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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. mittelhochdeutsche vocale.
tol (?) knol (nodus) nol (vertex). Ausnahmsweise bleibt
o statt ü, als zobel, zoblein (Parc. 68c) st. züblin.
Das verhältniß des alth. o zu dem goth. au und u war
(nach s. 84.) das, daß es ersterem vor h und r, letzte-
rem in den übrigen fällen (also auch vor dem aus goth.
zd entspringenden rt.) antwortete. Folglich konnte das
alte u eigentlich bloß in letztem, nicht in erstem fall
gelten und turrun (audebant) burgun (tuebantur) thur-
nein, thurri etc. würden consequenter ein o haben oder
behalten. Diese u vor r entwickeln sich nun auch ge-
wöhnlich im mittelh., doch finde ich spurweise das
richtigere o, nämlich neben dem üblichen turren (aude-
mus) Wilb. 2, 175b torren (:geworren); [mehr hierüber
bei der conj.] -- on haben folgende: von (praep.) gedon
(aegrimonia troj. 30c 45c 48b 53a 110b) wone (mos)
gewon (solitus) rone (truncus) kone (uxor) honec (mel)
doner (tonitru); honec bezieht sich auf ein altes u; von,
gewon auf ein altes a (vgl. oben s. 85 und 75. halon,
holon, mittelh. holn) vielleicht auch das noch dunkle
gedon (zu denen, tendere? vgl. wenen und wone) und
rone (bairisch rann). Mit e verbinden das o außer kone
(nord. qven) die adj. bildungen-eht, als: durneht, triu-
tel-eht etc. für worolt, truhtein stehet immer werelt, werlt,
trehtein (Iw. 35b 37b trehten: vehten). Hingegen gelten
woche, op und wol, (vgl. s. 82.). Bemerkenswerth ist
noch dert (ibi, Flore 12a: erwert) st. des üblichen dort
(alth. thorot, doret).

(U) wie im alth. durch o, daneben aber nun auch
durch den umlaut ü beschränkt. Doch dringt o in we-
nige wörter, die es nicht schon im alth. hätten und zu-
weilen nur in einzelnen denkmählern, z. b. im Tit.
reimt kopher (aes): opfer, M. S. 2, 150b floßen (st. flu-
ßen): verdroßen, dergleichen ist selten und tadelnswerth;
neben dem herrschenden o zeigt sich das alte u in ge-
wissen ableitungen, nach umständen umlautend (s. vor-
hin beim o). Andere beispiele, wo kein umlaut statt
hat, sind: doln, gedult; holt (favens) hulde (favor), sol,
sult etc. Die neuh. analogie entscheidet so wenig zwi-
schen o und u, als zwischen e und i; spor (vestigium)
lautet auch alth. spor, neuh. spur. Das wichtigste und
schwierigste bei untersuchung dieses vocals scheint mir
aber, daß der um sich greifende umlaut ü offenbar noch,
wenigstens schwankend, von gewissen formen ausge-
schloßen ist, in welchen u fortbesteht. Dies zu erken-
nen helfen weder ausgaben noch hss. sondern allein die

I. mittelhochdeutſche vocale.
tol (?) knol (nodus) nol (vertex). Ausnahmsweiſe bleibt
o ſtatt ü, als zobel, zoblîn (Parc. 68c̱) ſt. züblìn.
Das verhältniß des alth. o zu dem goth. aú und u war
(nach ſ. 84.) das, daß es erſterem vor h und r, letzte-
rem in den übrigen fällen (alſo auch vor dem aus goth.
zd entſpringenden rt.) antwortete. Folglich konnte das
alte u eigentlich bloß in letztem, nicht in erſtem fall
gelten und turrun (audebant) burgun (tuebantur) thur-
nîn, thurri etc. würden conſequenter ein o haben oder
behalten. Dieſe u vor r entwickeln ſich nun auch ge-
wöhnlich im mittelh., doch finde ich ſpurweiſe das
richtigere o, nämlich neben dem üblichen turren (aude-
mus) Wilb. 2, 175b torren (:geworren); [mehr hierüber
bei der conj.] — on haben folgende: von (praep.) gedon
(aegrimonia troj. 30c 45c 48b 53a 110b) wone (mos)
gewon (ſolitus) rone (truncus) kone (uxor) honëc (mel)
doner (tonitru); honëc bezieht ſich auf ein altes u; von,
gewon auf ein altes a (vgl. oben ſ. 85 und 75. halôn,
holôn, mittelh. holn) vielleicht auch das noch dunkle
gedon (zu denen, tendere? vgl. wenen und wone) und
rone (bairiſch rann). Mit ë verbinden das o außer kone
(nord. qvën) die adj. bildungen-ëht, als: durnëht, triu-
tel-ëht etc. für worolt, truhtîn ſtehet immer wërelt, wërlt,
trëhtîn (Iw. 35ḇ 37b trëhten: vëhten). Hingegen gelten
woche, op und wol, (vgl. ſ. 82.). Bemerkenswerth iſt
noch dert (ibi, Flore 12a: erwert) ſt. des üblichen dort
(alth. thorôt, doret).

