Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

Bild:
<< vorherige Seite
I. mittelhochdeutsche vocale.
In betracht des l. r. leidet das auch keine einschrän-
kung, reime wie garn, dorn, korn, wirt (hospes)
schilt, alt, wert (insula) zil, er: varn, geborn, erkorn,
birt, hilt, gezalt, nert quil, ber und viele ähnliche
thun dar, daß diese formen jetzo sprachgemäß seyen
und nicht mehr geboren, biret, hilet, neret, quile,
bere geschrieben werden dürfe, der eigenname Wirnt
(alth. Wirant) reimt auf zwirnt, nicht Wirent: zwi-
rent. Ebenso fällt in gezimber (tabulatum) morgens,
morgen, spiegels, spiegel, wandelt etc. das stumme e
der volleren form gezimbere, morgenes, morgene,
spiegeles, spiegele, wandelet, nothwendig aus; ohne
sein ausfallen würden kraft obiger regel die tonlosen
e nach der wurzelsilbe wieder tieftonig werden (ge-
zimbere, ziegele) *). Vor gutt. scheint es einigemahl
zu haften, giric:wiric (schmiede 645, kolocz. 595. aber
girc:wirc, vgl. kurc bei der verbind. rc) milich neben
milch etc. Beim m und n gibt es der ausnahmen mehr;
zwar apocope gilt gewöhnlich auch, vgl. nam (nomen)
han (gallus): kam (veni) man, zan reimend, daneben
aber findet sich das stumme e, name, hane und eben-
so nime (sumo) ime (ei) theils bei ältern dichtern,
theils gern (nicht nothwendig) in gewissen flexionen,
namentlich im conjunctiv, dat. sg. nom. pl. (vgl.
schine:wine, jene:sene Parc. 54c 140b. c neme:zeme
a. Heinr. 208c). Nach einer tonlosen zweiten silbe
wird immer apocopiert, als atem, zeichen (f. ateme,
zeichene). Syncope leidet das stumme e nach m und
n lediglich vor lingualen, als dent (:went, vultis)
suns (:uns) nimß, nimt, wapent (f. wapenet) zei-
chens etc. nicht vor liq. und gutt. welches hart seyn
würde, es heißt himel, hamer, tener (vola manus) na-
men, manic, manigen (nicht himl, hamr, tenr, namn,
manc, mangen) doch pflegt nach tonloser zweiter die
ganze silbe en wegzufallen, wapen, wolken, lougen f.
wapenen, wolkenen, lougenen (nicht nach stummer
zweiter, also degenen etc.). Noch mehr schwankt
zwischen stummheit und verschwinden der laut vor
den übrigen cons.; insgemein wird hier apocope un-
statthaft; einige werfen nach t das e weg, z. b. got:
tot (f. gote, tote) sit:mit (f. site, mite). Syncopiert
*) Hiernach ist im alth. ziagila, gezimpari auf vorletzter
tiefbetont, nicht aber gesidili etc. aus demselben grunde
atume, zeihane etc. nicht aber kadame.
I. mittelhochdeutſche vocale.
In betracht des l. r. leidet das auch keine einſchrän-
kung, reime wie garn, dorn, korn, wirt (hoſpes)
ſchilt, alt, wert (inſula) zil, ër: varn, geborn, erkorn,
birt, hilt, gezalt, nert quil, bër und viele ähnliche
thun dar, daß dieſe formen jetzo ſprachgemäß ſeyen
und nicht mehr geboren, biret, hilet, neret, quile,
bëre geſchrieben werden dürfe, der eigenname Wirnt
(alth. Wirant) reimt auf zwirnt, nicht Wirent: zwi-
rent. Ebenſo fällt in gezimber (tabulatum) morgens,
morgen, ſpiegels, ſpiegel, wandelt etc. das ſtumme e
der volleren form gezimbere, morgenes, morgene,
ſpiegeles, ſpiegele, wandelet, nothwendig aus; ohne
ſein ausfallen würden kraft obiger regel die tonloſen
e nach der wurzelſilbe wieder tieftonig werden (ge-
zimbère, ziegèle) *). Vor gutt. ſcheint es einigemahl
zu haften, giric:wiric (ſchmiede 645, kolocz. 595. aber
girc:wirc, vgl. kurc bei der verbind. rc) milich neben
milch etc. Beim m und n gibt es der ausnahmen mehr;
zwar apocope gilt gewöhnlich auch, vgl. nam (nomen)
han (gallus): kam (veni) man, zan reimend, daneben
aber findet ſich das ſtumme e, name, hane und eben-
ſo nime (ſumo) ime (ei) theils bei ältern dichtern,
theils gern (nicht nothwendig) in gewiſſen flexionen,
namentlich im conjunctiv, dat. ſg. nom. pl. (vgl.
