(es ist vielmehr = angels. eo, altn. io). Man vgl. an- gels. formen wie heofon (coelum) seofon (septem, goth. sibun) geofon (mare) eofor (aper) neben gifan (dare goth. giban) efen (aequalis) und die altn. kiöl, kialar, kili, iörmun. Freilich widerstreben andere dem ge- danken einer assimilation, z. b. das angels. beofan (tremere) oder die schreibung eofer (aper); vielleicht aber wäre theoretisch entw. eofor oder efer; beofon oder befan, bifan zu vermuthen und einem früheren sprachstande angemeßen? Das alth. organ. i in den wurzelsilben wirfit, birit, gistirri, giwitiri (s. 81.) schreibe ich keiner assimilation zu. weil auch das org. u bei der endung i vortaucht (s. 84.).
III. Einsluß des accents. In allen deutschen spra- chen trägt allmählig die betonung zur verwirrung der org. quantitätsverhältnisse bei, indem sie jeden kurzen voc., dem bloß einfache consonanz folgt, in einen langen umschafft. So bilden sich unzählige a, e, ei, o, au, ae, oe, ü an stelle früherer a, e, e, i, o, u, ä, ö, ü. Man merke
1) da wo die org. länge a, e, ei, o, au vor der zeit dieser verlängerung in einen andern verwandten diphthon- gen übergetreten ist, unterscheidet sich natürlich von ihm die neue unorg. länge; da wo kein solcher über- tritt statt fand, fallen beide zusammen. Jenes ist der fall beim neuhochd. ei und ei; au und au; schwed. a und a, dän. aa und a. Das mittelh. org. ei, au war zu ei, au, das altn. org. a zu a, aa geworden, darum mischte sich meir (mihi) geir (cupido) veil (multum) nicht mit feier (celebratio) pfeil (sagitta); taugend (vir- tus) nicht mit taugen (valere); tala (loqui) nicht mit mala (pingere). Das neuh. ei, au, schwed. dän. a sind daher überall unorganisch. Der zweite fall ereignet sich bei den übrigen vocalen, d. h. das neuh. a, e, o sind bald org. bald unorganisch; gleicherweise das schwed. e, ei, o, au.
2) manche kurze vocale sind durch unorganische cons. gemination gesichert und gerettet worden. Metrische länge entspringt freilich auch damit; für die prosa scheint mir aber falsche gemination des cons. ein ge- ringeres übel, als falsche längerung des vocals, wie- wohl die überwiegende neigung zu geminieren noch schädlichere kürzung ursprünglicher längen herbeiführt. Es versteht sich von selbst, daß beiderlei richtungen
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I. überſicht der kurzen vocale.
(es iſt vielmehr = angelſ. ëó, altn. ió). Man vgl. an- gelſ. formen wie hëofon (coelum) ſëofon (ſeptem, goth. ſibun) gëofon (mare) ëofor (aper) neben gifan (dare goth. giban) ëfen (aequalis) und die altn. kiöl, kialar, kili, iörmun. Freilich widerſtreben andere dem ge- danken einer aſſimilation, z. b. das angelſ. bëofan (tremere) oder die ſchreibung ëofer (aper); vielleicht aber wäre theoretiſch entw. ëofor oder ëfer; bëofon oder bëfan, bifan zu vermuthen und einem früheren ſprachſtande angemeßen? Das alth. organ. i in den wurzelſilben wirfit, birit, giſtirri, giwitiri (ſ. 81.) ſchreibe ich keiner aſſimilation zu. weil auch das org. u bei der endung i vortaucht (ſ. 84.).
