Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

Bild:
<< vorherige Seite

I. mittelniederdeutsche vocale.
Roth. 1a 47a 3a mag es der freiere reim seyn, der her-
ren auch auf waren (fragm. 6b Roth. 48b) und ewen
(Roth. 45a) bindet. In Veld. En. stehen herre, herren:
ere, sere, eren, keren beinahe auf allen blättern ge-
reimt (1c 2c 5a etc.); seltner bei Herb. (17d herre:were
f. waere). -- 3) e = ie scheint, wie im altsächs., zu
schwanken, ich erinnere mich aus der En. nur des ein-
zigen reimes prester : mester 68d, der ein e = ie mit
einem e = ei bände, da doch sonst rede (consuleret)
mede (donum) u. dgl. auf arbede, warhede, berede etc.
nahe gelegen hätten (übrigens ein zeugniß für Veld.
reimgenauheit; als lose reime wären miede : arbede un-
tadelhaft); in der regel muß ie bei Veld. und Herb.
fordauern und lied (carmen) schied (sejunxit) von led
(odiosus) gesondert werden. Andere quellen haben da-
gegen e für ie, vgl. gestend: gedend, leve:deve gan-
dersh. 151b 154b, allene:dene, denen:menen Bruns
115. 116. etc.

(II) wie im mittelh. und nicht in e übertretend, un-
geachtet das kurze i oft zu e wird, das mittelh. treiben,
treip, triben, getriben lautet hier dreiven, dref, dreven,
gedreven. Eine annäherung zwischen ei und e verräth
doch der reim arbed:teid En. 23b.

(OO) wie das alts. o dreifach, nämlich das hochd.
o, ou und uo ersetzend, z. b. stoten (trudere) hoved
(caput) mod (mens), daher die ins mittelh. unübertrag-
baren reime scone (pulcher):kone (audax) En. 35a horde
(audiit):vorde (duxit) Herb. 33b; mode:hemode (patria)
Herb. 46d 101a; hemoden:behoden gand. 161a; do (tum)
so (ita):to (ad) fro (mane) En. 24c 73c Herb. 5c 31b 36b
46c 80d 115b, wiewohl theils das mittelh. ähnliche reime
von o:uo kennt (s. 346.). theils im mitteln. (wie im
alts.) der laut uo neben o (analog dem ie neben e) vor-
kommen könnte; wirklich reimen Veld. und Herb. das
dritte o kaum auf die beiden ersten. Beide aber zu-
weilen o auf kurzes o, namentlich vor rd, als horde
(audivit):andworde (respondit) En. 13b 21c:worde (verbo)
En. 17b 79b; horden:borden (fimbriis) En. 13c 14b;
gehord:vord Herb. 21d; vorden (ducebant): worden
Herb. 32d; gevord:dord (illuc) 18a, wobei man eher
kürzungen in horde, vorde, gehord (analogie des mit-
telh. s. 347.) als verlängerung in worde, borden (vgl.
das niederländ.) anzunehmen hat. Das mittelh. urloup
(venia) lautet orlof st. orlof, da es auf hof (aula) reimt,

I. mittelniederdeutſche vocale.
Roth. 1a 47a 3a mag es der freiere reim ſeyn, der hër-
ren auch auf wâren (fragm. 6b Roth. 48b) und êwen
(Roth. 45a) bindet. In Veld. En. ſtehen hërre, hërren:
êre, ſêre, êren, kêren beinahe auf allen blättern ge-
reimt (1c 2c 5a etc.); ſeltner bei Herb. (17d hërre:wêre
f. wære). — 3) ê = ie ſcheint, wie im altſächſ., zu
ſchwanken, ich erinnere mich aus der En. nur des ein-
zigen reimes prêſter : mêſter 68d, der ein ê = ie mit
einem ê = ei bände, da doch ſonſt rêde (conſuleret)
mêde (donum) u. dgl. auf arbêde, wârhêde, berêde etc.
nahe gelegen hätten (übrigens ein zeugniß für Veld.
reimgenauheit; als loſe reime wären miede : arbêde un-
tadelhaft); in der regel muß ie bei Veld. und Herb.
fordauern und lied (carmen) ſchied (ſejunxit) von lêd
(odioſus) geſondert werden. Andere quellen haben da-
gegen ê für ie, vgl. geſtênd: gedênd, lêve:dêve gan-
dersh. 151b 154b, allêne:dêne, dênen:mênen Bruns
115. 116. etc.

