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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. althochdeutsche consonanten. liquidae.
N. isila (96, 1.) st. insila; noch heute in der schweiz isel
(Tschudi 1. 366.) vgl. das ital. isola, franz. isle; vermuth-
lich ist wieder verlängerung des vocals eisila zu behaupten,
wie die nord. form as, aus st. ans, uns bestätigt; nur ist jenes
eisila ausnahme nicht regel, N. schreibt uns (nobis) nicht
aus, wie die Schweizer. Eine weitere spur O. stuant im reim
auf muat, guat, bestimmt an das goth. sächs. und nord.
stoth erinnernd, vgl. das alth. stateig (stabilis) und ähn-
liche ableitungen, die offenbar mit standan zusammenhän-
gen. Sollte das n in stuant, bant etc wenigstens nasal
gewesen seyn? die heutige unnasale aussprache macht es
wenig wahrscheinlich. Von ausfallendem n. vor gutt.
in tonloser endung gibt uns hier umgekehrt N. einen
beleg in tuged, tugedig st. tugend, tugendig. -- Bei dem
in und auslautenden r ist es wichtig, auf diejenigen
fälle zu merken, in welchen sich r aus dem früheren s
entwickelt hat. Daß s als das ältere und r als das jün-
gere zu betrachten ist, folgt theils aus der oben s. 65.
nachgewiesenen latein. analogie, theils aus der progres-
sion des r in wörtern, die im alth. noch ihr s behaupten.
In folgenden fällen ersetzt ein alth. r das goth. s oder z:
im nom. sing. masc. des adj. -- im gen. u. dat. sg. fem.
und im gen. pl. des adj. -- im comparat. -- sodann in:
kar (vas) ahir (spica) aran (messis) peri (bacca) nerjan
(salvare) mir. thir. ir (ex) ir (vos) wir (nos) er (aes) mer
(magis) ser (dolor) her (splendens) *) ger (telum) keran.
leran. tror (sanguis, stilla) ror (arundo) ora (auris) horjan
(audire) tior (fera)- in den pl. praet. warun, birun, lurun,
churun, und vermuthlich noch in andern, deren ur-
sprüngliches s erst fortgesetzte untersuchung lehren wird **).
Geblieben ist im gen. sg. masc. und neutr. -- zum theil
in denselben wörtern, deren ableitung oder flexion be-
reits r hat, als: nesan (bene valere) triosan (cadere, stil-
lare) wesan, was; lesan, las, lasun; haso (lepus); gestar
(hesternus) ***) kiosan, kos; liosan, los; eisarn (ferrum) etc.
so daß für den übergang keine consequente analogie zu
finden ist; man vergleiche lesan, las, lasun mit wesan,

*) Goth. hais, wovon noch haiza (lampas) über ist. Auf dem
wege wäre vielleicht Lucans neben teutates genannter
hesus (dominus, illustris) der deutsohen sprache und mythe
zu vindicieren.
**) Z. b. zior (decus, decor) deutet auf ein zios, goth. tius.
***) Das einfache wort muß ges gewesen seyn, wie das nord.
gaer (? ger) und lat. heri zeigen; in hesternus blieb das s.

I. althochdeutſche conſonanten. liquidae.
N. iſila (96, 1.) ſt. inſila; noch heute in der ſchweiz iſel
(Tſchudi 1. 366.) vgl. das ital. iſola, franz. iſle; vermuth-
lich iſt wieder verlängerung des vocals îſila zu behaupten,
wie die nord. form âs, ûs ſt. ans, uns beſtätigt; nur iſt jenes
îſila ausnahme nicht regel, N. ſchreibt uns (nobis) nicht
ûs, wie die Schweizer. Eine weitere ſpur O. ſtuant im reim
auf muat, guat, beſtimmt an das goth. ſächſ. und nord.
ſtôþ erinnernd, vgl. das alth. ſtâtîg (ſtabilis) und ähn-
liche ableitungen, die offenbar mit ſtandan zuſammenhän-
gen. Sollte das n in ſtuant, bant etc wenigſtens naſal
geweſen ſeyn? die heutige unnaſale ausſprache macht es
wenig wahrſcheinlich. Von ausfallendem n. vor gutt.
in tonloſer endung gibt uns hier umgekehrt N. einen
beleg in tuged, tugedig ſt. tugend, tugendig. — Bei dem
in und auslautenden r iſt es wichtig, auf diejenigen
fälle zu merken, in welchen ſich r aus dem früheren ſ
entwickelt hat. Daß ſ als das ältere und r als das jün-
gere zu betrachten iſt, folgt theils aus der oben ſ. 65.
nachgewieſenen latein. analogie, theils aus der progreſ-
ſion des r in wörtern, die im alth. noch ihr ſ behaupten.
In folgenden fällen erſetzt ein alth. r das goth. ſ oder z:
im nom. ſing. maſc. des adj. — im gen. u. dat. ſg. fem.
und im gen. pl. des adj. — im comparat. — ſodann in:
kar (vas) ahir (ſpica) aran (meſſis) peri (bacca) nerjan
(ſalvare) mir. thir. ir (ex) ir (vos) wir (nos) êr (aes) mêr
(magis) ſêr (dolor) hêr (ſplendens) *) gêr (telum) kêran.
lêran. trôr (ſanguis, ſtilla) rôr (arundo) ôra (auris) hôrjan
(audire) tior (fera)- in den pl. praet. wârun, birun, lurun,
churun, und vermuthlich noch in andern, deren ur-
ſprüngliches ſ erſt fortgeſetzte unterſuchung lehren wird **).
Geblieben iſt im gen. ſg. maſc. und neutr. — zum theil
in denſelben wörtern, deren ableitung oder flexion be-
reits r hat, als: nëſan (bene valere) trioſan (cadere, ſtil-
lare) wëſan, was; lëſan, las, lâſun; haſo (lepus); gëſtar
(heſternus) ***) kioſan, kôs; lioſan, lôs; îſarn (ferrum) etc.
ſo daß für den übergang keine conſequente analogie zu
finden iſt; man vergleiche lëſan, las, lâſun mit wëſan,

