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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. mittelhochdeutsche vocale.
nune *) statt da ne, ja ne, dei ne (die ne) sei ne (fie
ne) nie ne, wie ne, so ne, dau ne, dau ne, nau ne; incliniert
hingegen statt des ne die umdrehung en an das fol-
gende verbum, so verbleibt jenen wörtern die länge,
natürlich weil sie dann auslauten, z. b. ja ensol, so
enweiß, nie enkan. Aus dieser zuerst von Lachmann
entwickelten regel ergibt sich theils b stätigung des
oben s. 88. 97. vermutheten ursprünglichen ja, du,
nu etc. **), denn ein von natur langer (ich meine,
ein nicht als bloßer auslaut verlängerter) vocal muß
auch inlautend lang bleiben, z. b. tuoß (Trist. 11a M.
S. 1, 63b 100a 140b) geß f. tuo eß, ge eß. Theils
stimmt sie zu dem für die mittelh. cons. gültigen
grundsatz. daß eine unorganische wiederum nicht
eine organische) ten. des auslauts inlautend zur alten
med. zurückkehre, folglich auch, wenn sie durch in-
clination inlautend wird, z. b. gaber, meider, truogich
st. gap er, meit er, truoc ich. Besondere aufmerk-
samkeit verdient die verkürzung des ie in nine, dine,
sine; die auslaute nie, die, sie stehen freilich nicht für
ni, di, si, wie ja, dau für ja, du, aber unorganisch
waren sie entsprungen aus i-e (oben s. 104.) und dar-
um geht wohl bei der anlehnung das der frühern
flexion, nicht der wurzel angehörige e auf; das u in
diu hingegendarf auf diese weise nicht ausgestoßen und
dine nicht f. diu en gesetzt werden. -- Ob und wann
ähnliche kürzungen auch außer der eigentlichen an-
lehnung stattfinden, wenn im verse auf solche unur-
sprüngliche vocallängen ein zu elidierender vocal oder
ein cons. mit kurzem voc. folgt z. b. da'rbot, do ge-
lac. igenote f. da erbot, do gelac, ie genote)? gehört
in die mittelh. metrik ***).

*) Widerspricht nicht der s. 331. b. c. vorgetragnen regel,
weil das aulehnende n. zu der vorigen silbe tritt (jan-e,
dun-e, wie in den, duß), keine neue beginnt; darum
kann auch das zus. gesetzte (nicht angelehnte) nie-man,
ie-man keine kürzung in i men, ni-men erfahren.
**) Ob auch jazen (annuere) st. des s. 97. stehenden jazen,
ebenso duzen (tuissare) und nicht dauzen gesagt werden
müße? zweifle ich, weil ein i syncopiert scheint, vor
dem der lange voc. bestand und nach dessen ausstoß er sich
erhielt, früher also: jaizen, dau[i]zen (vgl. nord jata, thaua).
***) Lachmann (rec. d. Nib. col. 215.) nimmt selbst kürzung
des inlautenden (freilich unorganischen -ie in hier an, so-
bald en, inne folgt (hirinne, hir en hove); Kolocß. 65. 70.
I. mittelhochdeutſche vocale.
nune *) ſtatt dâ ne, jâ ne, dî ne (die ne) ſî ne (fie
ne) nie ne, wie ne, ſô ne, dû ne, dû ne, nû ne; incliniert
hingegen ſtatt des ne die umdrehung en an das fol-
gende verbum, ſo verbleibt jenen wörtern die länge,
natürlich weil ſie dann auslauten, z. b. jâ enſol, ſô
enweiƷ, nie enkan. Aus dieſer zuerſt von Lachmann
entwickelten regel ergibt ſich theils b ſtätigung des
oben ſ. 88. 97. vermutheten urſprünglichen ja, du,
nu etc. **), denn ein von natur langer (ich meine,
ein nicht als bloßer auslaut verlängerter) vocal muß
auch inlautend lang bleiben, z. b. tuoƷ (Triſt. 11a M.
S. 1, 63b 100a 140b) gêƷ f. tuo ëƷ, gè ëƷ. Theils
ſtimmt ſie zu dem für die mittelh. conſ. gültigen
grundſatz. daß eine unorganiſche wiederum nicht
eine organiſche) ten. des auslauts inlautend zur alten
med. zurückkehre, folglich auch, wenn ſie durch in-
clination inlautend wird, z. b. gaber, meider, truogich
ſt. gap ër, meit ër, truoc ich. Beſondere aufmerk-
ſamkeit verdient die verkürzung des ie in nine, dine,
ſine; die auslaute nie, die, ſie ſtehen freilich nicht für
ni, di, ſi, wie jâ, dû für ja, du, aber unorganiſch
waren ſie entſprungen aus i-e (oben ſ. 104.) und dar-
um geht wohl bei der anlehnung das der frühern
flexion, nicht der wurzel angehörige e auf; das u in
diu hingegendarf auf dieſe weiſe nicht ausgeſtoßen und
dine nicht f. diu en geſetzt werden. — Ob und wann
ähnliche kürzungen auch außer der eigentlichen an-
lehnung ſtattfinden, wenn im verſe auf ſolche unur-
ſprüngliche vocallängen ein zu elidierender vocal oder
ein conſ. mit kurzem voc. folgt z. b. da’rbôt, do ge-
lac. igenôte f. dâ erbôt, dô gelac, ie genôte)? gehört
in die mittelh. metrik ***).