(II) wie im mittelh. und nicht in ê übertretend, un-
geachtet das kurze i oft zu ë wird, das mittelh. trîben,
treip, triben, getriben lautet hier drîven, drêf, drëven,
gedrëven. Eine annäherung zwiſchen î und ê verräth
doch der reim arbêd:tîd En. 23b.

(OO) wie das altſ. ô dreifach, nämlich das hochd.
ô, ou und uo erſetzend, z. b. ſtôten (trudere) hôved
(caput) môd (mens), daher die ins mittelh. unübertrag-
baren reime ſcône (pulcher):kône (audax) En. 35a hôrde
(audiit):vôrde (duxit) Herb. 33b; môde:hêmôde (patria)
Herb. 46d 101a; hêmôden:behôden gand. 161a; dô (tum)
ſô (ita):tô (ad) frô (mane) En. 24c 73c Herb. 5c 31b 36b
46c 80d 115b, wiewohl theils das mittelh. ähnliche reime
von ô:uo kennt (ſ. 346.). theils im mitteln. (wie im
altſ.) der laut uo neben ô (analog dem ie neben ê) vor-
kommen könnte; wirklich reimen Veld. und Herb. das
dritte ô kaum auf die beiden erſten. Beide aber zu-
weilen ô auf kurzes o, namentlich vor rd, als hôrde
(audivit):andworde (reſpondit) En. 13b 21c:worde (verbo)
En. 17b 79b; hôrden:borden (fimbriis) En. 13c 14b;
gehôrd:vord Herb. 21d; vôrden (ducebant): worden
Herb. 32d; gevôrd:dord (illuc) 18a, wobei man eher
kürzungen in horde, vorde, gehord (analogie des mit-
telh. ſ. 347.) als verlängerung in wôrde, bôrden (vgl.
das niederländ.) anzunehmen hat. Das mittelh. urloup
(venia) lautet orlof ſt. orlôf, da es auf hof (aula) reimt,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0486" n="460"/><fw place="top" type="header">I. <hi rendition="#i">mittelniederdeut&#x017F;che vocale.</hi></fw><lb/>
Roth. 1<hi rendition="#sup">a</hi> 47<hi rendition="#sup">a</hi> 3<hi rendition="#sup">a</hi> mag es der freiere reim &#x017F;eyn, der hër-<lb/>
ren auch auf wâren (fragm. 6<hi rendition="#sup">b</hi> Roth. 48<hi rendition="#sup">b</hi>) und êwen<lb/>
(Roth. 45<hi rendition="#sup">a</hi>) bindet. In Veld. En. &#x017F;tehen hërre, hërren:<lb/>
êre, &#x017F;êre, êren, kêren beinahe auf allen blättern ge-<lb/>
reimt (1<hi rendition="#sup">c</hi> 2<hi rendition="#sup">c</hi> 5<hi rendition="#sup">a</hi> etc.); &#x017F;eltner bei Herb. (17<hi rendition="#sup">d</hi> hërre:wêre<lb/>
f. wære). &#x2014; 3) ê = <hi rendition="#i">ie</hi> &#x017F;cheint, wie im alt&#x017F;äch&#x017F;., zu<lb/>
&#x017F;chwanken, ich erinnere mich aus der En. nur des ein-<lb/>
zigen reimes prê&#x017F;ter : mê&#x017F;ter 68<hi rendition="#sup">d</hi>, der ein ê = ie mit<lb/>
einem ê = ei bände, da doch &#x017F;on&#x017F;t rêde (con&#x017F;uleret)<lb/>
mêde (donum) u. dgl. auf arbêde, wârhêde, berêde etc.<lb/>
nahe gelegen hätten (übrigens ein zeugniß für Veld.<lb/>
reimgenauheit; als lo&#x017F;e reime wären miede : arbêde un-<lb/>