*) Goth. háis, wovon noch háiza (λαμπὰς) über iſt. Auf dem
wege wäre vielleicht Lucans neben teutates genannter
hêſus (dominus, illuſtris) der deutſohen ſprache und mythe
zu vindicieren.
**) Z. b. zior (decus, decor) deutet auf ein zios, goth. tius.
***) Das einfache wort muß gës geweſen ſeyn, wie das nord.
gær (? gër) und lat. heri zeigen; in heſternus blieb das ſ.
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[121/0147] I. althochdeutſche conſonanten. liquidae. N. iſila (96, 1.) ſt. inſila; noch heute in der ſchweiz iſel (Tſchudi 1. 366.) vgl. das ital. iſola, franz. iſle; vermuth- lich iſt wieder verlängerung des vocals îſila zu behaupten, wie die nord. form âs, ûs ſt. ans, uns beſtätigt; nur iſt jenes îſila ausnahme nicht regel, N. ſchreibt uns (nobis) nicht ûs, wie die Schweizer. Eine weitere ſpur O. ſtuant im reim auf muat, guat, beſtimmt an das goth. ſächſ. und nord. ſtôþ erinnernd, vgl. das alth. ſtâtîg (ſtabilis) und ähn- liche ableitungen, die offenbar mit ſtandan zuſammenhän- gen. Sollte das n in ſtuant, bant etc wenigſtens naſal geweſen ſeyn? die heutige unnaſale ausſprache macht es wenig wahrſcheinlich. Von ausfallendem n. vor gutt. in tonloſer endung gibt uns hier umgekehrt N. einen beleg in tuged, tugedig ſt. tugend, tugendig. — Bei dem in und auslautenden r iſt es wichtig, auf diejenigen fälle zu merken, in welchen ſich r aus dem früheren ſ entwickelt hat. Daß ſ als das ältere und r als das jün- gere zu betrachten iſt, folgt theils aus der oben ſ. 65. nachgewieſenen latein. analogie, theils aus der progreſ- ſion des r in wörtern, die im alth. noch ihr ſ behaupten. In folgenden fällen erſetzt ein alth. r das goth. ſ oder z: im nom. ſing. maſc. des adj. — im gen. u. dat. ſg. fem. und im gen. pl. des adj. — im comparat. — ſodann in: kar (vas) ahir (ſpica) aran (meſſis) peri (bacca) nerjan (ſalvare) mir. thir. ir (ex) ir (vos) wir (nos) êr (aes) mêr (magis) ſêr (dolor) hêr (ſplendens) *) gêr (telum) kêran. lêran. trôr (ſanguis, ſtilla) rôr (arundo) ôra (auris) hôrjan (audire) tior (fera)- in den pl. praet. wârun, birun, lurun, churun, und vermuthlich noch in andern, deren ur- ſprüngliches ſ erſt fortgeſetzte unterſuchung lehren wird **). Geblieben iſt im gen. ſg. maſc. und neutr. — zum theil in denſelben wörtern, deren ableitung oder flexion be- reits r hat, als: nëſan (bene valere) trioſan (cadere, ſtil- lare) wëſan, was; lëſan, las, lâſun; haſo (lepus); gëſtar (heſternus) ***) kioſan, kôs; lioſan, lôs; îſarn (ferrum) etc. ſo daß für den übergang keine conſequente analogie zu finden iſt; man vergleiche lëſan, las, lâſun mit wëſan, *) Goth. háis, wovon noch háiza (λαμπὰς) über iſt. Auf dem wege wäre vielleicht Lucans neben teutates genannter hêſus (dominus, illuſtris) der deutſohen ſprache und mythe zu vindicieren. **) Z. b. zior (decus, decor) deutet auf ein zios, goth. tius. ***) Das einfache wort muß gës geweſen ſeyn, wie das nord. gær (? gër) und lat. heri zeigen; in heſternus blieb das ſ.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/147>, abgerufen am 23.11.2024.