Grillparzer, Franz: Sappho. Trauerspiel in fünf Aufzügen. Wien, 1819.
Mit Augen, die den Boden ewig suchen, Mit Lippen, die von Kinderpossen tönen, Und leer der Busen, dessen arme Wellen Nur Lust zu spielen noch und Furcht vor Strafe Aus ihrer dumpfen Ruhe manchmahl weckt. Wie? oder meinem Aug' entging wohl jener Reiz, Der ihn so mächtig zieht in ihre Nähe? -- Melitta! -- Ja, ich will sie sehn! -- Melitta! -- Dritter Auftritt. Eucharis. Sappho. Eucharis. Befiehlst du hohe Frau? Sappho. Melitten rief ich. Wo ist sie? Eucharis. Wo? auf ihrer Kammer, denk' ich. Sappho. Sucht sie die Einsamkeit? -- Was macht sie dort? Eucharis. Ich weiß nicht. Aber seltsam ist ihr Wesen, Und fremd ihr Treiben schon den ganzen Tag. Des Morgens war sie still und stets in Thränen, Doch kurz nur erst traf ich sie heitern Blicks, Mit Linnen ganz beladen und mit Tüchern, Wie sie hinabging zu dem klaren Bache, Der kühl das Myrthenwäldchen dort durchströmt.
Mit Augen, die den Boden ewig ſuchen, Mit Lippen, die von Kinderpoſſen tönen, Und leer der Buſen, deſſen arme Wellen Nur Luſt zu ſpielen noch und Furcht vor Strafe Aus ihrer dumpfen Ruhe manchmahl weckt. Wie? oder meinem Aug' entging wohl jener Reiz, Der ihn ſo mächtig zieht in ihre Nähe? — Melitta! — Ja, ich will ſie ſehn! — Melitta! — Dritter Auftritt. Eucharis. Sappho. Eucharis. Befiehlſt du hohe Frau? Sappho. Melitten rief ich. Wo iſt ſie? Eucharis. Wo? auf ihrer Kammer, denk' ich. Sappho. Sucht ſie die Einſamkeit? — Was macht ſie dort? Eucharis. Ich weiß nicht. Aber ſeltſam iſt ihr Weſen, Und fremd ihr Treiben ſchon den ganzen Tag. Des Morgens war ſie ſtill und ſtets in Thränen, Doch kurz nur erſt traf ich ſie heitern Blicks, Mit Linnen ganz beladen und mit Tüchern, Wie ſie hinabging zu dem klaren Bache, Der kühl das Myrthenwäldchen dort durchſtrömt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#SAP"> <p><pb facs="#f0068" n="58"/> Mit Augen, die den Boden ewig ſuchen,<lb/> Mit Lippen, die von Kinderpoſſen tönen,<lb/> Und leer der Buſen, deſſen arme Wellen<lb/> Nur Luſt zu ſpielen noch und Furcht vor Strafe<lb/> Aus ihrer dumpfen Ruhe manchmahl weckt.<lb/> Wie? oder meinem Aug' entging wohl jener Reiz,<lb/> Der ihn ſo mächtig zieht in ihre Nähe? —<lb/> Melitta! — Ja, ich will ſie ſehn! — Melitta! —</p> </sp> </div><lb/> <div n="2"> <head><hi rendition="#g">Dritter Auftritt</hi>.</head><lb/> <stage><hi rendition="#g">Eucharis. Sappho</hi>.</stage><lb/> <sp who="#EUC"> <speaker><hi rendition="#g">Eucharis</hi>.</speaker><lb/> <p>Befiehlſt du hohe Frau?</p> </sp><lb/> <sp who="#SAP"> <speaker><hi rendition="#g">Sappho</hi>.</speaker><lb/> <p>Melitten rief ich.<lb/> Wo iſt ſie?</p> </sp><lb/> <sp who="#EUC"> <speaker><hi rendition="#g">Eucharis</hi>.</speaker><lb/> <p>Wo? auf ihrer Kammer, denk' ich.</p> </sp><lb/> <sp who="#SAP"> <speaker><hi rendition="#g">Sappho</hi>.</speaker><lb/> <p>Sucht ſie die Einſamkeit? — Was macht ſie dort?</p> </sp><lb/> <sp who="#EUC"> <speaker><hi rendition="#g">Eucharis</hi>.</speaker><lb/> <p>Ich weiß nicht. Aber ſeltſam iſt ihr Weſen,<lb/> Und fremd ihr Treiben ſchon den ganzen Tag.<lb/> Des Morgens war ſie ſtill und ſtets in Thränen,<lb/> Doch kurz nur erſt traf ich ſie heitern Blicks,<lb/> Mit Linnen ganz beladen und mit Tüchern,<lb/> Wie ſie hinabging zu dem klaren Bache,<lb/> Der kühl das Myrthenwäldchen dort durchſtrömt.</p> </sp><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [58/0068]
Mit Augen, die den Boden ewig ſuchen,
Mit Lippen, die von Kinderpoſſen tönen,
Und leer der Buſen, deſſen arme Wellen
Nur Luſt zu ſpielen noch und Furcht vor Strafe
Aus ihrer dumpfen Ruhe manchmahl weckt.
Wie? oder meinem Aug' entging wohl jener Reiz,
Der ihn ſo mächtig zieht in ihre Nähe? —
Melitta! — Ja, ich will ſie ſehn! — Melitta! —
Dritter Auftritt.
Eucharis. Sappho.
Eucharis.
Befiehlſt du hohe Frau?
Sappho.
Melitten rief ich.
Wo iſt ſie?
Eucharis.
Wo? auf ihrer Kammer, denk' ich.
Sappho.
Sucht ſie die Einſamkeit? — Was macht ſie dort?
Eucharis.
Ich weiß nicht. Aber ſeltſam iſt ihr Weſen,
Und fremd ihr Treiben ſchon den ganzen Tag.
Des Morgens war ſie ſtill und ſtets in Thränen,
Doch kurz nur erſt traf ich ſie heitern Blicks,
Mit Linnen ganz beladen und mit Tüchern,
Wie ſie hinabging zu dem klaren Bache,
Der kühl das Myrthenwäldchen dort durchſtrömt.
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