ia beruht in der regel nicht wie das vorige auf einer verkürzung und steht dem goth. iu parallel. Ausnah- me machen die ablaute riaf, wiaf, stiaß etc. deren ia dem gleichfalls eine zusammenziehung voraussetzen- den, baßeren io entspricht.
(IE) in ie halte ich das e weder für e noch für e (umgelautetes a) weil hier weder grund zum umlaut vor- handen, noch ein e denkbar ist; vielmehr das e ist aus dem ältern a und o, wie in den endungen zu gesche- hen pflegt, entstellt worden, ie mithin nichts anders als ein abgeschwächtes ia oder io. Hieraus fließt zu- gleich. daß in diesen der ton auf dem i ruht. Ein solches ie zeigen J. K. und die frühsten quellen noch fast gar nicht (mietta gl. jun. 197. zierida M. 319.); bei T. und O. beginnt es, bei N. hat es sich beinahe ent- schieden au die stells des ia und io gedrängt, zuweilen selbst an die des iu. Bei O. ist es weniger häufig, nament- lich im ablaut selten, doch finde ich rietin f. riatein; andere beispiele; sirliesen f. firliasan, lied (cantio) ziere: skiere J. 23, 42. biet (mensa), thiete (populo). T. gebraucht es öfter, namentlich im ablant: gieng, phieng. hieß, blie- son, sliefon etc.; andere beispiele: mieta, ziegala, fiebar (febris), thienon neben thionon. N. kennt kein ia*) und io mehr. sondern bloß ie, schreibt aber dieses stets eie. welches zwar für die ablaute geieng, heieß etc. in so- fern sie nach obiger ansicht aus ei-e entsprangen, passend scheinen könnte, für den wirklichen diphthongen, der dadurch zum triphthongen (iie) würde, nicht zu billi- gen ist. Daß kein ei. statt finde, folgt auch aus dem wechsel der ia mit ea. Soll damit bloß der dem i vor dem e gebührende nachdruck gemeint seyn, so wäre die bezeichnung ie empfehlungswerther, scheint aber auch entbehrlich. Daß N. selbst kein wirklich gedehntes ei meine, folgere ich aus seinem misbrauche desselben eie für zwei weitere fälle, denen gar nicht dieser diphthong zusteht. Theils finde ich eie statt ei, z. b. deiehent (profi-
Aber auch N. unterscheidet iemer, niemer, ieman, nie- man vom einfachen io, nio.
*) Ein zweisilb. also undiphthongisches ia allerdings, etwa in wörtern wie ohlia (furfur) etc. (pia, apis, heißt ihm bina). Dasselbe gilt von eio (semper) nio (nunquam), die wenigstens ursprünglich zweisilbig waren und wenn sie jetzt einsilbig sind, doch aus dem grunde sich nicht schon in ie, ni[e] abschwächten; vgl. joh (et), nicht jeh.
I. althochdeutſche vocale.
ia beruht in der regel nicht wie das vorige auf einer verkürzung und ſteht dem goth. iu parallel. Ausnah- me machen die ablaute riaf, wiaf, ſtiaƷ etc. deren ia dem gleichfalls eine zuſammenziehung vorausſetzen- den, baßeren io entſpricht.
(IE) in ie halte ich das e weder für ë noch für e (umgelautetes a) weil hier weder grund zum umlaut vor- handen, noch ein ë denkbar iſt; vielmehr das e iſt aus dem ältern a und o, wie in den endungen zu geſche- hen pflegt, entſtellt worden, ie mithin nichts anders als ein abgeſchwächtes ia oder io. Hieraus fließt zu- gleich. daß in dieſen der ton auf dem i ruht. Ein ſolches ie zeigen J. K. und die frühſten quellen noch faſt gar nicht (mietta gl. jun. 197. zierida M. 319.); bei T. und O. beginnt es, bei N. hat es ſich beinahe ent- ſchieden au die ſtells des ia und io gedrängt, zuweilen ſelbſt an die des iu. Bei O. iſt es weniger häufig, nament- lich im ablaut ſelten, doch finde ich rietìn f. riatîn; andere beiſpiele; ſirlieſen f. firliaſan, lied (cantio) ziere: ſkiere J. 23, 42. biet (menſa), thiete (populo). T. gebraucht es öfter, namentlich im ablant: gieng, phieng. hieƷ, blie- ſon, ſliefon etc.; andere beiſpiele: mieta, ziegala, fiebar (febris), thienôn neben thionôn. N. kennt kein ia*) und io mehr. ſondern bloß ie, ſchreibt aber dieſes ſtets îe. welches zwar für die ablaute gîeng, hîeƷ etc. in ſo- fern ſie nach obiger anſicht aus î-e entſprangen, paſſend ſcheinen könnte, für den wirklichen diphthongen, der dadurch zum triphthongen (iie) würde, nicht zu billi- gen iſt. Daß kein î. ſtatt finde, folgt auch aus dem wechſel der ia mit ëa. Soll damit bloß der dem i vor dem e gebührende nachdruck gemeint ſeyn, ſo wäre die bezeichnung íe empfehlungswerther, ſcheint aber auch entbehrlich. Daß N. ſelbſt kein wirklich gedehntes î meine, folgere ich aus ſeinem misbrauche deſſelben îe für zwei weitere fälle, denen gar nicht dieſer diphthong zuſteht. Theils finde ich îe ſtatt î, z. b. dîehent (profi-
Aber auch N. unterſcheidet iemer, niemer, ieman, nie- man vom einfachen io, nio.
