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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. subst. eigentl. comp. -- subst. mit subst.
positis das erste wort den hauptbegriff einschließen, das
zweite bloß eine fehlende oder undeutliche ableitung er-
setzen. Jenes ist das individuelle, dieses zeigt das allge-
meine an. Früher kommen dergleichen wörter, wenn
sie einheimische erzeugnisse ausdrücken, auch lieber un-
zusammengesetzt vor, z. b. ahd. eih (quercus) puohha
(fagus) vlins (silex) hrab. 962b, folglich enthalten sie nicht
in jenen zusammensetzungen das bestimmende, wie es in
praepositionellen das erste wort enthielt. Man sagte erst
hual, altn. hvalr (balaena) und fügte, als es vielleicht un-
deutlich oder zweideutig zu werden anfieng, das kennzei-
chen des ganzen geschlechts hinzu (wal-fisc, hval-fiskr).
Diese composita, insofern auf ihrem ersten worte die
hauptbedeutung ruht, gleichen den ableitungen, bei wel-
chen allen die voran stehende wurzel den hauptsinn, das
hinzugefügte eine bloße modification desselben gewährt.
Daher es nicht befremden darf, daß die verdunkelung
des zweiten worts in aphal-tera, hiofal-tera etc. beinahe
derivativisch scheint (s. 122. 134.).

3) [besonderes und allgemeines bei abstracten begrif-
fen]. Noch mehr zeigt sich eine solche berührung mit
derivatis, wenn das zweite wort der composition die an
sich leere idee von status, classis, indoles u. dgl. enthält,
welche durch das erste wort ausgefüllt werden muß.
Hierher gehören alle zusammensetzungen mit ahd. -chunni,
-heit, -leih, -scaf, -tuom, mit ags. -cyn, -dom, -had,
-lac, -raeden, -scipe, mit nhd. -art, -heit, -schaft,
thaum etc. Auch hier stehen beide wörter appositionell
aneinander, z. b. ahd. fogal-chunni (genus avis) degan-
heit (status servitii) wetar-leih (tempestas) friunt-scaf (ami-
citia) ewart-tuom (sacerdotium, status sacerdotis); das erste
wort läßt sich durch kein präpositionsverhältnis erklären,
eher durch einen genitiv, wie die lat. übersetzungen zei-
gen und übergänge in die uneigentliche composition dem-
nächst bestätigen werden; wir sagen zwar heutzutag: eine
art von fisch, von vogel (oder eine art fische, vögel) st.
und neben fisch-art, vogel-art, aber ich möchte
nicht diesen modernen gebrauch der praep. von hier zur
erläuterung nehmen. Uebrigens erschemt auch bei sol-
chen abstracten wörtern, wie bei einzelnen thier-, baum-
und steinbenennungen, das zweite wort bisweilen über-
flüßig, z. b. das ags. geogud-had (juventus) alts. jugud-
hed bedeutet fast nichts anders, als was geogud, jugud;
had, hed heben bloß den abstracten begriff hervor, im
hochd. ist jugend-heit unüblich. Nicht nur haben in

III. ſubſt. eigentl. comp. — ſubſt. mit ſubſt.
poſitis das erſte wort den hauptbegriff einſchließen, das
zweite bloß eine fehlende oder undeutliche ableitung er-
ſetzen. Jenes iſt das individuelle, dieſes zeigt das allge-
meine an. Früher kommen dergleichen wörter, wenn
ſie einheimiſche erzeugniſſe ausdrücken, auch lieber un-
zuſammengeſetzt vor, z. b. ahd. eih (quercus) puohha
(fagus) vlins (ſilex) hrab. 962b, folglich enthalten ſie nicht
in jenen zuſammenſetzungen das beſtimmende, wie es in
praepoſitionellen das erſte wort enthielt. Man ſagte erſt
hual, altn. hvalr (balaena) und fügte, als es vielleicht un-
deutlich oder zweideutig zu werden anfieng, das kennzei-
chen des ganzen geſchlechts hinzu (wal-fiſc, hval-fiſkr).
Dieſe compoſita, inſofern auf ihrem erſten worte die
hauptbedeutung ruht, gleichen den ableitungen, bei wel-
chen allen die voran ſtehende wurzel den hauptſinn, das
hinzugefügte eine bloße modification deſſelben gewährt.
Daher es nicht befremden darf, daß die verdunkelung
des zweiten worts in aphal-tera, hiofal-tera etc. beinahe
derivativiſch ſcheint (ſ. 122. 134.).