III. Einſluß des accents. In allen deutſchen ſpra- chen trägt allmählig die betonung zur verwirrung der org. quantitätsverhältniſſe bei, indem ſie jeden kurzen voc., dem bloß einfache conſonanz folgt, in einen langen umſchafft. So bilden ſich unzählige â, ê, î, ô, û, æ, œ, uͤ an ſtelle früherer a, e, ë, i, o, u, ä, ö, ü. Man merke
1) da wo die org. länge â, ê, î, ô, û vor der zeit dieſer verlängerung in einen andern verwandten diphthon- gen übergetreten iſt, unterſcheidet ſich natürlich von ihm die neue unorg. länge; da wo kein ſolcher über- tritt ſtatt fand, fallen beide zuſammen. Jenes iſt der fall beim neuhochd. ei und î; au und û; ſchwed. å und â, dän. aa und â. Das mittelh. org. î, û war zu ei, au, das altn. org. â zu å, aa geworden, darum miſchte ſich mîr (mihi) gîr (cupido) vîl (multum) nicht mit feier (celebratio) pfeil (ſagitta); tûgend (vir- tus) nicht mit taugen (valere); tâla (loqui) nicht mit måla (pingere). Das neuh. î, û, ſchwed. dän. â ſind daher überall unorganiſch. Der zweite fall ereignet ſich bei den übrigen vocalen, d. h. das neuh. â, ê, ô ſind bald org. bald unorganiſch; gleicherweiſe das ſchwed. ê, î, ô, û.
2) manche kurze vocale ſind durch unorganiſche conſ. gemination geſichert und gerettet worden. Metriſche länge entſpringt freilich auch damit; für die proſa ſcheint mir aber falſche gemination des conſ. ein ge- ringeres übel, als falſche längerung des vocals, wie- wohl die überwiegende neigung zu geminieren noch ſchädlichere kürzung urſprünglicher längen herbeiführt. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß beiderlei richtungen
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(es iſt vielmehr = angelſ. ëó, altn. ió). Man vgl. an-
gelſ. formen wie hëofon (coelum) ſëofon (ſeptem, goth.
ſibun) gëofon (mare) ëofor (aper) neben gifan (dare
goth. giban) ëfen (aequalis) und die altn. kiöl, kialar,
kili, iörmun. Freilich widerſtreben andere dem ge-
danken einer aſſimilation, z. b. das angelſ. bëofan
(tremere) oder die ſchreibung ëofer (aper); vielleicht
aber wäre theoretiſch entw. ëofor oder ëfer; bëofon
oder bëfan, bifan zu vermuthen und einem früheren
ſprachſtande angemeßen? Das alth. organ. i in den
wurzelſilben wirfit, birit, giſtirri, giwitiri (ſ. 81.)
ſchreibe ich keiner aſſimilation zu. weil auch das
org. u bei der endung i vortaucht (ſ. 84.).
III. Einſluß des accents. In allen deutſchen ſpra-
chen trägt allmählig die betonung zur verwirrung der
org. quantitätsverhältniſſe bei, indem ſie jeden kurzen
voc., dem bloß einfache conſonanz folgt, in einen
langen umſchafft. So bilden ſich unzählige â, ê, î, ô, û,
æ, œ, uͤ an ſtelle früherer a, e, ë, i, o, u, ä, ö, ü.
Man merke
1) da wo die org. länge â, ê, î, ô, û vor der zeit dieſer
verlängerung in einen andern verwandten diphthon-
gen übergetreten iſt, unterſcheidet ſich natürlich von
ihm die neue unorg. länge; da wo kein ſolcher über-
tritt ſtatt fand, fallen beide zuſammen. Jenes iſt der
fall beim neuhochd. ei und î; au und û; ſchwed. å
und â, dän. aa und â. Das mittelh. org. î, û war zu
ei, au, das altn. org. â zu å, aa geworden, darum
miſchte ſich mîr (mihi) gîr (cupido) vîl (multum)
nicht mit feier (celebratio) pfeil (ſagitta); tûgend (vir-
tus) nicht mit taugen (valere); tâla (loqui) nicht mit
måla (pingere). Das neuh. î, û, ſchwed. dän. â ſind
daher überall unorganiſch. Der zweite fall ereignet
ſich bei den übrigen vocalen, d. h. das neuh. â, ê, ô
ſind bald org. bald unorganiſch; gleicherweiſe das
ſchwed. ê, î, ô, û.
2) manche kurze vocale ſind durch unorganiſche conſ.
gemination geſichert und gerettet worden. Metriſche
länge entſpringt freilich auch damit; für die proſa
ſcheint mir aber falſche gemination des conſ. ein ge-
ringeres übel, als falſche längerung des vocals, wie-
wohl die überwiegende neigung zu geminieren noch
ſchädlichere kürzung urſprünglicher längen herbeiführt.
Es verſteht ſich von ſelbſt, daß beiderlei richtungen
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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 577. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/603>, abgerufen am 22.11.2024.
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