Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

Bild:
<< vorherige Seite

I. mittelhochdeutsche consonanten liquidae.
der auslaut n aber als bloß ausnahmsweiser versuch dasteht,
der, so begründet er gewesen ist, in der sprache nicht
durchdrang. Im neuh. hat sich der org. auslaut aller
dreier fälle wiederhergestellt, es heißt aus gleichem
grunde gab, schwamm, heim, nimmer gap, schwam,
hein. Diese gleichheit und ungleichheit der drei fälle
beweist mir ihre unorganische natur. Anßerdem fol-
gere ich: m ist ein lebendigerer, f inerer laut, als n,
wie die med. feiner sind als die tenues; die verwand-
lung des m in n kann man zwar schwächung zugleich
auch vergröberung nennen. -- Inlautend fällt n selten,
doch zuweilen fort, namentlich wird aus sint (postea)
und permint mit verlängertem i seit, permeit; einige
brauchen sint und seit, andere nur eins von beiden, hänfig
ist sint Nib. klage, Bit. Gndr. etc. Allgemein gelten
honec und künic, künigein, küniginne st. der alth. chu-
ning, chuninginna; dagegen pfenninc (nicht pfennic).
Die merkwürdige apocope des n vom inf. ist thüringisch
(s. das mittelniederd.) nicht rein mittelh., wohl aber die
unterdrückung des n bei inclin. wir. Davon, so wie
von einschaltung des n in die II. pl. (nement f. nemet)
bei der conjug. -- Vom schwankenden verhältniß
zwischen s und r in der stark. conj. vgl. oben 343
und unten beim s. Einige partikeln apocopieren r; all-
gemein da (ibi) wa (ubi) hie (heic) sa (illico) alth. dar, huar,
hiar, sar [man unterscheide dar, illuc, war, quorsum, her,
huc; alth. dara, huara, hera]; me (magis) nur gewöhnlich,
Wolfr. und andere ältere gebrauchen noch mer. In der
zus. setzung ist das r oft erhalten, vgl. dar-umbe, dar-
inne, hier-inne etc. bei dar- sind noch untersuchungen
nöthig, ob es in einzelnen fällen da oder dar bedeutet,
z. b. dar-zuo ist offenbar das alth. thara-zua, dar-an
(ibidem) das alth. thar-ana *). -- Die silbe er wird (im
s. galler Parc., seltner in andern hss.) bisweilen zu re
verkehrt, wenn im anrührenden unbetonten auslaut vo-
cal oder n und r vorherstehen, an welche sich die fol-
gende partikel anlehnt. vgl. dorebeißte (125c 131b) al-
hirechorn (139a) sirechanten (187a) direbeißten (188c)
unrechant (149a) wirreslagen (139a) errehorte (145a) der-
rehorte (46c) erresach (39a) errechant (126a) errebeißte
(52b) etc. st. do erbeißte, si erchanden, alhie erchorn,

*) Füglistallers ausg. wird auch die unsicherheit über N. dara
und dar heben, vgl. dial. p.28. dara fure und dar-ana
(oben s. 87.)
B b 2

I. mittelhochdeutſche conſonanten liquidae.
der auslaut n aber als bloß ausnahmsweiſer verſuch daſteht,
der, ſo begründet er geweſen iſt, in der ſprache nicht
durchdrang. Im neuh. hat ſich der org. auslaut aller
dreier fälle wiederhergeſtellt, es heißt aus gleichem
grunde gab, ſchwamm, heim, nimmer gap, ſchwam,
hein. Dieſe gleichheit und ungleichheit der drei fälle
beweiſt mir ihre unorganiſche natur. Anßerdem fol-
gere ich: m iſt ein lebendigerer, f inerer laut, als n,
wie die med. feiner ſind als die tenues; die verwand-
lung des m in n kann man zwar ſchwächung zugleich
auch vergröberung nennen. — Inlautend fällt n ſelten,
doch zuweilen fort, namentlich wird aus ſint (poſtea)
und përmint mit verlängertem i ſît, përmît; einige
brauchen ſint und ſît, andere nur eins von beiden, hänfig
iſt ſint Nib. klage, Bit. Gndr. etc. Allgemein gelten
honec und künic, künigîn, küniginne ſt. der alth. chu-
ning, chuninginna; dagegen pfenninc (nicht pfennic).
Die merkwürdige apocope des n vom inf. iſt thüringiſch
(ſ. das mittelniederd.) nicht rein mittelh., wohl aber die
unterdrückung des n bei inclin. wir. Davon, ſo wie
von einſchaltung des n in die II. pl. (nëment f. nëmet)
bei der conjug. — Vom ſchwankenden verhältniß
zwiſchen ſ und r in der ſtark. conj. vgl. oben 343
und unten beim ſ. Einige partikeln apocopieren r; all-
gemein dâ (ibi) wâ (ubi) hie (hîc) ſâ (illico) alth. dar, huar,
hiar, ſâr [man unterſcheide dar, illuc, war, quorſum, hër,
huc; alth. dara, huara, hëra]; mê (magis) nur gewöhnlich,
Wolfr. und andere ältere gebrauchen noch mêr. In der
zuſ. ſetzung iſt das r oft erhalten, vgl. dar-umbe, dar-
inne, hier-inne etc. bei dar- ſind noch unterſuchungen
nöthig, ob es in einzelnen fällen dâ oder dar bedeutet,
z. b. dar-zuo iſt offenbar das alth. thara-zua, dar-an
(ibidem) das alth. thar-ana *). — Die ſilbe er wird (im
ſ. galler Parc., ſeltner in andern hſſ.) bisweilen zu re
verkehrt, wenn im anrührenden unbetonten auslaut vo-
cal oder n und r vorherſtehen, an welche ſich die fol-
gende partikel anlehnt. vgl. dorebeiƷte (125c 131b) al-
hirechorn (139a) ſirechanten (187a) direbeiƷten (188c)
unrechant (149a) wirreſlagen (139a) errehôrte (145a) der-
rehôrte (46c) ërreſach (39a) errechant (126a) errebeiƷte
(52b) etc. ſt. dô erbeiƷte, ſì erchanden, alhie erchorn,

