Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grillparzer, Franz: Sappho. Trauerspiel in fünf Aufzügen. Wien, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite
Mit lautem Jubel als sein Kleinod grüßte?
O Thörinn! Warum stieg ich von den Höhn,
Die Lorbeer krönt, wo Aganippe rauscht,
Mit Sternenklang sich Musenchöre gatten,
Hernieder in das engbegränzte Thal,
Wo Armuth herrscht und Treubruch und Verbrechen?
Dort oben war mein Platz, dort an den Wolken,
Hier ist kein Ort für mich, als nur das Grab.
Wen Götter sich zum Eigenthum erlesen,
Geselle sich zu Erdenbürgern nicht,
Der Menschen und der Ueberird'schen Loos,
Es mischt sich nimmer in demselben Becher.
Von beyden Welten Eine mußt du wählen,
Hast du gewählt, dann ist kein Rücktritt mehr;
Ein Biß nur in des Ruhmes goldne Frucht,
Proserpinens Granatenkernen gleich,
Reiht dich auf ewig zu den stillen Schatten
Und den Lebendigen gehörst du nimmer an!
Mag auch das Leben noch so lieblich blinken,
Mit holden Schmeichellauten zu dir tönen,
Als Freundschaft und als Liebe an dich locken:
Halt ein, Unsel'ger! Rosen willst du brechen
Und drückst dafür dir Dornen in die Brust! --

Ich will sie seh'n, die wundervolle Schönheit,
Die solchen Siegs sich über Sappho freut.
Was soll ich glauben? Lügt denn mein Gedächtniß,
Das, wenn ich's frage, mir ein albern Kind
Mit blöden Mienen vor die Sinne bringt?
Mit lautem Jubel als ſein Kleinod grüßte?
O Thörinn! Warum ſtieg ich von den Höhn,
Die Lorbeer krönt, wo Aganippe rauſcht,
Mit Sternenklang ſich Muſenchöre gatten,
Hernieder in das engbegränzte Thal,
Wo Armuth herrſcht und Treubruch und Verbrechen?
Dort oben war mein Platz, dort an den Wolken,
Hier iſt kein Ort für mich, als nur das Grab.
Wen Götter ſich zum Eigenthum erleſen,
Geſelle ſich zu Erdenbürgern nicht,
Der Menſchen und der Ueberird'ſchen Loos,
Es miſcht ſich nimmer in demſelben Becher.
Von beyden Welten Eine mußt du wählen,
Haſt du gewählt, dann iſt kein Rücktritt mehr;
Ein Biß nur in des Ruhmes goldne Frucht,
Proſerpinens Granatenkernen gleich,
Reiht dich auf ewig zu den ſtillen Schatten
Und den Lebendigen gehörſt du nimmer an!
Mag auch das Leben noch ſo lieblich blinken,
Mit holden Schmeichellauten zu dir tönen,
Als Freundſchaft und als Liebe an dich locken:
Halt ein, Unſel'ger! Roſen willſt du brechen
Und drückſt dafür dir Dornen in die Bruſt! —

Ich will ſie ſeh'n, die wundervolle Schönheit,
Die ſolchen Siegs ſich über Sappho freut.
Was ſoll ich glauben? Lügt denn mein Gedächtniß,
Das, wenn ich's frage, mir ein albern Kind
Mit blöden Mienen vor die Sinne bringt?
