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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. reinvocalische ableitungen.
seitig) als: sunt-e-a, arp-e-o, arp-e-ono; sunt-e-ono;
nicht vor e, i, u, sondern nur sunt-i-aun oder sunt-
jaun etc.; auch nicht vor consonanten, z. b. nur ner-i-ta,
niemahls ner-e-ta; im flexionslosen fall erst späterhin
bei N. z. b. hirt-e, suoß-e f. hirt-i, suoß-i. Alts.
wechseln j-e und e-a (1, 207. 633.); ags. zeigt sich ins-
gemein e vor vocalen, consonanten und auslautend, z. b.
hird-e, reic-e, ner-e-de, aglaec-e-a, sec-e-an
(1, 905.); nur praesensformen hegen j: ner-jan, ner-je,
selbst in -ig erweitertes (1, 903.); misbräuchlich haben
-j, -ig sich ins praes. zweiter schw. conj. gedrängt
(1, 907.).

3) unterdrückung des -i erfolgt stufenweise, im goth.
schwindet es beinahe nie (nur z. b. in mahta f. mag-i-da
u. dgl.) im nhd. fast überall, z. b. naer-en, sauch-en,
her-, lerer (alth. ler-ar-i) will-e, red-e, naer-te,
kaum daß es auslautend in einzelnen wörtern zweiter
decl. gelitten ist: hirt-e, müd-e. Umlaut und cons.
gemination sind oft gebliebene wirkung des geschwunde-
nen ableitungs-i. --

(U) kurzes u leitet ab

1) nomina dritter starker decl., als: sun-u-s, skad-u-s,
fot-u-s, hand-u-s, faih-u, hard-u-s, thaurs-u-s,
auch als zweite ableitung: vint-r-u-s, agg-il-u-s,
as-il-u-s. Alth. ist es weit seltner, z. b. noch da in
sun-u, huk-u, vih-u, gewöhnlich in -i verwandelt:
hert-i, durr-i, oder völlig geschwunden: vuoß-,
wint-ar-, es-il, eng-il- für vuoßu, wintaru, esilu.
Altn. scheint es überall verloren, hat aber in wurzeln
mit a umlaut hinterlaßen, als mög-r, vönd-r, tönn-,
hönd-, welche ein älteres mög-u-r, vönd-u-r, tönn-u,
hönd-u bedeuten, zugleich für unumlautbare derselben
decl. mitbeweisen, daher auch lim-r f. lim-u-r stehet,
rot f. rot-u. Die -u ableitungen sind also hauptsächlich
aus dem goth. und altn. zu erkennen.

2) für kein ableitungs-u, sondern für bloß flexivisch
halte ich das -u, welches im nom. sg. fem. und nom.
acc. pl. neutr. der ersten decl. subst. und adj. verschiedene
ältere dialecte weisen, wofür jedoch goth. überall -a stehet.

3) auffallend, daß keine schwachen verba mit -u, pa-
rallel denen mit -i, abgeleitet werden, in den ableitun-
gen mit -o ließen sich ursprüngliche -u höchstens ver-
muthen, nicht beweisen (krot-uda f. krot-oda 1, 855,
wo das au unwahrscheinlicher, vgl. 1, 96.)

III. reinvocaliſche ableitungen.
ſeitig) als: ſunt-ë-a, arp-ë-o, arp-ë-ônô; ſunt-ë-ônô;
nicht vor ë, i, u, ſondern nur ſunt-i-ûn oder ſunt-
jûn etc.; auch nicht vor conſonanten, z. b. nur ner-i-ta,
niemahls ner-ë-ta; im flexionsloſen fall erſt ſpäterhin
bei N. z. b. hirt-ë, ſuoƷ-ë f. hirt-i, ſuoƷ-i. Altſ.
wechſeln j-e und ë-a (1, 207. 633.); agſ. zeigt ſich ins-
gemein ë vor vocalen, conſonanten und auslautend, z. b.
hird-ë, rîc-ë, ner-ë-de, aglæc-ë-a, ſêc-ë-an
(1, 905.); nur praeſensformen hegen j: ner-jan, ner-je,
ſelbſt in -ig erweitertes (1, 903.); misbräuchlich haben
-j, -ig ſich ins praeſ. zweiter ſchw. conj. gedrängt
(1, 907.).

3) unterdrückung des -i erfolgt ſtufenweiſe, im goth.
ſchwindet es beinahe nie (nur z. b. in mahta f. mag-i-da
u. dgl.) im nhd. faſt überall, z. b. nær-en, ſûch-en,
hêr-, lêrer (alth. lêr-âr-i) will-e, red-e, nær-te,
kaum daß es auslautend in einzelnen wörtern zweiter
decl. gelitten iſt: hirt-e, muͤd-e. Umlaut und conſ.
gemination ſind oft gebliebene wirkung des geſchwunde-
nen ableitungs-i. —