*) Widerſpricht nicht der ſ. 331. b. c. vorgetragnen regel,
weil das aulehnende n. zu der vorigen ſilbe tritt (jan-e,
dun-e, wie in den, duƷ), keine neue beginnt; darum
kann auch das zuſ. geſetzte (nicht angelehnte) nie-man,
ie-man keine kürzung in i men, ni-men erfahren.
**) Ob auch jazen (annuere) ſt. des ſ. 97. ſtehenden jâzen,
ebenſo duzen (tuiſſare) und nicht dûzen geſagt werden
müße? zweifle ich, weil ein i ſyncopiert ſcheint, vor
dem der lange voc. beſtand und nach deſſen ausſtoß er ſich
erhielt, früher alſo: jâizen, dû[i]zen (vgl. nord jâta, þûa).
***) Lachmann (rec. d. Nib. col. 215.) nimmt ſelbſt kürzung
des inlautenden (freilich unorganiſchen -ie in hier an, ſo-
bald en, inne folgt (hirinne, hir en hove); KolocƷ. 65. 70.
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[372/0398] I. mittelhochdeutſche vocale. nune *) ſtatt dâ ne, jâ ne, dî ne (die ne) ſî ne (fie ne) nie ne, wie ne, ſô ne, dû ne, dû ne, nû ne; incliniert hingegen ſtatt des ne die umdrehung en an das fol- gende verbum, ſo verbleibt jenen wörtern die länge, natürlich weil ſie dann auslauten, z. b. jâ enſol, ſô enweiƷ, nie enkan. Aus dieſer zuerſt von Lachmann entwickelten regel ergibt ſich theils b ſtätigung des oben ſ. 88. 97. vermutheten urſprünglichen ja, du, nu etc. **), denn ein von natur langer (ich meine, ein nicht als bloßer auslaut verlängerter) vocal muß auch inlautend lang bleiben, z. b. tuoƷ (Triſt. 11a M. S. 1, 63b 100a 140b) gêƷ f. tuo ëƷ, gè ëƷ. Theils ſtimmt ſie zu dem für die mittelh. conſ. gültigen grundſatz. daß eine unorganiſche wiederum nicht eine organiſche) ten. des auslauts inlautend zur alten med. zurückkehre, folglich auch, wenn ſie durch in- clination inlautend wird, z. b. gaber, meider, truogich ſt. gap ër, meit ër, truoc ich. Beſondere aufmerk- ſamkeit verdient die verkürzung des ie in nine, dine, ſine; die auslaute nie, die, ſie ſtehen freilich nicht für ni, di, ſi, wie jâ, dû für ja, du, aber unorganiſch waren ſie entſprungen aus i-e (oben ſ. 104.) und dar- um geht wohl bei der anlehnung das der frühern flexion, nicht der wurzel angehörige e auf; das u in diu hingegendarf auf dieſe weiſe nicht ausgeſtoßen und dine nicht f. diu en geſetzt werden. — Ob und wann ähnliche kürzungen auch außer der eigentlichen an- lehnung ſtattfinden, wenn im verſe auf ſolche unur- ſprüngliche vocallängen ein zu elidierender vocal oder ein conſ. mit kurzem voc. folgt z. b. da’rbôt, do ge- lac. igenôte f. dâ erbôt, dô gelac, ie genôte)? gehört in die mittelh. metrik ***). *) Widerſpricht nicht der ſ. 331. b. c. vorgetragnen regel, weil das aulehnende n. zu der vorigen ſilbe tritt (jan-e, dun-e, wie in den, duƷ), keine neue beginnt; darum kann auch das zuſ. geſetzte (nicht angelehnte) nie-man, ie-man keine kürzung in i men, ni-men erfahren. **) Ob auch jazen (annuere) ſt. des ſ. 97. ſtehenden jâzen, ebenſo duzen (tuiſſare) und nicht dûzen geſagt werden müße? zweifle ich, weil ein i ſyncopiert ſcheint, vor dem der lange voc. beſtand und nach deſſen ausſtoß er ſich erhielt, früher alſo: jâizen, dûizen (vgl. nord jâta, þûa). ***) Lachmann (rec. d. Nib. col. 215.) nimmt ſelbſt kürzung des inlautenden (freilich unorganiſchen -ie in hier an, ſo- bald en, inne folgt (hirinne, hir en hove); KolocƷ. 65. 70.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/398>, abgerufen am 25.11.2024.