Grillparzer, Franz: Sappho. Trauerspiel in fünf Aufzügen. Wien, 1819. Phaon. Liebkoste dir, Nicht so? (sie bey der Hand ergreifend.) Melitta (leise.) Ich war ein Kind. Phaon. Ich weiß es wohl! Ein süßes, liebes, unbefangnes Kind! (ihre Hand loslassend.) Nur weiter! Melitta. So ging alles schön und gut. Doch einst erwacht' ich Nachts. Ein wild Geschrey Drang laut von allen Seiten in mein Ohr. Die Wärt'rinn naht, man rafft mich auf Und trägt mich in die wilde Nacht hinaus. Da sah ich ringsherum die Hütten flammen, Und Männer fechten, Männer flieh'n und fallen. Jetzt naht ein Wüthrich, streckt die Hand nach mir, Nun war Geheul, Gejammer, Schlachtgeschrey; Ich fand mich erst auf einem Schiffe wieder, Das pfeilschnell durch die dunkeln Wogen glitt. Noch andre Mädchen, Kinder sah' ich weinen, Doch immer kleiner ward der Armen Zahl, Je weiter wir uns von der Heimath trennten. Gar viele Tag' und Nächte fuhren wir, Ja Monden wohl. Zuletzt war ich allein Phaon. Liebkoſte dir, Nicht ſo? (ſie bey der Hand ergreifend.) Melitta (leiſe.) Ich war ein Kind. Phaon. Ich weiß es wohl! Ein ſüßes, liebes, unbefangnes Kind! (ihre Hand loslaſſend.) Nur weiter! Melitta. So ging alles ſchön und gut. Doch einſt erwacht' ich Nachts. Ein wild Geſchrey Drang laut von allen Seiten in mein Ohr. Die Wärt'rinn naht, man rafft mich auf Und trägt mich in die wilde Nacht hinaus. Da ſah ich ringsherum die Hütten flammen, Und Männer fechten, Männer flieh'n und fallen. Jetzt naht ein Wüthrich, ſtreckt die Hand nach mir, Nun war Geheul, Gejammer, Schlachtgeſchrey; Ich fand mich erſt auf einem Schiffe wieder, Das pfeilſchnell durch die dunkeln Wogen glitt. Noch andre Mädchen, Kinder ſah' ich weinen, Doch immer kleiner ward der Armen Zahl, Je weiter wir uns von der Heimath trennten. Gar viele Tag' und Nächte fuhren wir, Ja Monden wohl. Zuletzt war ich allein <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0047" n="37"/> <sp who="#PHA"> <speaker><hi rendition="#g">Phaon</hi>.</speaker><lb/> <p>Liebkoſte dir,<lb/> Nicht ſo?</p><lb/> <stage>(ſie bey der Hand ergreifend.)</stage> </sp><lb/> <sp who="#MEL"> <speaker> <hi rendition="#g">Melitta</hi> </speaker> <stage>(leiſe.)</stage><lb/> <p>Ich war ein Kind.</p> </sp><lb/> <sp who="#PHA"> <speaker><hi rendition="#g">Phaon</hi>.</speaker><lb/> <p>Ich weiß es wohl!<lb/> Ein ſüßes, liebes, unbefangnes Kind!</p><lb/> <stage>(ihre Hand loslaſſend.)</stage><lb/> <p>Nur weiter!</p> </sp><lb/> <sp who="#MEL"> <speaker><hi rendition="#g">Melitta</hi>.</speaker><lb/> <p>So ging alles ſchön und gut.<lb/> Doch einſt erwacht' ich Nachts. Ein wild Geſchrey<lb/> Drang laut von allen Seiten in mein Ohr.<lb/> Die Wärt'rinn naht, man rafft mich auf<lb/> Und trägt mich in die wilde Nacht hinaus.<lb/> Da ſah ich ringsherum die Hütten flammen,<lb/> Und Männer fechten, Männer flieh'n und fallen.<lb/> Jetzt naht ein Wüthrich, ſtreckt die Hand nach mir,<lb/> Nun war Geheul, Gejammer, Schlachtgeſchrey;<lb/> Ich fand mich erſt auf einem Schiffe wieder,<lb/> Das pfeilſchnell durch die dunkeln Wogen glitt.<lb/> Noch andre Mädchen, Kinder ſah' ich weinen,<lb/> Doch immer kleiner ward der Armen Zahl,<lb/> Je weiter wir uns von der Heimath trennten.<lb/> Gar viele Tag' und Nächte fuhren wir,<lb/> Ja Monden wohl. Zuletzt war ich allein<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [37/0047]
Phaon.
Liebkoſte dir,
Nicht ſo?
(ſie bey der Hand ergreifend.)
Melitta (leiſe.)
Ich war ein Kind.
Phaon.
Ich weiß es wohl!
Ein ſüßes, liebes, unbefangnes Kind!
(ihre Hand loslaſſend.)
Nur weiter!
Melitta.
So ging alles ſchön und gut.
Doch einſt erwacht' ich Nachts. Ein wild Geſchrey
Drang laut von allen Seiten in mein Ohr.
Die Wärt'rinn naht, man rafft mich auf
Und trägt mich in die wilde Nacht hinaus.
Da ſah ich ringsherum die Hütten flammen,
Und Männer fechten, Männer flieh'n und fallen.
Jetzt naht ein Wüthrich, ſtreckt die Hand nach mir,
Nun war Geheul, Gejammer, Schlachtgeſchrey;
Ich fand mich erſt auf einem Schiffe wieder,
Das pfeilſchnell durch die dunkeln Wogen glitt.
Noch andre Mädchen, Kinder ſah' ich weinen,
Doch immer kleiner ward der Armen Zahl,
Je weiter wir uns von der Heimath trennten.
Gar viele Tag' und Nächte fuhren wir,
Ja Monden wohl. Zuletzt war ich allein
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