Soll der apostroph bei durch ihre berührung und anleh- nung verkürzten wörtern gesetzt werden? denn im fall der apocope, syncope, innern elision und zusammen- setzung wird ihn niemand schreiben wollen, weil er dann unendlich seyn müste. Die alten handschriften brauchen ihn überhaupt nicht. Nützlich aber, wenn nicht nothwendig scheint der apostroph für jene berüh- rungen, wo sie sich noch nicht in völlige zusammenzie- hungen (wie: nicht, niemand etc.) verknöchert haben, entbehrlich in einigen gar zu häufigen fällen (wie z'im, z'ir etc.)
Von den gothischen buchstaben.
Gothische lieder, aus deren metrum aufschlüße über die aussprache der einzelnen laute zu nehmen wären, mangeln. Die übertragung der eigennamen und einiger anderen wörter der heil. schrift in das gothische kann uns verschiedenes lehren. Voraussetzen darf man, daß Ulphilas mit der damahligen griechischen aussprache bekannt war, doch auch muthmaßen, daß er in der anwendung auf den goth. laut zuweilen strauchelte; daher einige inconsequenzen, wo ihnen nicht andere oder selbst schwankende lesarten des griech. textes zu grunde gelegen haben.
Ulphilas hat in der schrift die fünf vocale a, e, i, o, u, von welchen jedoch e und o, obgleich mit dem einfachen zeichen ausgedrückt, durchaus als gedehnte (doppelte) zu betrachten sind. Es gibt also nur drei einfache gothische vocale a, i, u, den griech. a, i, ou entsprechend; einigemahl dient auch u für den gedehn- ten laut au; außer ihm noch zwei gedehnte, e und o, den griech. e und o entsprechend und vier andere dop- pellaute: ai, au, ei, iu, deren letzter nur in goth. nicht in fremden wörtern auftritt. ai, au, ei dienen aber für die griech. einfachen laute e, o, i. Das griech. u (y) wird durch den goth. consonanten v. wieder ge- geben.
(A) a, unter allen goth. vocalen der häufigste, gilt so viel als ein griech. a. und lautet wie dasselbe oder wie das neuh. in laden, alt etc. Und zwar ist es ein
C
I. gothiſche buchſtaben.
Soll der apoſtroph bei durch ihre berührung und anleh- nung verkürzten wörtern geſetzt werden? denn im fall der apocope, ſyncope, innern eliſion und zuſammen- ſetzung wird ihn niemand ſchreiben wollen, weil er dann unendlich ſeyn müſte. Die alten handſchriften brauchen ihn überhaupt nicht. Nützlich aber, wenn nicht nothwendig ſcheint der apoſtroph für jene berüh- rungen, wo ſie ſich noch nicht in völlige zuſammenzie- hungen (wie: nicht, niemand etc.) verknöchert haben, entbehrlich in einigen gar zu häufigen fällen (wie z’im, z’ir etc.)
Von den gothiſchen buchſtaben.
Gothiſche lieder, aus deren metrum aufſchlüße über die ausſprache der einzelnen laute zu nehmen wären, mangeln. Die übertragung der eigennamen und einiger anderen wörter der heil. ſchrift in das gothiſche kann uns verſchiedenes lehren. Vorausſetzen darf man, daß Ulphilas mit der damahligen griechiſchen ausſprache bekannt war, doch auch muthmaßen, daß er in der anwendung auf den goth. laut zuweilen ſtrauchelte; daher einige inconſequenzen, wo ihnen nicht andere oder ſelbſt ſchwankende lesarten des griech. textes zu grunde gelegen haben.
Ulphilas hat in der ſchrift die fünf vocale a, e, i, o, u, von welchen jedoch e und o, obgleich mit dem einfachen zeichen ausgedrückt, durchaus als gedehnte (doppelte) zu betrachten ſind. Es gibt alſo nur drei einfache gothiſche vocale a, i, u, den griech. α, ι, ου entſprechend; einigemahl dient auch u für den gedehn- ten laut û; außer ihm noch zwei gedehnte, e und o, den griech. η und ω entſprechend und vier andere dop- pellaute: ai, au, ei, iu, deren letzter nur in goth. nicht in fremden wörtern auftritt. ai, au, ei dienen aber für die griech. einfachen laute ε, ο, ι. Das griech. υ (y) wird durch den goth. conſonanten v. wieder ge- geben.
(A) a, unter allen goth. vocalen der häufigſte, gilt ſo viel als ein griech. α. und lautet wie dasſelbe oder wie das neuh. in laden, alt etc. Und zwar iſt es ein
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I. gothiſche buchſtaben.
Soll der apoſtroph bei durch ihre berührung und anleh-
nung verkürzten wörtern geſetzt werden? denn im fall
der apocope, ſyncope, innern eliſion und zuſammen-
ſetzung wird ihn niemand ſchreiben wollen, weil er
dann unendlich ſeyn müſte. Die alten handſchriften
brauchen ihn überhaupt nicht. Nützlich aber, wenn
nicht nothwendig ſcheint der apoſtroph für jene berüh-
rungen, wo ſie ſich noch nicht in völlige zuſammenzie-
hungen (wie: nicht, niemand etc.) verknöchert haben,
entbehrlich in einigen gar zu häufigen fällen (wie z’im,
z’ir etc.)
Von den gothiſchen buchſtaben.
Gothiſche lieder, aus deren metrum aufſchlüße über
die ausſprache der einzelnen laute zu nehmen wären,
mangeln. Die übertragung der eigennamen und einiger
anderen wörter der heil. ſchrift in das gothiſche kann
uns verſchiedenes lehren. Vorausſetzen darf man, daß
Ulphilas mit der damahligen griechiſchen ausſprache
bekannt war, doch auch muthmaßen, daß er in der
anwendung auf den goth. laut zuweilen ſtrauchelte;
daher einige inconſequenzen, wo ihnen nicht andere
oder ſelbſt ſchwankende lesarten des griech. textes zu
grunde gelegen haben.
Ulphilas hat in der ſchrift die fünf vocale a, e, i,
o, u, von welchen jedoch e und o, obgleich mit dem
einfachen zeichen ausgedrückt, durchaus als gedehnte
(doppelte) zu betrachten ſind. Es gibt alſo nur drei
einfache gothiſche vocale a, i, u, den griech. α, ι, ου
entſprechend; einigemahl dient auch u für den gedehn-
ten laut û; außer ihm noch zwei gedehnte, e und o,
den griech. η und ω entſprechend und vier andere dop-
pellaute: ai, au, ei, iu, deren letzter nur in goth.
nicht in fremden wörtern auftritt. ai, au, ei dienen
aber für die griech. einfachen laute ε, ο, ι. Das griech.
υ (y) wird durch den goth. conſonanten v. wieder ge-
geben.
(A) a, unter allen goth. vocalen der häufigſte, gilt
ſo viel als ein griech. α. und lautet wie dasſelbe oder
wie das neuh. in laden, alt etc. Und zwar iſt es ein
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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/59>, abgerufen am 28.11.2024.
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