bedeutung der fraglichen zusammen- setzungen erklären helfen.
III. casusverhältnisse. Es wurde (s. 480.) davon aus- gegangen, daß die eigentliche zusammensetzung etwas
III. ſubſt. eigentl. comp. — ſubſt. mit ſubſt.
Einige laßen ſich durch adjectiva deuten, z. b. der nebe- lichte tag, via lactea, der ſtürmiſche wind, rëgen viurîn, der göttliche menſch; einige gezwungen durch praepoſi- tionen, z. b. blutregen der mit blut verbunden, begleitet iſt; andere fordern ganze redensarten zur erklärung, wet- terhahn, der das wetter anzeigt, kindbett, worin ein kind geboren worden iſt, ſpeckmaus, die den ſpeck frißt, vogelflinte, womit vögel geſchoßen werden, das goth. aſilu-qvaírnus die mühle, die der eſel tritt (mola aſinaria). Verſchiedne vorhin bei der präp. zu angegebne erläutern ſich lieber durch freie redensarten, z. b. ſchweißtuch, womit der ſchweiß getrocknet wird. Wir ſehen, wie kühn in bildung ſolcher zuſammenſetzungen die volks- ſprache verfährt und alle merkmahle zur unterſcheidung nutzt, z. b. einer namens meier wird zopſ-meier heißen, weil er einen zopf trägt, löffel-meier weil er einen löffel geſtolen hat, vieh-meier, weil er mit vieh handelt.
5) zuweilen iſt, ganz im gegenſatz von 2 und 3, das erſte wort das allgemeinere, bloß zur verſtärkung des zweiten vorgeſetzte. Dahin gehören die ahd. ſubſt. magan-, regin-, irman-, ellan-, diot-, worolt- und noch andere, von welchen hernach weiter gehandelt wer- den wird. So z. b. bedeutet magan-wëtar ein heftiges ſturmwetter, regin-diob einen erzdieb, worolt-chraft eine erhöhte kraft. Die ſpätere ſprache verſchmäht ſolche compoſita meiſtens, doch ſagen wir noch heute welt- ſchande von einer großen, öffentlichen; leut-betrüger, gau-dieb. Leiſe nebenbedeutungen in dem erſten wort ſind jedoch nicht abgeleugnet. —
anmerkung zu der appoſitionellen zuſammenſetzung: an formelle, wirkliche appoſition iſt in allen augeführten fällen ſo wenig zu denken, als bei der praepoſitionellen an zum grund liegende praepoſitionsfügungen. Wahre appoſition fordert, daß die unverbunden nebeneinander geſtellten ſubſt. beide decliniert werden und in dem caſus ſtehen, den der ſatz mit ſich bringt. Hier aber iſt das erſte wort (theoretiſch) durch den compoſitionsvocal an das zweite feſtgeknüpft und der begriff der appoſition hat uns bloß die bedeutung der fraglichen zuſammen- ſetzungen erklären helfen.
III. caſusverhältniſſe. Es wurde (ſ. 480.) davon aus- gegangen, daß die eigentliche zuſammenſetzung etwas
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0461"n="443"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">III. <hirendition="#i">ſubſt. eigentl. comp. —ſubſt. mit ſubſt.</hi></hi></fw><lb/>
Einige laßen ſich durch adjectiva deuten, z. b. der nebe-<lb/>
lichte tag, via lactea, der ſtürmiſche wind, rëgen viurîn,<lb/>
der göttliche menſch; einige gezwungen durch praepoſi-<lb/>
tionen, z. b. blutregen der mit blut verbunden, begleitet<lb/>
iſt; andere fordern ganze redensarten zur erklärung, wet-<lb/>
terhahn, der das wetter anzeigt, kindbett, worin ein<lb/>
kind geboren worden iſt, ſpeckmaus, die den ſpeck frißt,<lb/>
vogelflinte, womit vögel geſchoßen werden, das goth.<lb/>
aſilu-qvaírnus die mühle, die der eſel tritt (mola aſinaria).<lb/>
Verſchiedne vorhin bei der präp. <hirendition="#i">zu</hi> angegebne erläutern<lb/>ſich lieber durch freie redensarten, z. b. ſchweißtuch,<lb/>
womit der ſchweiß getrocknet wird. Wir ſehen, wie<lb/>
kühn in bildung ſolcher zuſammenſetzungen die volks-<lb/>ſprache verfährt und alle merkmahle zur unterſcheidung<lb/>
nutzt, z. b. einer namens meier wird zopſ-meier heißen,<lb/>
weil er einen zopf trägt, löffel-meier weil er einen löffel<lb/>
geſtolen hat, vieh-meier, weil er mit vieh handelt.</p><lb/><p>5) zuweilen iſt, ganz im gegenſatz von 2 und 3, das<lb/>
erſte wort das allgemeinere, bloß zur verſtärkung des<lb/>
