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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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II. althochdeutsche starke conjugation.
volkssprache feifalter, pfeipfalter, fifalter, Aus der re-
dupl. entwickelte sich aber der unorg. ablaut eia, wie
ich ihn zu schreiben wage, aus dem eia der gewöhn-
liche diphth. ia [vgl. oben s. 103. 104.] später ie;
verschiedene denkmähler des 8. 9. jahrh. haben ea
[s. 101.], vielleicht auch ea zu schreiben: leaß, bleas,
feanc? solche die sich dem sächs. nähern, setzen e,
als: fenc J. 367. 385. Dieser herleitung des alth. eia
der vier ersten decl. aus uralter redupl. stehen zwei
einwürfe entgegen: a) in erster conj. verständigt sich
eia wohl aus eia, weil der voeal der wurzel a lautet;
in zweiter hingegen sollte man eiei, oder eiei; in drit-
ter eio oder eio in vierter eia oder eia erwarten, da
hier von keinem wurzelhaften a rede seyn kann.
Wirklich zeigt sich spurweise in der dritten heio (T.
185, 2.) heiu (N. p. 258a, 12.) leiuf (N. 58, 5.) st. heiou,
hleiouf [vgl. oben s. 106.], zur zweiten würde die
schreibung eie, vielleicht eie? passen (heieß, sceied); all-
mählig kam in alle vier conj. einförmigkeit des ab-
lauts. Ja ein einzelnes verbum verflüchtigte das aus
dem alten ei, ei stammende i in den cons. j und wies
sich aus der zweiten in die zehnte conj. ein, nämlich
dem goth. aikan, aaik, aiaikun wäre alth. eihhan,
eiah, eiahhun parallel, sobald sich aber jah, jahun ge-
bildet hatte, fand sich das praes. gihan, gihu. --
b) die syncope der spirans h (heialt, heieß st. heihalt,
heiheiß) ist leicht, schwerer die der übrigen cons. zu
begreifen: wie wurde aus veival, speispalt, meimeiß
ein veial, speialt, meieß? Hätten wir noch quellen
des 6. 7. jahrh. übrig, sie würden uns mittelwege
aufdecken, durch welche diese formen gelaufen sind,
um aus fühlbarer redupl. in verhärteten ablaut aus-
zuarten; die geschehene verwandlung läßt sich bei der
identität aller einzelnen verba in den alth. und goth.
conj. gar nicht bestreiten.
2) vocale; a) das kurze i wird zu e, theils ausgedehn-
ter, theils beschränkter, als das goth. i zu aei. Aus-
gedehnter, nämlich nicht bloß vor r und h, sondern
auch vor allen andern cons. zehnter, eilfter und zwölf-
ter
conj. (außer vor m und n zwölfter). Einge-
schränkter, nämlich sowohl vor r und h, als vor al-
len übrigen cons. bleibt das alte i im ganzen praes.
sg. ind. und imp. während es im goth. vor r und h
auch da verwandelt wird. Dadurch bildet sich eine
der goth. sprache unbekannte unterscheidung des praes.
II. althochdeutſche ſtarke conjugation.
volksſprache feifalter, pfeipfalter, fifalter, Aus der re-
dupl. entwickelte ſich aber der unorg. ablaut îa, wie
ich ihn zu ſchreiben wage, aus dem îa der gewöhn-
liche diphth. ia [vgl. oben ſ. 103. 104.] ſpäter ie;
verſchiedene denkmähler des 8. 9. jahrh. haben ëa
[ſ. 101.], vielleicht auch êa zu ſchreiben: lêaƷ, blêas,
fêanc? ſolche die ſich dem ſächſ. nähern, ſetzen ê,
als: fênc J. 367. 385. Dieſer herleitung des alth. îa
der vier erſten decl. aus uralter redupl. ſtehen zwei
einwürfe entgegen: α) in erſter conj. verſtändigt ſich
îa wohl aus eia, weil der voeal der wurzel a lautet;
in zweiter hingegen ſollte man eiei, oder îei; in drit-
ter eiô oder îô in vierter eià oder îâ erwarten, da
hier von keinem wurzelhaften a rede ſeyn kann.
Wirklich zeigt ſich ſpurweiſe in der dritten hîô (T.