ſchine:wine, jene:ſene Parc. 54c 140b. c nëme:zëme
a. Heinr. 208c). Nach einer tonloſen zweiten ſilbe
wird immer apocopiert, als âtem, zeichen (f. âteme,
zeichene). Syncope leidet das ſtumme e nach m und
n lediglich vor lingualen, als dent (:went, vultis)
ſuns (:uns) nimƷ, nimt, wâpent (f. wâpenet) zei-
chens etc. nicht vor liq. und gutt. welches hart ſeyn
würde, es heißt himel, hamer, tener (vola manus) na-
men, manic, manigen (nicht himl, hamr, tenr, namn,
manc, mangen) doch pflegt nach tonloſer zweiter die
ganze ſilbe en wegzufallen, wâpen, wolken, lougen f.
wâpenen, wolkenen, lougenen (nicht nach ſtummer
zweiter, alſo dëgenen etc.). Noch mehr ſchwankt
zwiſchen ſtummheit und verſchwinden der laut vor
den übrigen conſ.; insgemein wird hier apocope un-
ſtatthaft; einige werfen nach t das e weg, z. b. got:
tot (f. gote, tote) ſit:mit (f. ſite, mite). Syncopiert
*) Hiernach iſt im alth. ziagìla, gezimpàri auf vorletzter
tiefbetont, nicht aber geſidili etc. aus demſelben grunde
âtùme, zeihàne etc. nicht aber kadame.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <list>
                <item><pb facs="#f0400" n="374"/><fw place="top" type="header">I. <hi rendition="#i">mittelhochdeut&#x017F;che vocale.</hi></fw><lb/>
In betracht des l. r. leidet das auch keine ein&#x017F;chrän-<lb/>
kung, reime wie garn, dorn, korn, wirt (ho&#x017F;pes)<lb/>
&#x017F;chilt, alt, wert (in&#x017F;ula) zil, ër: varn, geborn, erkorn,<lb/>
birt, hilt, gezalt, nert quil, bër und viele ähnliche<lb/>
thun dar, daß die&#x017F;e formen jetzo &#x017F;prachgemäß &#x017F;eyen<lb/>
und nicht mehr geboren, biret, hilet, neret, quile,<lb/>
bëre ge&#x017F;chrieben werden dürfe, der eigenname Wirnt<lb/>
(alth. Wirant) reimt auf zwirnt, nicht Wirent: zwi-<lb/>
rent. Eben&#x017F;o fällt in gezimber (tabulatum) morgens,<lb/>
morgen, &#x017F;piegels, &#x017F;piegel, wandelt etc. das &#x017F;tumme e<lb/>
der volleren form gezimbere, morgenes, morgene,<lb/>
&#x017F;piegeles, &#x017F;piegele, wandelet, <hi rendition="#i">nothwendig</hi> aus; ohne<lb/>
&#x017F;ein ausfallen würden kraft obiger regel die tonlo&#x017F;en<lb/>
e nach der wurzel&#x017F;ilbe wieder tieftonig werden (ge-<lb/>
zimbère, ziegèle) <note place="foot" n="*)">Hiernach i&#x017F;t im alth. ziagìla, gezimpàri auf vorletzter<lb/>
tiefbetont, nicht aber ge&#x017F;idili etc. aus dem&#x017F;elben grunde<lb/>
âtùme, zeihàne etc. nicht aber kadame.</note>. Vor gutt. &#x017F;cheint es einigemahl<lb/>
zu haften, giric:wiric (&#x017F;chmiede 645, kolocz. 595. aber<lb/>
girc:wirc, vgl. kurc bei der verbind. rc) milich neben<lb/>
milch etc. Beim m und n gibt es der ausnahmen mehr;<lb/>
zwar apocope gilt gewöhnlich auch, vgl. nam (nomen)<lb/>
han (gallus): kam (veni) man, zan reimend, daneben<lb/>
aber findet &#x017F;ich das &#x017F;tumme e, name, hane und eben-<lb/>
&#x017F;o nime (&#x017F;umo) ime (ei) theils bei ältern dichtern,<lb/>
theils gern (nicht nothwendig) in gewi&#x017F;&#x017F;en flexionen,<lb/>
namentlich im conjunctiv, dat. &#x017F;g. nom. pl. (vgl.<lb/>
&#x017F;chine:wine, jene:&#x017F;ene Parc. 54<hi rendition="#sup">c</hi> 140<hi rendition="#sup">b. c</hi> nëme:zëme<lb/>
a. Heinr. 208<hi rendition="#sup">c</hi>). Nach einer tonlo&#x017F;en zweiten &#x017F;ilbe<lb/>
wird immer apocopiert, als âtem, zeichen (f. âteme,<lb/>
zeichene). Syncope leidet das &#x017F;tumme e nach m und<lb/>