*) Fügliſtallers ausg. wird auch die unſicherheit über N. dara
und dâr heben, vgl. dial. p.28. dara fure und dâr-ana
(oben ſ. 87.)
B b 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0413" n="387"/><fw place="top" type="header">I. <hi rendition="#i">mittelhochdeut&#x017F;che con&#x017F;onanten liquidae.</hi></fw><lb/>
der auslaut n aber als bloß ausnahmswei&#x017F;er ver&#x017F;uch da&#x017F;teht,<lb/>
der, &#x017F;o begründet er gewe&#x017F;en i&#x017F;t, in der &#x017F;prache nicht<lb/>
durchdrang. Im neuh. hat &#x017F;ich der org. auslaut aller<lb/>
dreier fälle wiederherge&#x017F;tellt, es heißt aus gleichem<lb/>
grunde gab, &#x017F;chwamm, heim, nimmer gap, &#x017F;chwam,<lb/>
hein. Die&#x017F;e gleichheit und ungleichheit der drei fälle<lb/>
bewei&#x017F;t mir ihre unorgani&#x017F;che natur. Anßerdem fol-<lb/>
gere ich: m i&#x017F;t ein lebendigerer, f inerer laut, als n,<lb/>
wie die med. feiner &#x017F;ind als die tenues; die verwand-<lb/>
lung des m in n kann man zwar &#x017F;chwächung zugleich<lb/>
auch vergröberung nennen. &#x2014; Inlautend fällt n &#x017F;elten,<lb/>
doch zuweilen fort, namentlich wird aus &#x017F;int (po&#x017F;tea)<lb/>
und përmint mit verlängertem i &#x017F;ît, përmît; einige<lb/>
brauchen &#x017F;int und &#x017F;ît, andere nur eins von beiden, hänfig<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;int Nib. klage, Bit. Gndr. etc. Allgemein gelten<lb/>
honec und künic, künigîn, küniginne &#x017F;t. der alth. chu-<lb/>
ning, chuninginna; dagegen pfenninc (nicht pfennic).<lb/>
Die merkwürdige apocope des n vom inf. i&#x017F;t thüringi&#x017F;ch<lb/>
(&#x017F;. das mittelniederd.) nicht rein mittelh., wohl aber die<lb/>
unterdrückung des n bei inclin. wir. Davon, &#x017F;o wie<lb/>
von ein&#x017F;chaltung des n in die II. pl. (nëment f. nëmet)<lb/>
bei der conjug. &#x2014; Vom &#x017F;chwankenden verhältniß<lb/>
zwi&#x017F;chen &#x017F; und r in der &#x017F;tark. conj. vgl. oben 343<lb/>
und unten beim &#x017F;. Einige partikeln apocopieren r; all-<lb/>
gemein dâ (ibi) wâ (ubi) hie (hîc) &#x017F;â (illico) alth. dar, huar,<lb/>
hiar, &#x017F;âr [man unter&#x017F;cheide dar, illuc, war, quor&#x017F;um, hër,<lb/>
huc; alth. dara, huara, hëra]; mê (magis) nur gewöhnlich,<lb/>
Wolfr. und andere ältere gebrauchen noch mêr. In der<lb/>
zu&#x017F;. &#x017F;etzung i&#x017F;t das r oft erhalten, vgl. dar-umbe, dar-<lb/>
inne, hier-inne etc. bei dar- &#x017F;ind noch unter&#x017F;uchungen<lb/>
nöthig, ob es in einzelnen fällen dâ oder dar bedeutet,<lb/>
z. b. dar-zuo i&#x017F;t offenbar das alth. thara-zua, dar-an<lb/>
(ibidem) das alth. thar-ana <note place="foot" n="*)">Fügli&#x017F;tallers ausg. wird auch die un&#x017F;icherheit über N. dara<lb/>
und dâr heben, vgl. dial. p.28. dara fure und dâr-ana<lb/>
(oben &#x017F;. 87.)</note>. &#x2014; Die &#x017F;ilbe <hi rendition="#i">er</hi> wird (im<lb/>
&#x017F;. galler Parc., &#x017F;eltner in andern h&#x017F;&#x017F;.) bisweilen zu <hi rendition="#i">re</hi><lb/>
verkehrt, wenn im anrührenden unbetonten auslaut vo-<lb/>
cal oder n und r vorher&#x017F;tehen, an welche &#x017F;ich die fol-<lb/>
gende partikel anlehnt. vgl. dorebei&#x01B7;te (125<hi rendition="#sup">c</hi> 131<hi rendition="#sup">b</hi>) al-<lb/>
