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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. consonantische ableitungen. NS. NK.
(movere) zu stammen. Alle drei wörter bedeuten schnei-
dendes, scharfes werkzeug, an composition mit ans (trabs,
pertica, oben s. 263) ist darum nicht wohl zu denken,
die allerdings passende, durch entstellung wirklich schein-
bar gewordene mit eisen muß, der älteren, bestimmt ver-
schiedenen form wegen, verworfen werden. Vgl. auch
Schm. p. 272. 273.

d) der ags. und altn. mundart gehen diese bildungen
ab. Zu lauten hätten sie etwa: ags. väg-osa, al-os, seg-
os; altn. vag-asi, al-as, sig-as (si-as).


ableitungen mit NK.

im ahd. und ags. erscheinen diminutiva mit der ableitung
inch, inc, der aber jederzeit noch eine weitere l-ablei-
tung angefügt wird. Ich kenne nur zwei ahd. beispiele,
was aber nicht gerade die seltenheit der form beweist,
da in den denkmählern und glossen wenig gelegenheit für
solche wörter war: esil-inch-ilein (asellum) jun. 195; lew-
inch-li (leunculus) lew-inch-ilino (leunculorum) mons. 339.
344. beide neutra. Einige mehr im ags.: haus-incle (do-
muncula); rap-incle (funiculus); scip-incle (navicula);
taun-incle (praediolum); außer denen aber Lye noch sul-
incela (aratiuncula) anführt, das ein schw. masc. wäre,
wenn der anführung zu trauen ist, vielleicht sulh-incle?
Ob jene -incle sicher neutra sind, wie ich 1, 644 ver-
muthete, müßen flexion und construction bewähren, nach
dem nom. dürsten sie ebenwohl schwache fem. sein.
Weder mhd. noch engl., noch in nhd. volksdialecten
spuren dieser ableitung. Aber mnl. das neutr. scimm-
inkel (simiolus) vgl. Clignett bydragen p. 285 -- 288., im
Teutonista scham-ynckel, anderwärts schem-incel, schom-
inkel und nnl. entstellt in scherm-inkel. Also im mnl.
wie im ahd. werden thiere, im ags. sachen mit dieser
formel abgeleitet. Ihre verwandtschaft mit dem lat. -un-
culus (masc.) -uncula (fem.) ist offenbar: av-unculus; carb-
unculus; fur-unculus; hom-unculus; latr-unculus; lenuncu-
lus; ran-unculus; tir-unculus; arati-uncula; dom-uncula;
car-uncula; narrati-uncula; orati-uncula; interrogat-iuncu-
la; virg-uncula; die auf -unculus den ahd. thierbenennun-
gen entsprechend, die auf -uncula der ags. sächl. bedeu-
tung, wodurch auch das ags. fem. (und nicht neutr.) be-
stärkt zu werden scheint. Man könnte überhaupt die
ganze form für aus dem latein erborgt halten, zudem die
rechte lautversclriebung abgeht. Allein diese vermuthung

III. conſonantiſche ableitungen. NS. NK.
(movere) zu ſtammen. Alle drei wörter bedeuten ſchnei-
dendes, ſcharfes werkzeug, an compoſition mit ans (trabs,
pertica, oben ſ. 263) iſt darum nicht wohl zu denken,
die allerdings paſſende, durch entſtellung wirklich ſchein-
bar gewordene mit eiſen muß, der älteren, beſtimmt ver-
ſchiedenen form wegen, verworfen werden. Vgl. auch
Schm. p. 272. 273.

δ) der agſ. und altn. mundart gehen dieſe bildungen
ab. Zu lauten hätten ſie etwa: agſ. väg-ôſa, al-ôs, ſeg-
ôs; altn. vag-âſi, al-âs, ſig-âs (ſi-âs).


ableitungen mit NK.

