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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. mittelhochdeutsche vocale.
den stuont nur mit suont (Wilh. 1, 129a) oder tuont
(Nib. mehrmahls, Georg 14b Wigal. 17. 54.) jenes kunt,
funt hingegen richtig mit stunt (momentum) alth. stunta.
Gleichhäufig gebraucht Wolfr. den reim tuon: sun (Parc.
88c Wilh. 2, 11a etc.) der auch bei einigen andern vor-
kommt (M. S. 2, 129a Wigam. 4a Nib. 421. 1345. 3993
Ernst 8b Maria 33. 109. 110. 170. etc. [überall aber steht sun
in dieser reimverbindung nur im nom. oder acc. nirgends
im dat. sg.] Ferner fuoß:guß (Parc. 138b) gewuohs:fuhs
(Wilh. 2, 28a) wuoft:lust (Lohengr. 110.) sluogen:zugen
(Georg 13b) u. dgl. m. Was ist nun aus diesen beispielen
zu schließen? daß in der bestimmten mundart kunt, sunt,
wunt, funden, sun, fuhs etc. zu kuont, fuont, fuonden,
suon, fuohs etc. verlängert? oder umgekehrt stuont, stuon-
den, tuon, gewuohs zu stunt, stunden, tun, gewuhs
verkürzt worden sind? Für letzteres spricht, daß funt,
wunt, sun nicht auf tuont, suont (reconciliat) huon,
suon (reconciliatio) gereimt vorkommen, auch die ver-
wandtschaft von stunt (momentum) genuht (abundantia)
mit standan, genuoc auf solchem wege gerechtfertigt
würde. Indessen heißen diese schon im alth. (wo keine
ähnliche verkürzung bemerkt wird) durchgehends stunta,
ginuht. Überwiegende gründe streiten für die annahme
der verlängerung in uo, nämlich a) die analoge ver-
wandlung des i in ie. b) daß beständig tuont und nie
tunt gebraucht wird, c) daß das au der fremden wör-
ter baraun, lataun, kahaun gleichfalls auf sun sowohl als
tuon reimt (Parc. 133c Wilh. 2, 179a 192a 197b) und
wohl ein baruon etc. (bei den übergängen zwischen
au und uo) nicht aber ein barun gebilligt werden kann
(vgl. oben s. 348. die übergänge des au in uo). Übrigens
ist der einfluß der verbindungen ut. hs. ft auf die ver-
änderung des u nicht zu verkennen. 3) berührung zwi-
schen uo und ie zeigte schon das alth. (s. 103. note);
merkwürdig lautet das neuh. mieder im mittelh. muo-
der. -- 4) in fremden wörtern eigentlich kein uo; schein-
bare ausnahmen wie almuosen (:buosen Maria 39. troj. 165c)
cardemuome (cardamomum):bluome (troj. 70c) pfruonde
(: tuonde) deuten auf längst vor der mittelh. periode ein-
geführte wörter, deren fremdes o sich, sobald man es
für organisch zu halten anfieng, in uo verwandelte.
T. 33, 3. hat noch elimosina *) und ebenso hätte rosa,

*) Ulph. würde ailaiemsUsyna schreiben, hätte er nicht das
deutsche armaio (wofür alth. armea denkbar wäre).

I. mittelhochdeutſche vocale.
den ſtuont nur mit ſuont (Wilh. 1, 129a) oder tuont
(Nib. mehrmahls, Georg 14b Wigal. 17. 54.) jenes kunt,
funt hingegen richtig mit ſtunt (momentum) alth. ſtunta.
Gleichhäufig gebraucht Wolfr. den reim tuon: ſun (Parc.
88c Wilh. 2, 11a etc.) der auch bei einigen andern vor-
kommt (M. S. 2, 129a Wigam. 4a Nib. 421. 1345. 3993
Ernſt 8b Maria 33. 109. 110. 170. etc. [überall aber ſteht ſun
in dieſer reimverbindung nur im nom. oder acc. nirgends
im dat. ſg.] Ferner fuoƷ:guƷ (Parc. 138b) gewuohs:fuhs
(Wilh. 2, 28a) wuoft:luſt (Lohengr. 110.) ſluogen:zugen
(Georg 13b) u. dgl. m. Was iſt nun aus dieſen beiſpielen
zu ſchließen? daß in der beſtimmten mundart kunt, ſunt,
wunt, funden, ſun, fuhs etc. zu kuont, fuont, fuonden,
ſuon, fuohs etc. verlängert? oder umgekehrt ſtuont, ſtuon-
den, tuon, gewuohs zu ſtunt, ſtunden, tun, gewuhs
verkürzt worden ſind? Für letzteres ſpricht, daß funt,
wunt, ſun nicht auf tuont, ſuont (reconciliat) huon,
ſuon (reconciliatio) gereimt vorkommen, auch die ver-
wandtſchaft von ſtunt (momentum) genuht (abundantia)
mit ſtandan, genuoc auf ſolchem wege gerechtfertigt
würde. Indeſſen heißen dieſe ſchon im alth. (wo keine
ähnliche verkürzung bemerkt wird) durchgehends ſtunta,
ginuht. Überwiegende gründe ſtreiten für die annahme
der verlängerung in uo, nämlich a) die analoge ver-
wandlung des i in ie. b) daß beſtändig tuont und nie
tunt gebraucht wird, c) daß das û der fremden wör-
ter bârûn, lâtûn, kahûn gleichfalls auf ſun ſowohl als
tuon reimt (Parc. 133c Wilh. 2, 179a 192a 197b) und
wohl ein bâruon etc. (bei den übergängen zwiſchen
û und uo) nicht aber ein bârun gebilligt werden kann
(vgl. oben ſ. 348. die übergänge des û in uo). Übrigens
iſt der einfluß der verbindungen ut. hs. ft auf die ver-
änderung des u nicht zu verkennen. 3) berührung zwi-
ſchen uo und ie zeigte ſchon das alth. (ſ. 103. note);
merkwürdig lautet das neuh. mieder im mittelh. muo-
der. — 4) in fremden wörtern eigentlich kein uo; ſchein-
bare ausnahmen wie almuoſen (:buoſen Maria 39. troj. 165c)
cardemuome (cardamomum):bluome (troj. 70c) pfruonde
(: tuonde) deuten auf längſt vor der mittelh. periode ein-
geführte wörter, deren fremdes ô ſich, ſobald man es
für organiſch zu halten anfieng, in uo verwandelte.
T. 33, 3. hat noch êlimôſina *) und ebenſo hätte rôſa,