tadelhaft); in der regel muß <hi rendition="#i">ie</hi> bei Veld. und Herb.<lb/>
fordauern und lied (carmen) &#x017F;chied (&#x017F;ejunxit) von lêd<lb/>
(odio&#x017F;us) ge&#x017F;ondert werden. Andere quellen haben da-<lb/>
gegen ê für ie, vgl. ge&#x017F;tênd: gedênd, lêve:dêve gan-<lb/>
dersh. 151<hi rendition="#sup">b</hi> 154<hi rendition="#sup">b</hi>, allêne:dêne, dênen:mênen Bruns<lb/>
115. 116. etc.</p><lb/>
            <p>(II) wie im mittelh. und nicht in ê übertretend, un-<lb/>
geachtet das kurze i oft zu ë wird, das mittelh. trîben,<lb/>
treip, triben, getriben lautet hier drîven, drêf, drëven,<lb/>
gedrëven. Eine annäherung zwi&#x017F;chen î und ê verräth<lb/>
doch der reim arbêd:tîd En. 23<hi rendition="#sup">b</hi>.</p><lb/>
            <p>(OO) wie das alt&#x017F;. ô dreifach, nämlich das hochd.<lb/>
ô, ou und uo er&#x017F;etzend, z. b. &#x017F;tôten (trudere) hôved<lb/>
(caput) môd (mens), daher die ins mittelh. unübertrag-<lb/>
baren reime &#x017F;cône (pulcher):kône (audax) En. 35<hi rendition="#sup">a</hi> hôrde<lb/>
(audiit):vôrde (duxit) Herb. 33<hi rendition="#sup">b</hi>; môde:hêmôde (patria)<lb/>
Herb. 46<hi rendition="#sup">d</hi> 101<hi rendition="#sup">a</hi>; hêmôden:behôden gand. 161<hi rendition="#sup">a</hi>; dô (tum)<lb/>
&#x017F;ô (ita):tô (ad) frô (mane) En. 24<hi rendition="#sup">c</hi> 73<hi rendition="#sup">c</hi> Herb. 5<hi rendition="#sup">c</hi> 31<hi rendition="#sup">b</hi> 36<hi rendition="#sup">b</hi><lb/>
46<hi rendition="#sup">c</hi> 80<hi rendition="#sup">d</hi> 115<hi rendition="#sup">b</hi>, wiewohl theils das mittelh. ähnliche reime<lb/>
von ô:uo kennt (&#x017F;. 346.). theils im mitteln. (wie im<lb/>
alt&#x017F;.) der laut uo neben ô (analog dem ie neben ê) vor-<lb/>
kommen könnte; wirklich reimen Veld. und Herb. das<lb/>
dritte ô kaum auf die beiden er&#x017F;ten. Beide aber zu-<lb/>
weilen ô auf kurzes o, namentlich vor <hi rendition="#i">rd</hi>, als hôrde<lb/>
(audivit):andworde (re&#x017F;pondit) En. 13<hi rendition="#sup">b</hi> 21<hi rendition="#sup">c</hi>:worde (verbo)<lb/>
En. 17<hi rendition="#sup">b</hi> 79<hi rendition="#sup">b</hi>; hôrden:borden (fimbriis) En. 13<hi rendition="#sup">c</hi> 14<hi rendition="#sup">b</hi>;<lb/>
gehôrd:vord Herb. 21<hi rendition="#sup">d</hi>; vôrden (ducebant): worden<lb/>
Herb. 32<hi rendition="#sup">d</hi>; gevôrd:dord (illuc) 18<hi rendition="#sup">a</hi>, wobei man eher<lb/>
kürzungen in horde, vorde, gehord (analogie des mit-<lb/>
telh. &#x017F;. 347.) als verlängerung in wôrde, bôrden (vgl.<lb/>
das niederländ.) anzunehmen hat. Das mittelh. urloup<lb/>
