Grillparzer, Franz: Der arme Spielmann. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–344. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.es mochte sie wohl der Bediente in meiner Abwesenheit benützt haben -- sie fand sich richtig gestimmt. Als ich nun mit dem Bogen über die Saiten fuhr, Herr, da war es, als ob Gottes Finger mich angerührt hätte. Der Ton drang in mein Inneres hinein und aus dem Innern wieder heraus. Die Luft um mich war wie geschwängert mit Trunkenheit. Das Lied unten im Hofe und die Töne von meinen Fingern an mein Ohr, Mitbewohner meiner Einsamkeit. Ich fiel auf die Kniee und betete laut und konnte nicht begreifen, daß ich das holde Gotteswesen einmal gering geschätzt, ja gehaßt in meiner Kindheit, und küßte die Violine und drückte sie an mein Herz und spielte wieder und fort. Das Lied im Hofe -- es war eine Weibsperson, die sang -- tönte derweile unausgesetzt; mit dem Nachspielen ging es aber nicht so leicht. Ich hatte das Lied nämlich nicht in Noten. Auch merkte ich wohl, daß ich das Wenige der Geigenkunst, was ich etwa einmal wußte, so ziemlich vergessen hatte. Ich konnte daher nicht das und das, sondern nur überhaupt spielen. Obwohl mir das jeweilige Was der Musik mit Ausnahme jenes Liedes immer ziemlich gleichgültig war und auch geblieben ist bis zum heutigen Tag. Sie spielen den Wolfgang Amadeus Mozart und den Sebastian Bach, aber den lieben Gott spielt Keiner. Die ewige Wohlthat und Gnade des Tons und Klangs, seine wunderthätige Uebereinstimmung mit dem durstigen, zerlechzenden Ohr, daß -- fuhr er leiser und schamroth es mochte sie wohl der Bediente in meiner Abwesenheit benützt haben — sie fand sich richtig gestimmt. Als ich nun mit dem Bogen über die Saiten fuhr, Herr, da war es, als ob Gottes Finger mich angerührt hätte. Der Ton drang in mein Inneres hinein und aus dem Innern wieder heraus. Die Luft um mich war wie geschwängert mit Trunkenheit. Das Lied unten im Hofe und die Töne von meinen Fingern an mein Ohr, Mitbewohner meiner Einsamkeit. Ich fiel auf die Kniee und betete laut und konnte nicht begreifen, daß ich das holde Gotteswesen einmal gering geschätzt, ja gehaßt in meiner Kindheit, und küßte die Violine und drückte sie an mein Herz und spielte wieder und fort. Das Lied im Hofe — es war eine Weibsperson, die sang — tönte derweile unausgesetzt; mit dem Nachspielen ging es aber nicht so leicht. Ich hatte das Lied nämlich nicht in Noten. Auch merkte ich wohl, daß ich das Wenige der Geigenkunst, was ich etwa einmal wußte, so ziemlich vergessen hatte. Ich konnte daher nicht das und das, sondern nur überhaupt spielen. Obwohl mir das jeweilige Was der Musik mit Ausnahme jenes Liedes immer ziemlich gleichgültig war und auch geblieben ist bis zum heutigen Tag. Sie spielen den Wolfgang Amadeus Mozart und den Sebastian Bach, aber den lieben Gott spielt Keiner. Die ewige Wohlthat und Gnade des Tons und Klangs, seine wunderthätige Uebereinstimmung mit dem durstigen, zerlechzenden Ohr, daß — fuhr er leiser und schamroth <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0033"/> es mochte sie wohl der Bediente in meiner Abwesenheit benützt haben — sie fand sich richtig gestimmt. Als ich nun mit dem Bogen über die Saiten fuhr, Herr, da war es, als ob Gottes Finger mich angerührt hätte. Der Ton drang in mein Inneres hinein und aus dem Innern wieder heraus. Die Luft um mich war wie geschwängert mit Trunkenheit. Das Lied unten im Hofe und die Töne von meinen Fingern an mein Ohr, Mitbewohner meiner Einsamkeit. Ich fiel auf die Kniee und betete laut und konnte nicht begreifen, daß ich das holde Gotteswesen einmal gering geschätzt, ja gehaßt in meiner Kindheit, und küßte die Violine und drückte sie an mein Herz und spielte wieder und fort.</p><lb/> <p>Das Lied im Hofe — es war eine Weibsperson, die sang — tönte derweile unausgesetzt; mit dem Nachspielen ging es aber nicht so leicht.</p><lb/> <p>Ich hatte das Lied nämlich nicht in Noten. Auch merkte ich wohl, daß ich das Wenige der Geigenkunst, was ich etwa einmal wußte, so ziemlich vergessen hatte. Ich konnte daher nicht das und das, sondern nur überhaupt spielen. Obwohl mir das jeweilige Was der Musik mit Ausnahme jenes Liedes immer ziemlich gleichgültig war und auch geblieben ist bis zum heutigen Tag. Sie spielen den Wolfgang Amadeus Mozart und den Sebastian Bach, aber den lieben Gott spielt Keiner. Die ewige Wohlthat und Gnade des Tons und Klangs, seine wunderthätige Uebereinstimmung mit dem durstigen, zerlechzenden Ohr, daß — fuhr er leiser und schamroth<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0033]
es mochte sie wohl der Bediente in meiner Abwesenheit benützt haben — sie fand sich richtig gestimmt. Als ich nun mit dem Bogen über die Saiten fuhr, Herr, da war es, als ob Gottes Finger mich angerührt hätte. Der Ton drang in mein Inneres hinein und aus dem Innern wieder heraus. Die Luft um mich war wie geschwängert mit Trunkenheit. Das Lied unten im Hofe und die Töne von meinen Fingern an mein Ohr, Mitbewohner meiner Einsamkeit. Ich fiel auf die Kniee und betete laut und konnte nicht begreifen, daß ich das holde Gotteswesen einmal gering geschätzt, ja gehaßt in meiner Kindheit, und küßte die Violine und drückte sie an mein Herz und spielte wieder und fort.
Das Lied im Hofe — es war eine Weibsperson, die sang — tönte derweile unausgesetzt; mit dem Nachspielen ging es aber nicht so leicht.
Ich hatte das Lied nämlich nicht in Noten. Auch merkte ich wohl, daß ich das Wenige der Geigenkunst, was ich etwa einmal wußte, so ziemlich vergessen hatte. Ich konnte daher nicht das und das, sondern nur überhaupt spielen. Obwohl mir das jeweilige Was der Musik mit Ausnahme jenes Liedes immer ziemlich gleichgültig war und auch geblieben ist bis zum heutigen Tag. Sie spielen den Wolfgang Amadeus Mozart und den Sebastian Bach, aber den lieben Gott spielt Keiner. Die ewige Wohlthat und Gnade des Tons und Klangs, seine wunderthätige Uebereinstimmung mit dem durstigen, zerlechzenden Ohr, daß — fuhr er leiser und schamroth
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Zitationshilfe: | Grillparzer, Franz: Der arme Spielmann. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–344. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grillparzer_spielmann_1910/33>, abgerufen am 16.07.2024. |