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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. mittelniederdeutsche buchstaben.
e:twe, vielleicht aber ei:twei zuläßig wäre (s. unten
beim ei) endlich 73b turnaum:tuon, wo don unpassender
scheint, weil turnaus sonst auf haus reimt. Man müste
wegen der fremden eigennamen Veldecks quelle vor sich
haben, die schon den Virgil entstellte. Zu larina, tar-
peia schickt sich sonst beßer larene:ene 67b tarpeide:streide,
teide 68b 69a, als eine:laureine, tarpeite:streite, zeite. und
tarcaun:tuon 68a beßer zu Virg. tarchon, wenn man tar-
con:don setzt, wie 68b tarcone:scone. -- Andrerseits
streitet für eine hochd. grundlage mit eingestreuten saxo-
nismen 1) wenn möglicherweise schon jene vorgängigen
gedichte (rother, karl, kaiserchr.) der absicht ihrer ver-
faßer gemäß hochdeutsch sprechen sollten, so kann man
späterhin die ausbreitung des hochd. als hofsprache im-
mer sicherer annehmen. Einzelnes, was in baiern,
schwaben unverständlich geworden wäre, gab an thü-
ringischen, sächsischen höfen keinen anstoß. 2) keine
reinniederd. hs. der En. ist vorhanden; wäre sie einmahl
da gewesen, so hätten sie wohl einzelne reiche nieder-
dentsche abschreiben laßen und vervielfältigt. Eine cas-
seler hs. (die älteste aller mir bekannten und wohl noch
ans dem 12ten jahrh.) ist im grundton entschieden hoch-
deutsch. Aber den grundton eingeräumt, woher rühren
einzelne spuren des niederd. die der reim nicht ein-
mahl forderte, anders als aus einem älteren niederd. ur-
text? Warum schreiben die copisten irleden:vermiden
(58b 60b) da sie reinhochd. schreiben konnten erliten:
vermiten? 3) die zurückfübrung aufs niederd. scheint
Veld. reime zu genau und regelmäßiger zu machen, als
sie nach dem fortgang der kunst damahls schon seyn
konnten; ende:winde, risen:genesen gereimt ent-
spricht dem 12. jahrh. mehr als ein vermuthetes niederd.
ende:wende, resen:genesen. Diesen einwurf mag man
halb zugeben, nicht ganz. Sichtlich reimt Veld. ge-
nauer, als jene älteren dichter, gestattet sich nie gleich
ihnen e auf o, a auf o und noch weniger willkürlich
sind ihm consonanten. Sein e, i auf e scheint also wirk-
lich etwas von der aussprache zu verrathen. 4) einige
spätere, ebenfalls aus niederdeutschland gebürtige dich-
ter behalten wohl einzelne saxonismen bei, reimen aber
im ganzen genauer, d. h. vermeiden reime wie enden:
winden, da doch, wäre enden, wenden wirklich nie-
derd. die reimgenauigkeit damit bestanden haben würde,
folglich dergleichen reime häufiger seyn müsten. -- Über
Veld. wage ich noch nicht zu entscheiden, glaube aber,

I. mittelniederdeutſche buchſtaben.
ê:twê, vielleicht aber ei:twei zuläßig wäre (ſ. unten
beim ei) endlich 73b turnûm:tuon, wo dôn unpaſſender
ſcheint, weil turnûs ſonſt auf hûs reimt. Man müſte
wegen der fremden eigennamen Veldecks quelle vor ſich
haben, die ſchon den Virgil entſtellte. Zu larina, tar-
peia ſchickt ſich ſonſt beßer lârêne:êne 67b tarpîde:ſtrîde,
tîde 68b 69a, als eine:laureine, tarpîte:ſtrîte, zîte. und
tarcûn:tuon 68a beßer zu Virg. tarchon, wenn man tar-
côn:dôn ſetzt, wie 68b tarcône:ſcône. — Andrerſeits
ſtreitet für eine hochd. grundlage mit eingeſtreuten ſaxo-
niſmen 1) wenn möglicherweiſe ſchon jene vorgängigen
gedichte (rother, karl, kaiſerchr.) der abſicht ihrer ver-
faßer gemäß hochdeutſch ſprechen ſollten, ſo kann man
ſpäterhin die ausbreitung des hochd. als hofſprache im-
mer ſicherer annehmen. Einzelnes, was in baiern,
ſchwaben unverſtändlich geworden wäre, gab an thü-
ringiſchen, ſächſiſchen höfen keinen anſtoß. 2) keine
reinniederd. hſ. der En. iſt vorhanden; wäre ſie einmahl
da geweſen, ſo hätten ſie wohl einzelne reiche nieder-
dentſche abſchreiben laßen und vervielfältigt. Eine caſ-
ſeler hſ. (die älteſte aller mir bekannten und wohl noch
ans dem 12ten jahrh.) iſt im grundton entſchieden hoch-
deutſch. Aber den grundton eingeräumt, woher rühren
einzelne ſpuren des niederd. die der reim nicht ein-
mahl forderte, anders als aus einem älteren niederd. ur-
text? Warum ſchreiben die copiſten irlëden:vermiden
(58b 60b) da ſie reinhochd. ſchreiben konnten erliten:
vermiten? 3) die zurückfübrung aufs niederd. ſcheint
Veld. reime zu genau und regelmäßiger zu machen, als
ſie nach dem fortgang der kunſt damahls ſchon ſeyn
konnten; ende:winde, riſen:genëſen gereimt ent-
ſpricht dem 12. jahrh. mehr als ein vermuthetes niederd.