n lediglich vor lingualen, als dent (:went, vultis)<lb/>
&#x017F;uns (:uns) nim&#x01B7;, nimt, wâpent (f. wâpenet) zei-<lb/>
chens etc. nicht vor liq. und gutt. welches hart &#x017F;eyn<lb/>
würde, es heißt himel, hamer, tener (vola manus) na-<lb/>
men, manic, manigen (nicht himl, hamr, tenr, namn,<lb/>
manc, mangen) doch pflegt nach tonlo&#x017F;er zweiter die<lb/>
ganze &#x017F;ilbe <hi rendition="#i">en</hi> wegzufallen, wâpen, wolken, lougen f.<lb/>
wâpenen, wolkenen, lougenen (nicht nach &#x017F;tummer<lb/>
zweiter, al&#x017F;o dëgenen etc.). Noch mehr &#x017F;chwankt<lb/>
zwi&#x017F;chen &#x017F;tummheit und ver&#x017F;chwinden der laut vor<lb/>
den übrigen con&#x017F;.; insgemein wird hier apocope un-<lb/>
&#x017F;tatthaft; einige werfen nach t das e weg, z. b. got:<lb/>
tot (f. gote, tote) &#x017F;it:mit (f. &#x017F;ite, mite). Syncopiert<lb/></item>
              </list>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[374/0400] I. mittelhochdeutſche vocale. In betracht des l. r. leidet das auch keine einſchrän- kung, reime wie garn, dorn, korn, wirt (hoſpes) ſchilt, alt, wert (inſula) zil, ër: varn, geborn, erkorn, birt, hilt, gezalt, nert quil, bër und viele ähnliche thun dar, daß dieſe formen jetzo ſprachgemäß ſeyen und nicht mehr geboren, biret, hilet, neret, quile, bëre geſchrieben werden dürfe, der eigenname Wirnt (alth. Wirant) reimt auf zwirnt, nicht Wirent: zwi- rent. Ebenſo fällt in gezimber (tabulatum) morgens, morgen, ſpiegels, ſpiegel, wandelt etc. das ſtumme e der volleren form gezimbere, morgenes, morgene, ſpiegeles, ſpiegele, wandelet, nothwendig aus; ohne ſein ausfallen würden kraft obiger regel die tonloſen e nach der wurzelſilbe wieder tieftonig werden (ge- zimbère, ziegèle) *). Vor gutt. ſcheint es einigemahl zu haften, giric:wiric (ſchmiede 645, kolocz. 595. aber girc:wirc, vgl. kurc bei der verbind. rc) milich neben milch etc. Beim m und n gibt es der ausnahmen mehr; zwar apocope gilt gewöhnlich auch, vgl. nam (nomen) han (gallus): kam (veni) man, zan reimend, daneben aber findet ſich das ſtumme e, name, hane und eben- ſo nime (ſumo) ime (ei) theils bei ältern dichtern, theils gern (nicht nothwendig) in gewiſſen flexionen, namentlich im conjunctiv, dat. ſg. nom. pl. (vgl. ſchine:wine, jene:ſene Parc. 54c 140b. c nëme:zëme a. Heinr. 208c). Nach einer tonloſen zweiten ſilbe wird immer apocopiert, als âtem, zeichen (f. âteme, zeichene). Syncope leidet das ſtumme e nach m und n lediglich vor lingualen, als dent (:went, vultis) ſuns (:uns) nimƷ, nimt, wâpent (f. wâpenet) zei- chens etc. nicht vor liq. und gutt. welches hart ſeyn würde, es heißt himel, hamer, tener (vola manus) na- men, manic, manigen (nicht himl, hamr, tenr, namn, manc, mangen) doch pflegt nach tonloſer zweiter die ganze ſilbe en wegzufallen, wâpen, wolken, lougen f. wâpenen, wolkenen, lougenen (nicht nach ſtummer zweiter, alſo dëgenen etc.). Noch mehr ſchwankt zwiſchen ſtummheit und verſchwinden der laut vor den übrigen conſ.; insgemein wird hier apocope un- ſtatthaft; einige werfen nach t das e weg, z. b. got: tot (f. gote, tote) ſit:mit (f. ſite, mite). Syncopiert *) Hiernach iſt im alth. ziagìla, gezimpàri auf vorletzter tiefbetont, nicht aber geſidili etc. aus demſelben grunde âtùme, zeihàne etc. nicht aber kadame.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/400
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/400>, abgerufen am 25.11.2024.