*) Ulph. würde aílaíêmsÚſyna ſchreiben, hätte er nicht das
deutſche armáiô (wofür alth. armêa denkbar wäre).
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[359/0385] I. mittelhochdeutſche vocale. den ſtuont nur mit ſuont (Wilh. 1, 129a) oder tuont (Nib. mehrmahls, Georg 14b Wigal. 17. 54.) jenes kunt, funt hingegen richtig mit ſtunt (momentum) alth. ſtunta. Gleichhäufig gebraucht Wolfr. den reim tuon: ſun (Parc. 88c Wilh. 2, 11a etc.) der auch bei einigen andern vor- kommt (M. S. 2, 129a Wigam. 4a Nib. 421. 1345. 3993 Ernſt 8b Maria 33. 109. 110. 170. etc. [überall aber ſteht ſun in dieſer reimverbindung nur im nom. oder acc. nirgends im dat. ſg.] Ferner fuoƷ:guƷ (Parc. 138b) gewuohs:fuhs (Wilh. 2, 28a) wuoft:luſt (Lohengr. 110.) ſluogen:zugen (Georg 13b) u. dgl. m. Was iſt nun aus dieſen beiſpielen zu ſchließen? daß in der beſtimmten mundart kunt, ſunt, wunt, funden, ſun, fuhs etc. zu kuont, fuont, fuonden, ſuon, fuohs etc. verlängert? oder umgekehrt ſtuont, ſtuon- den, tuon, gewuohs zu ſtunt, ſtunden, tun, gewuhs verkürzt worden ſind? Für letzteres ſpricht, daß funt, wunt, ſun nicht auf tuont, ſuont (reconciliat) huon, ſuon (reconciliatio) gereimt vorkommen, auch die ver- wandtſchaft von ſtunt (momentum) genuht (abundantia) mit ſtandan, genuoc auf ſolchem wege gerechtfertigt würde. Indeſſen heißen dieſe ſchon im alth. (wo keine ähnliche verkürzung bemerkt wird) durchgehends ſtunta, ginuht. Überwiegende gründe ſtreiten für die annahme der verlängerung in uo, nämlich a) die analoge ver- wandlung des i in ie. b) daß beſtändig tuont und nie tunt gebraucht wird, c) daß das û der fremden wör- ter bârûn, lâtûn, kahûn gleichfalls auf ſun ſowohl als tuon reimt (Parc. 133c Wilh. 2, 179a 192a 197b) und wohl ein bâruon etc. (bei den übergängen zwiſchen û und uo) nicht aber ein bârun gebilligt werden kann (vgl. oben ſ. 348. die übergänge des û in uo). Übrigens iſt der einfluß der verbindungen ut. hs. ft auf die ver- änderung des u nicht zu verkennen. 3) berührung zwi- ſchen uo und ie zeigte ſchon das alth. (ſ. 103. note); merkwürdig lautet das neuh. mieder im mittelh. muo- der. — 4) in fremden wörtern eigentlich kein uo; ſchein- bare ausnahmen wie almuoſen (:buoſen Maria 39. troj. 165c) cardemuome (cardamomum):bluome (troj. 70c) pfruonde (: tuonde) deuten auf längſt vor der mittelh. periode ein- geführte wörter, deren fremdes ô ſich, ſobald man es für organiſch zu halten anfieng, in uo verwandelte. T. 33, 3. hat noch êlimôſina *) und ebenſo hätte rôſa, *) Ulph. würde aílaíêmsÚſyna ſchreiben, hätte er nicht das deutſche armáiô (wofür alth. armêa denkbar wäre).

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/385>, abgerufen am 22.11.2024.