*) Ein zweiſilb. alſo undiphthongiſches ìa allerdings, etwa in wörtern wie ohlìa (furfur) etc. (pìa, apis, heißt ihm bina). Daſſelbe gilt von îo (ſemper) nìo (nunquam), die wenigſtens urſprünglich zweiſilbig waren und wenn ſie jetzt einſilbig ſind, doch aus dem grunde ſich nicht ſchon in ie, ni[e] abſchwächten; vgl. joh (et), nicht jeh.
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[105/0131]
I. althochdeutſche vocale.
ia beruht in der regel nicht wie das vorige auf einer
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me machen die ablaute riaf, wiaf, ſtiaƷ etc. deren ia
dem gleichfalls eine zuſammenziehung vorausſetzen-
den, baßeren io entſpricht.
(IE) in ie halte ich das e weder für ë noch für e
(umgelautetes a) weil hier weder grund zum umlaut vor-
handen, noch ein ë denkbar iſt; vielmehr das e iſt aus
dem ältern a und o, wie in den endungen zu geſche-
hen pflegt, entſtellt worden, ie mithin nichts anders
als ein abgeſchwächtes ia oder io. Hieraus fließt zu-
gleich. daß in dieſen der ton auf dem i ruht. Ein
ſolches ie zeigen J. K. und die frühſten quellen noch
faſt gar nicht (mietta gl. jun. 197. zierida M. 319.); bei
T. und O. beginnt es, bei N. hat es ſich beinahe ent-
ſchieden au die ſtells des ia und io gedrängt, zuweilen
ſelbſt an die des iu. Bei O. iſt es weniger häufig, nament-
lich im ablaut ſelten, doch finde ich rietìn f. riatîn; andere
beiſpiele; ſirlieſen f. firliaſan, lied (cantio) ziere: ſkiere
J. 23, 42. biet (menſa), thiete (populo). T. gebraucht es
öfter, namentlich im ablant: gieng, phieng. hieƷ, blie-
ſon, ſliefon etc.; andere beiſpiele: mieta, ziegala, fiebar
(febris), thienôn neben thionôn. N. kennt kein ia *)
und io mehr. ſondern bloß ie, ſchreibt aber dieſes ſtets
îe. welches zwar für die ablaute gîeng, hîeƷ etc. in ſo-
fern ſie nach obiger anſicht aus î-e entſprangen, paſſend
ſcheinen könnte, für den wirklichen diphthongen, der
dadurch zum triphthongen (iie) würde, nicht zu billi-
gen iſt. Daß kein î. ſtatt finde, folgt auch aus dem
wechſel der ia mit ëa. Soll damit bloß der dem i vor
dem e gebührende nachdruck gemeint ſeyn, ſo wäre die
bezeichnung íe empfehlungswerther, ſcheint aber auch
entbehrlich. Daß N. ſelbſt kein wirklich gedehntes î
meine, folgere ich aus ſeinem misbrauche deſſelben îe
für zwei weitere fälle, denen gar nicht dieſer diphthong
zuſteht. Theils finde ich îe ſtatt î, z. b. dîehent (profi-
**)
*) Ein
zweiſilb. alſo undiphthongiſches ìa allerdings, etwa
in wörtern wie ohlìa (furfur) etc. (pìa, apis, heißt ihm
bina). Daſſelbe gilt von îo (ſemper) nìo (nunquam),
die wenigſtens urſprünglich zweiſilbig waren und wenn
ſie jetzt einſilbig ſind, doch aus dem grunde ſich nicht
ſchon in ie, nie abſchwächten; vgl. joh (et), nicht jeh.
**) Aber auch N. unterſcheidet iemer, niemer, ieman, nie-
man vom einfachen io, nio.
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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/131>, abgerufen am 24.11.2024.
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