Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grillparzer, Franz: Der arme Spielmann. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–344. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

sprechen und gab nur durch einzelne Worte ihre Billigung oder -- was öfter der Fall war -- ihre Mißbilligung zu erkennen.

Von Musik oder Gesang war nie die Rede. Erstlich meinte sie, man müsse entweder singen oder das Maul halten, zu reden sei da nichts. Das Singen selbst aber ging nicht an. Im Laden war es unziemlich, und die Hinterstube, die sie und ihr Vater gemeinschaftlich bewohnten, durfte ich nicht betreten. Einmal aber, als ich unbemerkt zur Thüre hereintrat, stand sie auf den Zehenspitzen emporgerichtet, den Rücken mir zugekehrt, und mit den erhobenen Händen, wie man nach etwas sucht, auf einem der höheren Stellbreter herumtastend. Und dabei sang sie leise in sich hinein. -- Es war das Lied, mein Lied! -- Sie aber zwitscherte wie eine Grasmücke, die am Bache das Hälslein wäscht und das Köpfchen herumwirft und die Federn sträubt und wieder glättet mit dem Schnäblein. Mir war, als ginge ich auf grünen Wiesen. Ich schlich näher und näher und war schon so nahe, daß das Lied nicht mehr von außen, daß es aus mir herauszutönen schien, ein Gesang der Seelen. Da konnte ich mich nicht mehr halten und faßte mit beiden Händen ihren in der Mitte nach vorn strebenden und mit den Schultern gegen mich gesenkten Leib. Da aber kam's. Sie wirbelte wie ein Kreisel um sich selbst. Gluthroth vor Zorn im Gesichte stand sie vor mir da; Ihre Hand zuckte, und ehe ich mich entschuldigen konnte --

Sie hatten, wie ich schon früher berichtet, auf der

sprechen und gab nur durch einzelne Worte ihre Billigung oder — was öfter der Fall war — ihre Mißbilligung zu erkennen.

Von Musik oder Gesang war nie die Rede. Erstlich meinte sie, man müsse entweder singen oder das Maul halten, zu reden sei da nichts. Das Singen selbst aber ging nicht an. Im Laden war es unziemlich, und die Hinterstube, die sie und ihr Vater gemeinschaftlich bewohnten, durfte ich nicht betreten. Einmal aber, als ich unbemerkt zur Thüre hereintrat, stand sie auf den Zehenspitzen emporgerichtet, den Rücken mir zugekehrt, und mit den erhobenen Händen, wie man nach etwas sucht, auf einem der höheren Stellbreter herumtastend. Und dabei sang sie leise in sich hinein. — Es war das Lied, mein Lied! — Sie aber zwitscherte wie eine Grasmücke, die am Bache das Hälslein wäscht und das Köpfchen herumwirft und die Federn sträubt und wieder glättet mit dem Schnäblein. Mir war, als ginge ich auf grünen Wiesen. Ich schlich näher und näher und war schon so nahe, daß das Lied nicht mehr von außen, daß es aus mir herauszutönen schien, ein Gesang der Seelen. Da konnte ich mich nicht mehr halten und faßte mit beiden Händen ihren in der Mitte nach vorn strebenden und mit den Schultern gegen mich gesenkten Leib. Da aber kam's. Sie wirbelte wie ein Kreisel um sich selbst. Gluthroth vor Zorn im Gesichte stand sie vor mir da; Ihre Hand zuckte, und ehe ich mich entschuldigen konnte —

Sie hatten, wie ich schon früher berichtet, auf der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="0">
        <p><pb facs="#f0053"/>
sprechen und gab nur durch einzelne Worte ihre Billigung oder                &#x2014; was öfter der Fall war &#x2014; ihre Mißbilligung zu erkennen.</p><lb/>
        <p>Von Musik oder Gesang war nie die Rede. Erstlich meinte sie, man müsse entweder                singen oder das Maul halten, zu reden sei da nichts. Das Singen selbst aber ging                nicht an. Im Laden war es unziemlich, und die Hinterstube, die sie und ihr Vater                gemeinschaftlich bewohnten, durfte ich nicht betreten. Einmal aber, als ich unbemerkt                zur Thüre hereintrat, stand sie auf den Zehenspitzen emporgerichtet, den Rücken mir                zugekehrt, und mit den erhobenen Händen, wie man nach etwas sucht, auf einem der                höheren Stellbreter herumtastend. Und dabei sang sie leise in sich hinein. &#x2014; Es war                das Lied, mein Lied! &#x2014; Sie aber zwitscherte wie eine Grasmücke, die am Bache das                Hälslein wäscht und das Köpfchen herumwirft und die Federn sträubt und wieder glättet                mit dem Schnäblein. Mir war, als ginge ich auf grünen Wiesen. Ich schlich näher und                näher und war schon so nahe, daß das Lied nicht mehr von außen, daß es aus mir                herauszutönen schien, ein Gesang der Seelen. Da konnte ich mich nicht mehr halten und                faßte mit beiden Händen ihren in der Mitte nach vorn strebenden und mit den Schultern                gegen mich gesenkten Leib. Da aber kam's. Sie wirbelte wie ein Kreisel um sich                selbst. Gluthroth vor Zorn im Gesichte stand sie vor mir da; Ihre Hand zuckte, und                ehe ich mich entschuldigen konnte &#x2014;</p><lb/>
        <p>Sie hatten, wie ich schon früher berichtet, auf der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0053] sprechen und gab nur durch einzelne Worte ihre Billigung oder — was öfter der Fall war — ihre Mißbilligung zu erkennen. Von Musik oder Gesang war nie die Rede. Erstlich meinte sie, man müsse entweder singen oder das Maul halten, zu reden sei da nichts. Das Singen selbst aber ging nicht an. Im Laden war es unziemlich, und die Hinterstube, die sie und ihr Vater gemeinschaftlich bewohnten, durfte ich nicht betreten. Einmal aber, als ich unbemerkt zur Thüre hereintrat, stand sie auf den Zehenspitzen emporgerichtet, den Rücken mir zugekehrt, und mit den erhobenen Händen, wie man nach etwas sucht, auf einem der höheren Stellbreter herumtastend. Und dabei sang sie leise in sich hinein. — Es war das Lied, mein Lied! — Sie aber zwitscherte wie eine Grasmücke, die am Bache das Hälslein wäscht und das Köpfchen herumwirft und die Federn sträubt und wieder glättet mit dem Schnäblein. Mir war, als ginge ich auf grünen Wiesen. Ich schlich näher und näher und war schon so nahe, daß das Lied nicht mehr von außen, daß es aus mir herauszutönen schien, ein Gesang der Seelen. Da konnte ich mich nicht mehr halten und faßte mit beiden Händen ihren in der Mitte nach vorn strebenden und mit den Schultern gegen mich gesenkten Leib. Da aber kam's. Sie wirbelte wie ein Kreisel um sich selbst. Gluthroth vor Zorn im Gesichte stand sie vor mir da; Ihre Hand zuckte, und ehe ich mich entschuldigen konnte — Sie hatten, wie ich schon früher berichtet, auf der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:14:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:14:44Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grillparzer_spielmann_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grillparzer_spielmann_1910/53
Zitationshilfe: Grillparzer, Franz: Der arme Spielmann. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–344. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grillparzer_spielmann_1910/53>, abgerufen am 22.11.2024.