ënde:wënde, rëſen:genëſen. Dieſen einwurf mag man
halb zugeben, nicht ganz. Sichtlich reimt Veld. ge-
nauer, als jene älteren dichter, geſtattet ſich nie gleich
ihnen e auf o, a auf o und noch weniger willkürlich
ſind ihm conſonanten. Sein ë, i auf e ſcheint alſo wirk-
lich etwas von der ausſprache zu verrathen. 4) einige
ſpätere, ebenfalls aus niederdeutſchland gebürtige dich-
ter behalten wohl einzelne ſaxoniſmen bei, reimen aber
im ganzen genauer, d. h. vermeiden reime wie enden:
winden, da doch, wäre ënden, wënden wirklich nie-
derd. die reimgenauigkeit damit beſtanden haben würde,
folglich dergleichen reime häufiger ſeyn müſten. — Über
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[454/0480] I. mittelniederdeutſche buchſtaben. ê:twê, vielleicht aber ei:twei zuläßig wäre (ſ. unten beim ei) endlich 73b turnûm:tuon, wo dôn unpaſſender ſcheint, weil turnûs ſonſt auf hûs reimt. Man müſte wegen der fremden eigennamen Veldecks quelle vor ſich haben, die ſchon den Virgil entſtellte. Zu larina, tar- peia ſchickt ſich ſonſt beßer lârêne:êne 67b tarpîde:ſtrîde, tîde 68b 69a, als eine:laureine, tarpîte:ſtrîte, zîte. und tarcûn:tuon 68a beßer zu Virg. tarchon, wenn man tar- côn:dôn ſetzt, wie 68b tarcône:ſcône. — Andrerſeits ſtreitet für eine hochd. grundlage mit eingeſtreuten ſaxo- niſmen 1) wenn möglicherweiſe ſchon jene vorgängigen gedichte (rother, karl, kaiſerchr.) der abſicht ihrer ver- faßer gemäß hochdeutſch ſprechen ſollten, ſo kann man ſpäterhin die ausbreitung des hochd. als hofſprache im- mer ſicherer annehmen. Einzelnes, was in baiern, ſchwaben unverſtändlich geworden wäre, gab an thü- ringiſchen, ſächſiſchen höfen keinen anſtoß. 2) keine reinniederd. hſ. der En. iſt vorhanden; wäre ſie einmahl da geweſen, ſo hätten ſie wohl einzelne reiche nieder- dentſche abſchreiben laßen und vervielfältigt. Eine caſ- ſeler hſ. (die älteſte aller mir bekannten und wohl noch ans dem 12ten jahrh.) iſt im grundton entſchieden hoch- deutſch. Aber den grundton eingeräumt, woher rühren einzelne ſpuren des niederd. die der reim nicht ein- mahl forderte, anders als aus einem älteren niederd. ur- text? Warum ſchreiben die copiſten irlëden:vermiden (58b 60b) da ſie reinhochd. ſchreiben konnten erliten: vermiten? 3) die zurückfübrung aufs niederd. ſcheint Veld. reime zu genau und regelmäßiger zu machen, als ſie nach dem fortgang der kunſt damahls ſchon ſeyn konnten; ende:winde, riſen:genëſen gereimt ent- ſpricht dem 12. jahrh. mehr als ein vermuthetes niederd. ënde:wënde, rëſen:genëſen. Dieſen einwurf mag man halb zugeben, nicht ganz. Sichtlich reimt Veld. ge- nauer, als jene älteren dichter, geſtattet ſich nie gleich ihnen e auf o, a auf o und noch weniger willkürlich ſind ihm conſonanten. Sein ë, i auf e ſcheint alſo wirk- lich etwas von der ausſprache zu verrathen. 4) einige ſpätere, ebenfalls aus niederdeutſchland gebürtige dich- ter behalten wohl einzelne ſaxoniſmen bei, reimen aber im ganzen genauer, d. h. vermeiden reime wie enden: winden, da doch, wäre ënden, wënden wirklich nie- derd. die reimgenauigkeit damit beſtanden haben würde, folglich dergleichen reime häufiger ſeyn müſten. — Über Veld. wage ich noch nicht zu entſcheiden, glaube aber,

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 454. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/480>, abgerufen am 25.11.2024.