185, 2.) hîu (N. p. 258a, 12.) lîuf (N. 58, 5.) ſt. hîou,
hlîouf [vgl. oben ſ. 106.], zur zweiten würde die
ſchreibung îe, vielleicht îê? paſſen (hîêƷ, ſcîêd); all-
mählig kam in alle vier conj. einförmigkeit des ab-
lauts. Ja ein einzelnes verbum verflüchtigte das aus
dem alten ei, î ſtammende i in den conſ. j und wies
ſich aus der zweiten in die zehnte conj. ein, nämlich
dem goth. áikan, áaik, áiáikun wäre alth. eihhan,
îah, îahhun parallel, ſobald ſich aber jah, jâhun ge-
bildet hatte, fand ſich das praeſ. gihan, gihu. —
β) die ſyncope der ſpirans h (heialt, heiêƷ ſt. heihalt,
heiheiƷ) iſt leicht, ſchwerer die der übrigen conſ. zu
begreifen: wie wurde aus veival, ſpeiſpalt, meimeiƷ
ein vîal, ſpîalt, mîêƷ? Hätten wir noch quellen
des 6. 7. jahrh. übrig, ſie würden uns mittelwege
aufdecken, durch welche dieſe formen gelaufen ſind,
um aus fühlbarer redupl. in verhärteten ablaut aus-
zuarten; die geſchehene verwandlung läßt ſich bei der
identität aller einzelnen verba in den alth. und goth.
conj. gar nicht beſtreiten.
2) vocale; α) das kurze i wird zu ë, theils ausgedehn-
ter, theils beſchränkter, als das goth. i zu aî. Aus-
gedehnter, nämlich nicht bloß vor r und h, ſondern
auch vor allen andern conſ. zehnter, eilfter und zwölf-
ter
conj. (außer vor m und n zwölfter). Einge-
ſchränkter, nämlich ſowohl vor r und h, als vor al-
len übrigen conſ. bleibt das alte i im ganzen praeſ.
ſg. ind. und imp. während es im goth. vor r und h
auch da verwandelt wird. Dadurch bildet ſich eine
der goth. ſprache unbekannte unterſcheidung des praeſ.
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[863/0889] II. althochdeutſche ſtarke conjugation. volksſprache feifalter, pfeipfalter, fifalter, Aus der re- dupl. entwickelte ſich aber der unorg. ablaut îa, wie ich ihn zu ſchreiben wage, aus dem îa der gewöhn- liche diphth. ia [vgl. oben ſ. 103. 104.] ſpäter ie; verſchiedene denkmähler des 8. 9. jahrh. haben ëa [ſ. 101.], vielleicht auch êa zu ſchreiben: lêaƷ, blêas, fêanc? ſolche die ſich dem ſächſ. nähern, ſetzen ê, als: fênc J. 367. 385. Dieſer herleitung des alth. îa der vier erſten decl. aus uralter redupl. ſtehen zwei einwürfe entgegen: α) in erſter conj. verſtändigt ſich îa wohl aus eia, weil der voeal der wurzel a lautet; in zweiter hingegen ſollte man eiei, oder îei; in drit- ter eiô oder îô in vierter eià oder îâ erwarten, da hier von keinem wurzelhaften a rede ſeyn kann. Wirklich zeigt ſich ſpurweiſe in der dritten hîô (T. 185, 2.) hîu (N. p. 258a, 12.) lîuf (N. 58, 5.) ſt. hîou, hlîouf [vgl. oben ſ. 106.], zur zweiten würde die ſchreibung îe, vielleicht îê? paſſen (hîêƷ, ſcîêd); all- mählig kam in alle vier conj. einförmigkeit des ab- lauts. Ja ein einzelnes verbum verflüchtigte das aus dem alten ei, î ſtammende i in den conſ. j und wies ſich aus der zweiten in die zehnte conj. ein, nämlich dem goth. áikan, áaik, áiáikun wäre alth. eihhan, îah, îahhun parallel, ſobald ſich aber jah, jâhun ge- bildet hatte, fand ſich das praeſ. gihan, gihu. — β) die ſyncope der ſpirans h (heialt, heiêƷ ſt. heihalt, heiheiƷ) iſt leicht, ſchwerer die der übrigen conſ. zu begreifen: wie wurde aus veival, ſpeiſpalt, meimeiƷ ein vîal, ſpîalt, mîêƷ? Hätten wir noch quellen des 6. 7. jahrh. übrig, ſie würden uns mittelwege aufdecken, durch welche dieſe formen gelaufen ſind, um aus fühlbarer redupl. in verhärteten ablaut aus- zuarten; die geſchehene verwandlung läßt ſich bei der identität aller einzelnen verba in den alth. und goth. conj. gar nicht beſtreiten. 2) vocale; α) das kurze i wird zu ë, theils ausgedehn- ter, theils beſchränkter, als das goth. i zu aî. Aus- gedehnter, nämlich nicht bloß vor r und h, ſondern auch vor allen andern conſ. zehnter, eilfter und zwölf- ter conj. (außer vor m und n zwölfter). Einge- ſchränkter, nämlich ſowohl vor r und h, als vor al- len übrigen conſ. bleibt das alte i im ganzen praeſ. ſg. ind. und imp. während es im goth. vor r und h auch da verwandelt wird. Dadurch bildet ſich eine der goth. ſprache unbekannte unterſcheidung des praeſ.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 863. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/889>, abgerufen am 28.07.2024.