Grillparzer, Franz: Der arme Spielmann. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–344. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Obgleich es im Grunde allerdings ein Phantasiren war, für den Spieler nämlich, nur nicht auch für den Hörer. Ich weiß nicht, wie lange das gedauert haben mochte und wie arg es geworden war, als plötzlich die Thüre des Hauses aufging, ein Mann, nur mit dem Hemde und lose eingeknöpftem Beinkleide angethan, von der Schwelle bis in die Mitte der Straße trat und zu dem Giebelfenster emporrief: Soll das heute einmal wieder gar kein Ende nehmen? Der Ton der Stimme war dabei unwillig, aber nicht hart oder beleidigend. Die Violine verstummte, ehe die Rede noch zu Ende war. Der Mann ging ins Haus zurück, das Giebelfenster schloß sich, und bald herrschte eine durch nichts unterbrochene Todtenstille um mich her. Ich trat, mühsam in den mir unbekannten Gassen mich zurechtfindend, den Heimweg an, wobei ich auch phantasirte, aber niemand störend, für mich, im Kopfe. Die Morgenstunden haben für mich immer einen eigenen Werth gehabt. Es ist, als ob es mir Bedürfniß wäre, durch die Beschäftigung mit etwas Erhebendem, Bedeutendem in den ersten Stunden des Tages mir den Rest desselben gewissermaßen zu heiligen. Ich kann mich daher nur schwer entschließen, am frühen Morgen mein Zimmer zu verlassen, und wenn ich ohne vollgültige Ursache mich einmal dazu nöthige, so habe ich für den übrigen Tag nur die Wahl zwischen gedankenloser Zerstreuung oder selbstquälerischem Trübsinn. So kam es, daß ich durch einige Tage den Besuch bei dem alten Obgleich es im Grunde allerdings ein Phantasiren war, für den Spieler nämlich, nur nicht auch für den Hörer. Ich weiß nicht, wie lange das gedauert haben mochte und wie arg es geworden war, als plötzlich die Thüre des Hauses aufging, ein Mann, nur mit dem Hemde und lose eingeknöpftem Beinkleide angethan, von der Schwelle bis in die Mitte der Straße trat und zu dem Giebelfenster emporrief: Soll das heute einmal wieder gar kein Ende nehmen? Der Ton der Stimme war dabei unwillig, aber nicht hart oder beleidigend. Die Violine verstummte, ehe die Rede noch zu Ende war. Der Mann ging ins Haus zurück, das Giebelfenster schloß sich, und bald herrschte eine durch nichts unterbrochene Todtenstille um mich her. Ich trat, mühsam in den mir unbekannten Gassen mich zurechtfindend, den Heimweg an, wobei ich auch phantasirte, aber niemand störend, für mich, im Kopfe. Die Morgenstunden haben für mich immer einen eigenen Werth gehabt. Es ist, als ob es mir Bedürfniß wäre, durch die Beschäftigung mit etwas Erhebendem, Bedeutendem in den ersten Stunden des Tages mir den Rest desselben gewissermaßen zu heiligen. Ich kann mich daher nur schwer entschließen, am frühen Morgen mein Zimmer zu verlassen, und wenn ich ohne vollgültige Ursache mich einmal dazu nöthige, so habe ich für den übrigen Tag nur die Wahl zwischen gedankenloser Zerstreuung oder selbstquälerischem Trübsinn. So kam es, daß ich durch einige Tage den Besuch bei dem alten <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0022"/> Obgleich es im Grunde allerdings ein Phantasiren war, für den Spieler nämlich, nur nicht auch für den Hörer.</p><lb/> <p>Ich weiß nicht, wie lange das gedauert haben mochte und wie arg es geworden war, als plötzlich die Thüre des Hauses aufging, ein Mann, nur mit dem Hemde und lose eingeknöpftem Beinkleide angethan, von der Schwelle bis in die Mitte der Straße trat und zu dem Giebelfenster emporrief: Soll das heute einmal wieder gar kein Ende nehmen? Der Ton der Stimme war dabei unwillig, aber nicht hart oder beleidigend. Die Violine verstummte, ehe die Rede noch zu Ende war. Der Mann ging ins Haus zurück, das Giebelfenster schloß sich, und bald herrschte eine durch nichts unterbrochene Todtenstille um mich her. Ich trat, mühsam in den mir unbekannten Gassen mich zurechtfindend, den Heimweg an, wobei ich auch phantasirte, aber niemand störend, für mich, im Kopfe.</p><lb/> <p>Die Morgenstunden haben für mich immer einen eigenen Werth gehabt. Es ist, als ob es mir Bedürfniß wäre, durch die Beschäftigung mit etwas Erhebendem, Bedeutendem in den ersten Stunden des Tages mir den Rest desselben gewissermaßen zu heiligen. Ich kann mich daher nur schwer entschließen, am frühen Morgen mein Zimmer zu verlassen, und wenn ich ohne vollgültige Ursache mich einmal dazu nöthige, so habe ich für den übrigen Tag nur die Wahl zwischen gedankenloser Zerstreuung oder selbstquälerischem Trübsinn. So kam es, daß ich durch einige Tage den Besuch bei dem alten<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0022]
Obgleich es im Grunde allerdings ein Phantasiren war, für den Spieler nämlich, nur nicht auch für den Hörer.
Ich weiß nicht, wie lange das gedauert haben mochte und wie arg es geworden war, als plötzlich die Thüre des Hauses aufging, ein Mann, nur mit dem Hemde und lose eingeknöpftem Beinkleide angethan, von der Schwelle bis in die Mitte der Straße trat und zu dem Giebelfenster emporrief: Soll das heute einmal wieder gar kein Ende nehmen? Der Ton der Stimme war dabei unwillig, aber nicht hart oder beleidigend. Die Violine verstummte, ehe die Rede noch zu Ende war. Der Mann ging ins Haus zurück, das Giebelfenster schloß sich, und bald herrschte eine durch nichts unterbrochene Todtenstille um mich her. Ich trat, mühsam in den mir unbekannten Gassen mich zurechtfindend, den Heimweg an, wobei ich auch phantasirte, aber niemand störend, für mich, im Kopfe.
Die Morgenstunden haben für mich immer einen eigenen Werth gehabt. Es ist, als ob es mir Bedürfniß wäre, durch die Beschäftigung mit etwas Erhebendem, Bedeutendem in den ersten Stunden des Tages mir den Rest desselben gewissermaßen zu heiligen. Ich kann mich daher nur schwer entschließen, am frühen Morgen mein Zimmer zu verlassen, und wenn ich ohne vollgültige Ursache mich einmal dazu nöthige, so habe ich für den übrigen Tag nur die Wahl zwischen gedankenloser Zerstreuung oder selbstquälerischem Trübsinn. So kam es, daß ich durch einige Tage den Besuch bei dem alten
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Zitationshilfe: | Grillparzer, Franz: Der arme Spielmann. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–344. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grillparzer_spielmann_1910/22>, abgerufen am 16.02.2025. |