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <sp who="#SAP">
            <p><pb facs="#f0067" n="57"/>
Mit lautem Jubel als &#x017F;ein Kleinod grüßte?<lb/>
O Thörinn! Warum &#x017F;tieg ich von den Höhn,<lb/>
Die Lorbeer krönt, wo Aganippe rau&#x017F;cht,<lb/>
Mit Sternenklang &#x017F;ich Mu&#x017F;enchöre gatten,<lb/>
Hernieder in das engbegränzte Thal,<lb/>
Wo Armuth herr&#x017F;cht und Treubruch und Verbrechen?<lb/>
Dort oben war mein Platz, dort an den Wolken,<lb/>
Hier i&#x017F;t kein Ort für mich, als nur das Grab.<lb/>
Wen Götter &#x017F;ich zum Eigenthum erle&#x017F;en,<lb/>
Ge&#x017F;elle &#x017F;ich zu Erdenbürgern nicht,<lb/>
Der Men&#x017F;chen und der Ueberird'&#x017F;chen Loos,<lb/>
Es mi&#x017F;cht &#x017F;ich nimmer in dem&#x017F;elben Becher.<lb/>
Von beyden Welten Eine mußt du wählen,<lb/><hi rendition="#g">Ha&#x017F;t</hi> du gewählt, dann i&#x017F;t kein Rücktritt mehr;<lb/>
Ein Biß nur in des Ruhmes goldne Frucht,<lb/>
Pro&#x017F;erpinens Granatenkernen gleich,<lb/>
Reiht dich auf ewig zu den &#x017F;tillen Schatten<lb/>
Und den Lebendigen gehör&#x017F;t du nimmer an!<lb/>
Mag auch das Leben noch &#x017F;o lieblich blinken,<lb/>
Mit holden Schmeichellauten zu dir tönen,<lb/>
Als Freund&#x017F;chaft und als Liebe an dich locken:<lb/>
Halt ein, Un&#x017F;el'ger! Ro&#x017F;en will&#x017F;t du brechen<lb/>
Und drück&#x017F;t dafür dir Dornen in die Bru&#x017F;t! &#x2014;</p><lb/>
            <p>Ich will &#x017F;ie &#x017F;eh'n, die wundervolle Schönheit,<lb/>
Die &#x017F;olchen Siegs &#x017F;ich über Sappho freut.<lb/>
Was &#x017F;oll ich glauben? Lügt denn mein Gedächtniß,<lb/>
Das, wenn ich's frage, mir ein albern Kind<lb/>
Mit blöden Mienen vor die Sinne bringt?<lb/></p>
          </sp>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[57/0067] Mit lautem Jubel als ſein Kleinod grüßte? O Thörinn! Warum ſtieg ich von den Höhn, Die Lorbeer krönt, wo Aganippe rauſcht, Mit Sternenklang ſich Muſenchöre gatten, Hernieder in das engbegränzte Thal, Wo Armuth herrſcht und Treubruch und Verbrechen? Dort oben war mein Platz, dort an den Wolken, Hier iſt kein Ort für mich, als nur das Grab. Wen Götter ſich zum Eigenthum erleſen, Geſelle ſich zu Erdenbürgern nicht, Der Menſchen und der Ueberird'ſchen Loos, Es miſcht ſich nimmer in demſelben Becher. Von beyden Welten Eine mußt du wählen, Haſt du gewählt, dann iſt kein Rücktritt mehr; Ein Biß nur in des Ruhmes goldne Frucht, Proſerpinens Granatenkernen gleich, Reiht dich auf ewig zu den ſtillen Schatten Und den Lebendigen gehörſt du nimmer an! Mag auch das Leben noch ſo lieblich blinken, Mit holden Schmeichellauten zu dir tönen, Als Freundſchaft und als Liebe an dich locken: Halt ein, Unſel'ger! Roſen willſt du brechen Und drückſt dafür dir Dornen in die Bruſt! — Ich will ſie ſeh'n, die wundervolle Schönheit, Die ſolchen Siegs ſich über Sappho freut. Was ſoll ich glauben? Lügt denn mein Gedächtniß, Das, wenn ich's frage, mir ein albern Kind Mit blöden Mienen vor die Sinne bringt?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grillparzer_sappho_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grillparzer_sappho_1819/67
Zitationshilfe: Grillparzer, Franz: Sappho. Trauerspiel in fünf Aufzügen. Wien, 1819, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grillparzer_sappho_1819/67>, abgerufen am 25.11.2024.