zweiten vorgeſetzte. Dahin gehören die ahd. ſubſt.<lb/>
magan-, regin-, irman-, ellan-, diot-, worolt- und noch<lb/>
andere, von welchen hernach weiter gehandelt wer-<lb/>
den wird. So z. b. bedeutet magan-wëtar ein heftiges<lb/>ſturmwetter, regin-diob einen erzdieb, worolt-chraft eine<lb/>
erhöhte kraft. Die ſpätere ſprache verſchmäht ſolche<lb/>
compoſita meiſtens, doch ſagen wir noch heute welt-<lb/>ſchande von einer großen, öffentlichen; leut-betrüger,<lb/>
gau-dieb. Leiſe nebenbedeutungen in dem erſten wort<lb/>ſind jedoch nicht abgeleugnet. —</p><lb/><p><hirendition="#i">anmerkung</hi> zu der appoſitionellen zuſammenſetzung:<lb/>
an formelle, wirkliche appoſition iſt in allen augeführten<lb/>
fällen ſo wenig zu denken, als bei der praepoſitionellen<lb/>
an zum grund liegende praepoſitionsfügungen. Wahre<lb/>
appoſition fordert, daß die unverbunden nebeneinander<lb/>
geſtellten ſubſt. beide decliniert werden und in dem caſus<lb/>ſtehen, den der ſatz mit ſich bringt. Hier aber iſt das<lb/>
erſte wort (theoretiſch) durch den compoſitionsvocal an<lb/>
das zweite feſtgeknüpft und der begriff der appoſition<lb/>
hat uns bloß die bedeutung der fraglichen zuſammen-<lb/>ſetzungen erklären helfen.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>III. <hirendition="#i">caſusverhältniſſe.</hi> Es wurde (ſ. 480.) davon aus-<lb/>
gegangen, daß die eigentliche zuſammenſetzung etwas<lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[443/0461]
III. ſubſt. eigentl. comp. — ſubſt. mit ſubſt.
Einige laßen ſich durch adjectiva deuten, z. b. der nebe-
lichte tag, via lactea, der ſtürmiſche wind, rëgen viurîn,
der göttliche menſch; einige gezwungen durch praepoſi-
tionen, z. b. blutregen der mit blut verbunden, begleitet
iſt; andere fordern ganze redensarten zur erklärung, wet-
terhahn, der das wetter anzeigt, kindbett, worin ein
kind geboren worden iſt, ſpeckmaus, die den ſpeck frißt,
vogelflinte, womit vögel geſchoßen werden, das goth.
aſilu-qvaírnus die mühle, die der eſel tritt (mola aſinaria).
Verſchiedne vorhin bei der präp. zu angegebne erläutern
ſich lieber durch freie redensarten, z. b. ſchweißtuch,
womit der ſchweiß getrocknet wird. Wir ſehen, wie
kühn in bildung ſolcher zuſammenſetzungen die volks-
ſprache verfährt und alle merkmahle zur unterſcheidung
nutzt, z. b. einer namens meier wird zopſ-meier heißen,
weil er einen zopf trägt, löffel-meier weil er einen löffel
geſtolen hat, vieh-meier, weil er mit vieh handelt.
5) zuweilen iſt, ganz im gegenſatz von 2 und 3, das
erſte wort das allgemeinere, bloß zur verſtärkung des
zweiten vorgeſetzte. Dahin gehören die ahd. ſubſt.
magan-, regin-, irman-, ellan-, diot-, worolt- und noch
andere, von welchen hernach weiter gehandelt wer-
den wird. So z. b. bedeutet magan-wëtar ein heftiges
ſturmwetter, regin-diob einen erzdieb, worolt-chraft eine
erhöhte kraft. Die ſpätere ſprache verſchmäht ſolche
compoſita meiſtens, doch ſagen wir noch heute welt-
ſchande von einer großen, öffentlichen; leut-betrüger,
gau-dieb. Leiſe nebenbedeutungen in dem erſten wort
ſind jedoch nicht abgeleugnet. —
anmerkung zu der appoſitionellen zuſammenſetzung:
an formelle, wirkliche appoſition iſt in allen augeführten
fällen ſo wenig zu denken, als bei der praepoſitionellen
an zum grund liegende praepoſitionsfügungen. Wahre
appoſition fordert, daß die unverbunden nebeneinander
geſtellten ſubſt. beide decliniert werden und in dem caſus
ſtehen, den der ſatz mit ſich bringt. Hier aber iſt das
erſte wort (theoretiſch) durch den compoſitionsvocal an
das zweite feſtgeknüpft und der begriff der appoſition
hat uns bloß die bedeutung der fraglichen zuſammen-
ſetzungen erklären helfen.
III. caſusverhältniſſe. Es wurde (ſ. 480.) davon aus-
gegangen, daß die eigentliche zuſammenſetzung etwas
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/461>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.