3) [beſonderes und allgemeines bei abſtracten begrif-
fen]. Noch mehr zeigt ſich eine ſolche berührung mit
derivatis, wenn das zweite wort der compoſition die an
ſich leere idee von ſtatus, claſſis, indoles u. dgl. enthält,
welche durch das erſte wort ausgefüllt werden muß.
Hierher gehören alle zuſammenſetzungen mit ahd. -chunni,
-heit, -leih, -ſcaf, -tuom, mit agſ. -cyn, -dôm, -hâd,
-lâc, -ræden, -ſcipe, mit nhd. -art, -heit, -ſchaft,
thûm etc. Auch hier ſtehen beide wörter appoſitionell
aneinander, z. b. ahd. fogal-chunni (genus avis) dëgan-
heit (ſtatus ſervitii) wëtar-leih (tempeſtas) friunt-ſcaf (ami-
citia) êwart-tuom (ſacerdotium, ſtatus ſacerdotis); das erſte
wort läßt ſich durch kein präpoſitionsverhältnis erklären,
eher durch einen genitiv, wie die lat. überſetzungen zei-
gen und übergänge in die uneigentliche compoſition dem-
nächſt beſtätigen werden; wir ſagen zwar heutzutag: eine
art von fiſch, von vogel (oder eine art fiſche, vögel) ſt.
und neben fiſch-art, vogel-art, aber ich möchte
nicht dieſen modernen gebrauch der praep. von hier zur
erläuterung nehmen. Uebrigens erſchemt auch bei ſol-
chen abſtracten wörtern, wie bei einzelnen thier-, baum-
und ſteinbenennungen, das zweite wort bisweilen über-
flüßig, z. b. das agſ. gëoguð-hâd (juventus) altſ. jugud-
hêd bedeutet faſt nichts anders, als was gëoguð, jugud;
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hochd. iſt jugend-heit unüblich. Nicht nur haben in

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[441/0459] III. ſubſt. eigentl. comp. — ſubſt. mit ſubſt. poſitis das erſte wort den hauptbegriff einſchließen, das zweite bloß eine fehlende oder undeutliche ableitung er- ſetzen. Jenes iſt das individuelle, dieſes zeigt das allge- meine an. Früher kommen dergleichen wörter, wenn ſie einheimiſche erzeugniſſe ausdrücken, auch lieber un- zuſammengeſetzt vor, z. b. ahd. eih (quercus) puohha (fagus) vlins (ſilex) hrab. 962b, folglich enthalten ſie nicht in jenen zuſammenſetzungen das beſtimmende, wie es in praepoſitionellen das erſte wort enthielt. Man ſagte erſt hual, altn. hvalr (balaena) und fügte, als es vielleicht un- deutlich oder zweideutig zu werden anfieng, das kennzei- chen des ganzen geſchlechts hinzu (wal-fiſc, hval-fiſkr). Dieſe compoſita, inſofern auf ihrem erſten worte die hauptbedeutung ruht, gleichen den ableitungen, bei wel- chen allen die voran ſtehende wurzel den hauptſinn, das hinzugefügte eine bloße modification deſſelben gewährt. Daher es nicht befremden darf, daß die verdunkelung des zweiten worts in aphal-tera, hiofal-tera etc. beinahe derivativiſch ſcheint (ſ. 122. 134.). 3) [beſonderes und allgemeines bei abſtracten begrif- fen]. Noch mehr zeigt ſich eine ſolche berührung mit derivatis, wenn das zweite wort der compoſition die an ſich leere idee von ſtatus, claſſis, indoles u. dgl. enthält, welche durch das erſte wort ausgefüllt werden muß. Hierher gehören alle zuſammenſetzungen mit ahd. -chunni, -heit, -leih, -ſcaf, -tuom, mit agſ. -cyn, -dôm, -hâd, -lâc, -ræden, -ſcipe, mit nhd. -art, -heit, -ſchaft, thûm etc. Auch hier ſtehen beide wörter appoſitionell aneinander, z. b. ahd. fogal-chunni (genus avis) dëgan- heit (ſtatus ſervitii) wëtar-leih (tempeſtas) friunt-ſcaf (ami- citia) êwart-tuom (ſacerdotium, ſtatus ſacerdotis); das erſte wort läßt ſich durch kein präpoſitionsverhältnis erklären, eher durch einen genitiv, wie die lat. überſetzungen zei- gen und übergänge in die uneigentliche compoſition dem- nächſt beſtätigen werden; wir ſagen zwar heutzutag: eine art von fiſch, von vogel (oder eine art fiſche, vögel) ſt. und neben fiſch-art, vogel-art, aber ich möchte nicht dieſen modernen gebrauch der praep. von hier zur erläuterung nehmen. Uebrigens erſchemt auch bei ſol- chen abſtracten wörtern, wie bei einzelnen thier-, baum- und ſteinbenennungen, das zweite wort bisweilen über- flüßig, z. b. das agſ. gëoguð-hâd (juventus) altſ. jugud- hêd bedeutet faſt nichts anders, als was gëoguð, jugud; hâd, hêd heben bloß den abſtracten begriff hervor, im hochd. iſt jugend-heit unüblich. Nicht nur haben in

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/459>, abgerufen am 22.11.2024.