(U) kurzes u leitet ab

1) nomina dritter ſtarker decl., als: ſun-u-s, ſkad-u-s,
fôt-u-s, hand-u-s, faíh-u, hard-u-s, þaúrſ-u-s,
auch als zweite ableitung: vint-r-u-s, agg-il-u-s,
aſ-il-u-s. Alth. iſt es weit ſeltner, z. b. noch da in
ſun-u, huk-u, vih-u, gewöhnlich in -i verwandelt:
hert-i, durr-i, oder völlig geſchwunden: vuoƷ-,
wint-ar-, eſ-il, eng-il- für vuoƷu, wintaru, eſilu.
Altn. ſcheint es überall verloren, hat aber in wurzeln
mit a umlaut hinterlaßen, als mög-r, vönd-r, tönn-,
hönd-, welche ein älteres mög-u-r, vönd-u-r, tönn-u,
hönd-u bedeuten, zugleich für unumlautbare derſelben
decl. mitbeweiſen, daher auch lim-r f. lim-u-r ſtehet,
rôt f. rôt-u. Die -u ableitungen ſind alſo hauptſächlich
aus dem goth. und altn. zu erkennen.

2) für kein ableitungs-u, ſondern für bloß flexiviſch
halte ich das -u, welches im nom. ſg. fem. und nom.
acc. pl. neutr. der erſten decl. ſubſt. und adj. verſchiedene
ältere dialecte weiſen, wofür jedoch goth. überall -a ſtehet.

3) auffallend, daß keine ſchwachen verba mit -u, pa-
rallel denen mit -i, abgeleitet werden, in den ableitun-
gen mit -ô ließen ſich urſprüngliche -u höchſtens ver-
muthen, nicht beweiſen (krôt-uda f. krôt-ôda 1, 855,
wo das û unwahrſcheinlicher, vgl. 1, 96.)

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[94/0112] III. reinvocaliſche ableitungen. ſeitig) als: ſunt-ë-a, arp-ë-o, arp-ë-ônô; ſunt-ë-ônô; nicht vor ë, i, u, ſondern nur ſunt-i-ûn oder ſunt- jûn etc.; auch nicht vor conſonanten, z. b. nur ner-i-ta, niemahls ner-ë-ta; im flexionsloſen fall erſt ſpäterhin bei N. z. b. hirt-ë, ſuoƷ-ë f. hirt-i, ſuoƷ-i. Altſ. wechſeln j-e und ë-a (1, 207. 633.); agſ. zeigt ſich ins- gemein ë vor vocalen, conſonanten und auslautend, z. b. hird-ë, rîc-ë, ner-ë-de, aglæc-ë-a, ſêc-ë-an (1, 905.); nur praeſensformen hegen j: ner-jan, ner-je, ſelbſt in -ig erweitertes (1, 903.); misbräuchlich haben -j, -ig ſich ins praeſ. zweiter ſchw. conj. gedrängt (1, 907.). 3) unterdrückung des -i erfolgt ſtufenweiſe, im goth. ſchwindet es beinahe nie (nur z. b. in mahta f. mag-i-da u. dgl.) im nhd. faſt überall, z. b. nær-en, ſûch-en, hêr-, lêrer (alth. lêr-âr-i) will-e, red-e, nær-te, kaum daß es auslautend in einzelnen wörtern zweiter decl. gelitten iſt: hirt-e, muͤd-e. Umlaut und conſ. gemination ſind oft gebliebene wirkung des geſchwunde- nen ableitungs-i. — (U) kurzes u leitet ab 1) nomina dritter ſtarker decl., als: ſun-u-s, ſkad-u-s, fôt-u-s, hand-u-s, faíh-u, hard-u-s, þaúrſ-u-s, auch als zweite ableitung: vint-r-u-s, agg-il-u-s, aſ-il-u-s. Alth. iſt es weit ſeltner, z. b. noch da in ſun-u, huk-u, vih-u, gewöhnlich in -i verwandelt: hert-i, durr-i, oder völlig geſchwunden: vuoƷ-, wint-ar-, eſ-il, eng-il- für vuoƷu, wintaru, eſilu. Altn. ſcheint es überall verloren, hat aber in wurzeln mit a umlaut hinterlaßen, als mög-r, vönd-r, tönn-, hönd-, welche ein älteres mög-u-r, vönd-u-r, tönn-u, hönd-u bedeuten, zugleich für unumlautbare derſelben decl. mitbeweiſen, daher auch lim-r f. lim-u-r ſtehet, rôt f. rôt-u. Die -u ableitungen ſind alſo hauptſächlich aus dem goth. und altn. zu erkennen. 2) für kein ableitungs-u, ſondern für bloß flexiviſch halte ich das -u, welches im nom. ſg. fem. und nom. acc. pl. neutr. der erſten decl. ſubſt. und adj. verſchiedene ältere dialecte weiſen, wofür jedoch goth. überall -a ſtehet. 3) auffallend, daß keine ſchwachen verba mit -u, pa- rallel denen mit -i, abgeleitet werden, in den ableitun- gen mit -ô ließen ſich urſprüngliche -u höchſtens ver- muthen, nicht beweiſen (krôt-uda f. krôt-ôda 1, 855, wo das û unwahrſcheinlicher, vgl. 1, 96.)

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/112>, abgerufen am 22.11.2024.