hirechorn (139<hi rendition="#sup">a</hi>) &#x017F;irechanten (187<hi rendition="#sup">a</hi>) direbei&#x01B7;ten (188<hi rendition="#sup">c</hi>)<lb/>
unrechant (149<hi rendition="#sup">a</hi>) wirre&#x017F;lagen (139<hi rendition="#sup">a</hi>) errehôrte (145<hi rendition="#sup">a</hi>) der-<lb/>
rehôrte (46<hi rendition="#sup">c</hi>) ërre&#x017F;ach (39<hi rendition="#sup">a</hi>) errechant (126<hi rendition="#sup">a</hi>) errebei&#x01B7;te<lb/>
(52<hi rendition="#sup">b</hi>) etc. &#x017F;t. dô erbei&#x01B7;te, &#x017F;ì erchanden, alhie erchorn,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B b 2</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[387/0413] I. mittelhochdeutſche conſonanten liquidae. der auslaut n aber als bloß ausnahmsweiſer verſuch daſteht, der, ſo begründet er geweſen iſt, in der ſprache nicht durchdrang. Im neuh. hat ſich der org. auslaut aller dreier fälle wiederhergeſtellt, es heißt aus gleichem grunde gab, ſchwamm, heim, nimmer gap, ſchwam, hein. Dieſe gleichheit und ungleichheit der drei fälle beweiſt mir ihre unorganiſche natur. Anßerdem fol- gere ich: m iſt ein lebendigerer, f inerer laut, als n, wie die med. feiner ſind als die tenues; die verwand- lung des m in n kann man zwar ſchwächung zugleich auch vergröberung nennen. — Inlautend fällt n ſelten, doch zuweilen fort, namentlich wird aus ſint (poſtea) und përmint mit verlängertem i ſît, përmît; einige brauchen ſint und ſît, andere nur eins von beiden, hänfig iſt ſint Nib. klage, Bit. Gndr. etc. Allgemein gelten honec und künic, künigîn, küniginne ſt. der alth. chu- ning, chuninginna; dagegen pfenninc (nicht pfennic). Die merkwürdige apocope des n vom inf. iſt thüringiſch (ſ. das mittelniederd.) nicht rein mittelh., wohl aber die unterdrückung des n bei inclin. wir. Davon, ſo wie von einſchaltung des n in die II. pl. (nëment f. nëmet) bei der conjug. — Vom ſchwankenden verhältniß zwiſchen ſ und r in der ſtark. conj. vgl. oben 343 und unten beim ſ. Einige partikeln apocopieren r; all- gemein dâ (ibi) wâ (ubi) hie (hîc) ſâ (illico) alth. dar, huar, hiar, ſâr [man unterſcheide dar, illuc, war, quorſum, hër, huc; alth. dara, huara, hëra]; mê (magis) nur gewöhnlich, Wolfr. und andere ältere gebrauchen noch mêr. In der zuſ. ſetzung iſt das r oft erhalten, vgl. dar-umbe, dar- inne, hier-inne etc. bei dar- ſind noch unterſuchungen nöthig, ob es in einzelnen fällen dâ oder dar bedeutet, z. b. dar-zuo iſt offenbar das alth. thara-zua, dar-an (ibidem) das alth. thar-ana *). — Die ſilbe er wird (im ſ. galler Parc., ſeltner in andern hſſ.) bisweilen zu re verkehrt, wenn im anrührenden unbetonten auslaut vo- cal oder n und r vorherſtehen, an welche ſich die fol- gende partikel anlehnt. vgl. dorebeiƷte (125c 131b) al- hirechorn (139a) ſirechanten (187a) direbeiƷten (188c) unrechant (149a) wirreſlagen (139a) errehôrte (145a) der- rehôrte (46c) ërreſach (39a) errechant (126a) errebeiƷte (52b) etc. ſt. dô erbeiƷte, ſì erchanden, alhie erchorn, *) Fügliſtallers ausg. wird auch die unſicherheit über N. dara und dâr heben, vgl. dial. p.28. dara fure und dâr-ana (oben ſ. 87.) B b 2

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/413
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/413>, abgerufen am 22.11.2024.