(venia) lautet orlof &#x017F;t. orlôf, da es auf hof (aula) reimt,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[460/0486] I. mittelniederdeutſche vocale. Roth. 1a 47a 3a mag es der freiere reim ſeyn, der hër- ren auch auf wâren (fragm. 6b Roth. 48b) und êwen (Roth. 45a) bindet. In Veld. En. ſtehen hërre, hërren: êre, ſêre, êren, kêren beinahe auf allen blättern ge- reimt (1c 2c 5a etc.); ſeltner bei Herb. (17d hërre:wêre f. wære). — 3) ê = ie ſcheint, wie im altſächſ., zu ſchwanken, ich erinnere mich aus der En. nur des ein- zigen reimes prêſter : mêſter 68d, der ein ê = ie mit einem ê = ei bände, da doch ſonſt rêde (conſuleret) mêde (donum) u. dgl. auf arbêde, wârhêde, berêde etc. nahe gelegen hätten (übrigens ein zeugniß für Veld. reimgenauheit; als loſe reime wären miede : arbêde un- tadelhaft); in der regel muß ie bei Veld. und Herb. fordauern und lied (carmen) ſchied (ſejunxit) von lêd (odioſus) geſondert werden. Andere quellen haben da- gegen ê für ie, vgl. geſtênd: gedênd, lêve:dêve gan- dersh. 151b 154b, allêne:dêne, dênen:mênen Bruns 115. 116. etc. (II) wie im mittelh. und nicht in ê übertretend, un- geachtet das kurze i oft zu ë wird, das mittelh. trîben, treip, triben, getriben lautet hier drîven, drêf, drëven, gedrëven. Eine annäherung zwiſchen î und ê verräth doch der reim arbêd:tîd En. 23b. (OO) wie das altſ. ô dreifach, nämlich das hochd. ô, ou und uo erſetzend, z. b. ſtôten (trudere) hôved (caput) môd (mens), daher die ins mittelh. unübertrag- baren reime ſcône (pulcher):kône (audax) En. 35a hôrde (audiit):vôrde (duxit) Herb. 33b; môde:hêmôde (patria) Herb. 46d 101a; hêmôden:behôden gand. 161a; dô (tum) ſô (ita):tô (ad) frô (mane) En. 24c 73c Herb. 5c 31b 36b 46c 80d 115b, wiewohl theils das mittelh. ähnliche reime von ô:uo kennt (ſ. 346.). theils im mitteln. (wie im altſ.) der laut uo neben ô (analog dem ie neben ê) vor- kommen könnte; wirklich reimen Veld. und Herb. das dritte ô kaum auf die beiden erſten. Beide aber zu- weilen ô auf kurzes o, namentlich vor rd, als hôrde (audivit):andworde (reſpondit) En. 13b 21c:worde (verbo) En. 17b 79b; hôrden:borden (fimbriis) En. 13c 14b; gehôrd:vord Herb. 21d; vôrden (ducebant): worden Herb. 32d; gevôrd:dord (illuc) 18a, wobei man eher kürzungen in horde, vorde, gehord (analogie des mit- telh. ſ. 347.) als verlängerung in wôrde, bôrden (vgl. das niederländ.) anzunehmen hat. Das mittelh. urloup (venia) lautet orlof ſt. orlôf, da es auf hof (aula) reimt,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/486
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 460. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/486>, abgerufen am 22.11.2024.