im ahd. und agſ. erſcheinen diminutiva mit der ableitung
inch, inc, der aber jederzeit noch eine weitere l-ablei-
tung angefügt wird. Ich kenne nur zwei ahd. beiſpiele,
was aber nicht gerade die ſeltenheit der form beweiſt,
da in den denkmählern und gloſſen wenig gelegenheit für
ſolche wörter war: eſil-inch-ilîn (aſellum) jun. 195; lêw-
inch-li (leunculus) lêw-inch-ilinô (leunculorum) monſ. 339.
344. beide neutra. Einige mehr im agſ.: hûſ-incle (do-
muncula); râp-incle (funiculus); ſcip-incle (navicula);
tûn-incle (praediolum); außer denen aber Lye noch ſul-
incela (aratiuncula) anführt, das ein ſchw. maſc. wäre,
wenn der anführung zu trauen iſt, vielleicht ſulh-incle?
Ob jene -incle ſicher neutra ſind, wie ich 1, 644 ver-
muthete, müßen flexion und conſtruction bewähren, nach
dem nom. dürſten ſie ebenwohl ſchwache fem. ſein.
Weder mhd. noch engl., noch in nhd. volksdialecten
ſpuren dieſer ableitung. Aber mnl. das neutr. ſcimm-
inkel (ſimiolus) vgl. Clignett bydragen p. 285 — 288., im
Teutoniſta ſcham-ynckel, anderwärts ſchem-incel, ſchom-
inkel und nnl. entſtellt in ſcherm-inkel. Alſo im mnl.
wie im ahd. werden thiere, im agſ. ſachen mit dieſer
formel abgeleitet. Ihre verwandtſchaft mit dem lat. -un-
culus (maſc.) -uncula (fem.) iſt offenbar: av-unculus; carb-
unculus; fur-unculus; hom-unculus; latr-unculus; lenuncu-
lus; ran-unculus; tir-unculus; arati-uncula; dom-uncula;
car-uncula; narrati-uncula; orati-uncula; interrogat-iuncu-
la; virg-uncula; die auf -unculus den ahd. thierbenennun-
gen entſprechend, die auf -uncula der agſ. ſächl. bedeu-
tung, wodurch auch das agſ. fem. (und nicht neutr.) be-
ſtärkt zu werden ſcheint. Man könnte überhaupt die
ganze form für aus dem latein erborgt halten, zudem die
rechte lautverſclriebung abgeht. Allein dieſe vermuthung

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[347/0365] III. conſonantiſche ableitungen. NS. NK. (movere) zu ſtammen. Alle drei wörter bedeuten ſchnei- dendes, ſcharfes werkzeug, an compoſition mit ans (trabs, pertica, oben ſ. 263) iſt darum nicht wohl zu denken, die allerdings paſſende, durch entſtellung wirklich ſchein- bar gewordene mit eiſen muß, der älteren, beſtimmt ver- ſchiedenen form wegen, verworfen werden. Vgl. auch Schm. p. 272. 273. δ) der agſ. und altn. mundart gehen dieſe bildungen ab. Zu lauten hätten ſie etwa: agſ. väg-ôſa, al-ôs, ſeg- ôs; altn. vag-âſi, al-âs, ſig-âs (ſi-âs). ableitungen mit NK. im ahd. und agſ. erſcheinen diminutiva mit der ableitung inch, inc, der aber jederzeit noch eine weitere l-ablei- tung angefügt wird. Ich kenne nur zwei ahd. beiſpiele, was aber nicht gerade die ſeltenheit der form beweiſt, da in den denkmählern und gloſſen wenig gelegenheit für ſolche wörter war: eſil-inch-ilîn (aſellum) jun. 195; lêw- inch-li (leunculus) lêw-inch-ilinô (leunculorum) monſ. 339. 344. beide neutra. Einige mehr im agſ.: hûſ-incle (do- muncula); râp-incle (funiculus); ſcip-incle (navicula); tûn-incle (praediolum); außer denen aber Lye noch ſul- incela (aratiuncula) anführt, das ein ſchw. maſc. wäre, wenn der anführung zu trauen iſt, vielleicht ſulh-incle? Ob jene -incle ſicher neutra ſind, wie ich 1, 644 ver- muthete, müßen flexion und conſtruction bewähren, nach dem nom. dürſten ſie ebenwohl ſchwache fem. ſein. Weder mhd. noch engl., noch in nhd. volksdialecten ſpuren dieſer ableitung. Aber mnl. das neutr. ſcimm- inkel (ſimiolus) vgl. Clignett bydragen p. 285 — 288., im Teutoniſta ſcham-ynckel, anderwärts ſchem-incel, ſchom- inkel und nnl. entſtellt in ſcherm-inkel. Alſo im mnl. wie im ahd. werden thiere, im agſ. ſachen mit dieſer formel abgeleitet. Ihre verwandtſchaft mit dem lat. -un- culus (maſc.) -uncula (fem.) iſt offenbar: av-unculus; carb- unculus; fur-unculus; hom-unculus; latr-unculus; lenuncu- lus; ran-unculus; tir-unculus; arati-uncula; dom-uncula; car-uncula; narrati-uncula; orati-uncula; interrogat-iuncu- la; virg-uncula; die auf -unculus den ahd. thierbenennun- gen entſprechend, die auf -uncula der agſ. ſächl. bedeu- tung, wodurch auch das agſ. fem. (und nicht neutr.) be- ſtärkt zu werden ſcheint. Man könnte überhaupt die ganze form für aus dem latein erborgt halten, zudem die rechte lautverſclriebung abgeht. Allein dieſe vermuthung

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/365>, abgerufen am 22.12.2024.