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Grillparzer, Franz: Sappho. Trauerspiel in fünf Aufzügen. Wien, 1819.

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Am Halse hängt der neugebornen Liebe!
Er liebt, allein in seinem weiten Busen
Ist noch für and'res Raum als bloß für Liebe,
Und manches, was dem Weibe Frevel dünkt,
Erlaubt er sich als Scherz und freye Lust.
Ein Kuß, wo er ihm immer auch begegnet,
Stets glaubt er sich berechtigt ihn zu nehmen.
Wohl schlimm, daß es so ist, doch ist es so ! --

(sich umwendend und Phaon erblickend.)
Ha sieh, dort in des Rosenbusches Schatten --
Er ist es, ja, der liebliche Verräther! --
Er schläft, und Ruh' und stille Heiterkeit
Hat weich auf seine Stirne sich gelagert.
So athmet nur der Unschuld frommer Schlummer,
So hebt sich nur die unbelad'ne Brust.
Ja, Theurer, deinem Schlummer will ich glauben,
Was auch dein Wachen Schlimmes mir erzählt.
Verzeihe, wenn im ersten Augenblicke,
Geliebter! mit Verdacht ich dich gekränkt,
Wenn ich geglaubt, es könne niedre Falschheit
Den Eingang finden in so reinen Tempel!
Er lächelt -- seine Lippen öffnen sich --
Ein Nahme scheint in ihrem Hauch zu schweben.
Wach' auf, und nenne wachend deine Sappho,
Die dich umschlingt. Wach' auf!

(sie küßt ihn auf die Stirne. Phaon erwacht, öffnet
die Arme und spricht mit halbgeschlossenen Augen.)

Melitta!

Am Halſe hängt der neugebornen Liebe!
Er liebt, allein in ſeinem weiten Buſen
Iſt noch für and'res Raum als bloß für Liebe,
Und manches, was dem Weibe Frevel dünkt,
Erlaubt er ſich als Scherz und freye Luſt.
Ein Kuß, wo er ihm immer auch begegnet,
Stets glaubt er ſich berechtigt ihn zu nehmen.
Wohl ſchlimm, daß es ſo iſt, doch iſt es ſo ! —

(ſich umwendend und Phaon erblickend.)
Ha ſieh, dort in des Roſenbuſches Schatten —
Er iſt es, ja, der liebliche Verräther! —
Er ſchläft, und Ruh' und ſtille Heiterkeit
Hat weich auf ſeine Stirne ſich gelagert.
So athmet nur der Unſchuld frommer Schlummer,
So hebt ſich nur die unbelad'ne Bruſt.
Ja, Theurer, deinem Schlummer will ich glauben,
Was auch dein Wachen Schlimmes mir erzählt.
Verzeihe, wenn im erſten Augenblicke,
Geliebter! mit Verdacht ich dich gekränkt,
Wenn ich geglaubt, es könne niedre Falſchheit
Den Eingang finden in ſo reinen Tempel!
Er lächelt — ſeine Lippen öffnen ſich —
Ein Nahme ſcheint in ihrem Hauch zu ſchweben.
Wach' auf, und nenne wachend deine Sappho,
Die dich umſchlingt. Wach' auf!

(ſie küßt ihn auf die Stirne. Phaon erwacht, öffnet
die Arme und ſpricht mit halbgeſchloſſenen Augen.)

Melitta!

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[52/0062] Am Halſe hängt der neugebornen Liebe! Er liebt, allein in ſeinem weiten Buſen Iſt noch für and'res Raum als bloß für Liebe, Und manches, was dem Weibe Frevel dünkt, Erlaubt er ſich als Scherz und freye Luſt. Ein Kuß, wo er ihm immer auch begegnet, Stets glaubt er ſich berechtigt ihn zu nehmen. Wohl ſchlimm, daß es ſo iſt, doch iſt es ſo ! — (ſich umwendend und Phaon erblickend.) Ha ſieh, dort in des Roſenbuſches Schatten — Er iſt es, ja, der liebliche Verräther! — Er ſchläft, und Ruh' und ſtille Heiterkeit Hat weich auf ſeine Stirne ſich gelagert. So athmet nur der Unſchuld frommer Schlummer, So hebt ſich nur die unbelad'ne Bruſt. Ja, Theurer, deinem Schlummer will ich glauben, Was auch dein Wachen Schlimmes mir erzählt. Verzeihe, wenn im erſten Augenblicke, Geliebter! mit Verdacht ich dich gekränkt, Wenn ich geglaubt, es könne niedre Falſchheit Den Eingang finden in ſo reinen Tempel! Er lächelt — ſeine Lippen öffnen ſich — Ein Nahme ſcheint in ihrem Hauch zu ſchweben. Wach' auf, und nenne wachend deine Sappho, Die dich umſchlingt. Wach' auf! (ſie küßt ihn auf die Stirne. Phaon erwacht, öffnet die Arme und ſpricht mit halbgeſchloſſenen Augen.) Melitta!

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Zitationshilfe: Grillparzer, Franz: Sappho. Trauerspiel in fünf Aufzügen. Wien, 1819, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grillparzer_sappho_1819/62>, abgerufen am 25.11.2024.