(U) wie im alth. durch o, daneben aber nun auch
durch den umlaut ü beſchränkt. Doch dringt o in we-
nige wörter, die es nicht ſchon im alth. hätten und zu-
weilen nur in einzelnen denkmählern, z. b. im Tit.
reimt kopher (aes): opfer, M. S. 2, 150b floƷen (ſt. flu-
Ʒen): verdroƷen, dergleichen iſt ſelten und tadelnswerth;
neben dem herrſchenden o zeigt ſich das alte u in ge-
wiſſen ableitungen, nach umſtänden umlautend (ſ. vor-
hin beim o). Andere beiſpiele, wo kein umlaut ſtatt
hat, ſind: doln, gedult; holt (favens) hulde (favor), ſol,
ſult etc. Die neuh. analogie entſcheidet ſo wenig zwi-
ſchen o und u, als zwiſchen ë und i; ſpor (veſtigium)
lautet auch alth. ſpor, neuh. ſpur. Das wichtigſte und
ſchwierigſte bei unterſuchung dieſes vocals ſcheint mir
aber, daß der um ſich greifende umlaut ü offenbar noch,
wenigſtens ſchwankend, von gewiſſen formen ausge-
ſchloßen iſt, in welchen u fortbeſteht. Dies zu erken-
nen helfen weder ausgaben noch hſſ. ſondern allein die

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[336/0362] I. mittelhochdeutſche vocale. tol (?) knol (nodus) nol (vertex). Ausnahmsweiſe bleibt o ſtatt ü, als zobel, zoblîn (Parc. 68c̱) ſt. züblìn. Das verhältniß des alth. o zu dem goth. aú und u war (nach ſ. 84.) das, daß es erſterem vor h und r, letzte- rem in den übrigen fällen (alſo auch vor dem aus goth. zd entſpringenden rt.) antwortete. Folglich konnte das alte u eigentlich bloß in letztem, nicht in erſtem fall gelten und turrun (audebant) burgun (tuebantur) thur- nîn, thurri etc. würden conſequenter ein o haben oder behalten. Dieſe u vor r entwickeln ſich nun auch ge- wöhnlich im mittelh., doch finde ich ſpurweiſe das richtigere o, nämlich neben dem üblichen turren (aude- mus) Wilb. 2, 175b torren (:geworren); [mehr hierüber bei der conj.] — on haben folgende: von (praep.) gedon (aegrimonia troj. 30c 45c 48b 53a 110b) wone (mos) gewon (ſolitus) rone (truncus) kone (uxor) honëc (mel) doner (tonitru); honëc bezieht ſich auf ein altes u; von, gewon auf ein altes a (vgl. oben ſ. 85 und 75. halôn, holôn, mittelh. holn) vielleicht auch das noch dunkle gedon (zu denen, tendere? vgl. wenen und wone) und rone (bairiſch rann). Mit ë verbinden das o außer kone (nord. qvën) die adj. bildungen-ëht, als: durnëht, triu- tel-ëht etc. für worolt, truhtîn ſtehet immer wërelt, wërlt, trëhtîn (Iw. 35ḇ 37b trëhten: vëhten). Hingegen gelten woche, op und wol, (vgl. ſ. 82.). Bemerkenswerth iſt noch dert (ibi, Flore 12a: erwert) ſt. des üblichen dort (alth. thorôt, doret). (U) wie im alth. durch o, daneben aber nun auch durch den umlaut ü beſchränkt. Doch dringt o in we- nige wörter, die es nicht ſchon im alth. hätten und zu- weilen nur in einzelnen denkmählern, z. b. im Tit. reimt kopher (aes): opfer, M. S. 2, 150b floƷen (ſt. flu- Ʒen): verdroƷen, dergleichen iſt ſelten und tadelnswerth; neben dem herrſchenden o zeigt ſich das alte u in ge- wiſſen ableitungen, nach umſtänden umlautend (ſ. vor- hin beim o). Andere beiſpiele, wo kein umlaut ſtatt hat, ſind: doln, gedult; holt (favens) hulde (favor), ſol, ſult etc. Die neuh. analogie entſcheidet ſo wenig zwi- ſchen o und u, als zwiſchen ë und i; ſpor (veſtigium) lautet auch alth. ſpor, neuh. ſpur. Das wichtigſte und ſchwierigſte bei unterſuchung dieſes vocals ſcheint mir aber, daß der um ſich greifende umlaut ü offenbar noch, wenigſtens ſchwankend, von gewiſſen formen ausge- ſchloßen iſt, in welchen u fortbeſteht. Dies zu erken- nen helfen weder ausgaben noch hſſ. ſondern allein die

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/362>, abgerufen am 22.11.2024.