Grillparzer, Franz: Sappho. Trauerspiel in fünf Aufzügen. Wien, 1819.
Von Andromedens und von Atthis Spielen, Wie lauschte Jedes, seinen Athemzug, Der lusterfüllt den Busen höher schwellte, Ob allzulauter Störung still verklagend. Dann legte wohl die sinnige Theano Das Haupt zurück an ihres Stuhles Lehne, Und in der Hütte räumig Dunkel blickend Sprach sie: wie mag sie ausseh'n wohl, die Hohe? Mir dünkt, ich sehe sie! Bey allen Göttern, Aus tausend Frauen wollt' ich sie erkennen! Da war der Zunge Fessel schnell gelöst, Und Jedes quälte seine Phantasie, Mit einem neuen Reize dich zu schmücken. Der gab dir Pallas Aug, der Here's Arm, Der Aphroditens reizdurchwirkten Gürtel; Nur ich stand schweigend auf und ging hinaus In's einsam stille Reich der heil'gen Nacht. Dort, an den Pulsen der süß schlummernden Natur, In ihres Zaubers magisch-mächt'gen Kreisen, Da breitet' ich die Arme nach dir aus; Und wenn mir dann der Wolken Flocken-Schnee, Des Zephyrs lauer Hauch, der Berge Duft, Des bleichen Mondes silberweißes Licht In eins verschmolzen um die Stirne floß, Dann warst du mein, dann fühlt' ich deine Nähe, Und Sappho's Bild schwamm in den lichten Wol- ken!
Von Andromedens und von Atthis Spielen, Wie lauſchte Jedes, ſeinen Athemzug, Der luſterfüllt den Buſen höher ſchwellte, Ob allzulauter Störung ſtill verklagend. Dann legte wohl die ſinnige Theano Das Haupt zurück an ihres Stuhles Lehne, Und in der Hütte räumig Dunkel blickend Sprach ſie: wie mag ſie ausſeh'n wohl, die Hohe? Mir dünkt, ich ſehe ſie! Bey allen Göttern, Aus tauſend Frauen wollt' ich ſie erkennen! Da war der Zunge Feſſel ſchnell gelöſt, Und Jedes quälte ſeine Phantaſie, Mit einem neuen Reize dich zu ſchmücken. Der gab dir Pallas Aug, der Here's Arm, Der Aphroditens reizdurchwirkten Gürtel; Nur ich ſtand ſchweigend auf und ging hinaus In's einſam ſtille Reich der heil'gen Nacht. Dort, an den Pulſen der ſüß ſchlummernden Natur, In ihres Zaubers magiſch-mächt'gen Kreiſen, Da breitet' ich die Arme nach dir aus; Und wenn mir dann der Wolken Flocken-Schnee, Des Zephyrs lauer Hauch, der Berge Duft, Des bleichen Mondes ſilberweißes Licht In eins verſchmolzen um die Stirne floß, Dann warſt du mein, dann fühlt' ich deine Nähe, Und Sappho's Bild ſchwamm in den lichten Wol- ken! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#PHA"> <p><pb facs="#f0023" n="13"/> Von Andromedens und von Atthis Spielen,<lb/> Wie lauſchte Jedes, ſeinen Athemzug,<lb/> Der luſterfüllt den Buſen höher ſchwellte,<lb/> Ob allzulauter Störung ſtill verklagend.<lb/> Dann legte wohl die ſinnige Theano<lb/> Das Haupt zurück an ihres Stuhles Lehne,<lb/> Und in der Hütte räumig Dunkel blickend<lb/> Sprach ſie: wie mag ſie ausſeh'n wohl, die Hohe?<lb/> Mir dünkt, ich ſehe ſie! Bey allen Göttern,<lb/> Aus tauſend Frauen wollt' ich ſie erkennen!<lb/> Da war der Zunge Feſſel ſchnell gelöſt,<lb/> Und Jedes quälte ſeine Phantaſie,<lb/> Mit einem neuen Reize dich zu ſchmücken.<lb/> Der gab dir Pallas Aug, der Here's Arm,<lb/> Der Aphroditens reizdurchwirkten Gürtel;<lb/> Nur ich ſtand ſchweigend auf und ging hinaus<lb/> In's einſam ſtille Reich der heil'gen Nacht.<lb/> Dort, an den Pulſen der ſüß ſchlummernden<lb/> Natur,<lb/> In ihres Zaubers magiſch-mächt'gen Kreiſen,<lb/> Da breitet' ich die Arme nach dir aus;<lb/> Und wenn mir dann der Wolken Flocken-Schnee,<lb/> Des Zephyrs lauer Hauch, der Berge Duft,<lb/> Des bleichen Mondes ſilberweißes Licht<lb/> In eins verſchmolzen um die Stirne floß,<lb/> Dann warſt du mein, dann fühlt' ich deine Nähe,<lb/> Und Sappho's Bild ſchwamm in den lichten Wol-<lb/> ken!</p> </sp><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [13/0023]
Von Andromedens und von Atthis Spielen,
Wie lauſchte Jedes, ſeinen Athemzug,
Der luſterfüllt den Buſen höher ſchwellte,
Ob allzulauter Störung ſtill verklagend.
Dann legte wohl die ſinnige Theano
Das Haupt zurück an ihres Stuhles Lehne,
Und in der Hütte räumig Dunkel blickend
Sprach ſie: wie mag ſie ausſeh'n wohl, die Hohe?
Mir dünkt, ich ſehe ſie! Bey allen Göttern,
Aus tauſend Frauen wollt' ich ſie erkennen!
Da war der Zunge Feſſel ſchnell gelöſt,
Und Jedes quälte ſeine Phantaſie,
Mit einem neuen Reize dich zu ſchmücken.
Der gab dir Pallas Aug, der Here's Arm,
Der Aphroditens reizdurchwirkten Gürtel;
Nur ich ſtand ſchweigend auf und ging hinaus
In's einſam ſtille Reich der heil'gen Nacht.
Dort, an den Pulſen der ſüß ſchlummernden
Natur,
In ihres Zaubers magiſch-mächt'gen Kreiſen,
Da breitet' ich die Arme nach dir aus;
Und wenn mir dann der Wolken Flocken-Schnee,
Des Zephyrs lauer Hauch, der Berge Duft,
Des bleichen Mondes ſilberweißes Licht
In eins verſchmolzen um die Stirne floß,
Dann warſt du mein, dann fühlt' ich deine Nähe,
Und Sappho's Bild ſchwamm in den lichten Wol-
ken!
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Zitationshilfe: | Grillparzer, Franz: Sappho. Trauerspiel in fünf Aufzügen. Wien, 1819, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grillparzer_sappho_1819/23>, abgerufen am 16.02.2025. |