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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

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Gesichtshallucinationen.
tasie und der höchste Inhalt des menschlichen Gemüths findet am
liebsten in selbsterzeugten Bildern seine Bestätigung. Bei Geistes-
kranken sind Stimmen vom Himmel, bald Menschenopfer heischend,
bald messianische Sendungen dem armen Wahnsinnigen verkündend,
ausserordentlich häufig; ihr näherer Inhalt wechselt nach der Bildungs-
stufe, und es kommt hier viel darauf an, ob sich der Mensch früher
mehr an die Apocalypse oder an Tiedges Urania, an Byrons Engel
oder an Eschenmaiers Teufel hielt. Im Allgemeinen ist unser Jahr-
hundert der Anerkennung einer Realität der geisteskranken Visionen
von Seiten Anderer nicht günstig; doch kam noch in unsern Zeiten
(1816) der Fall vor, dass ein Hallucinant nicht nur bei der Volks-
masse für einen Inspirirten galt, sondern sogar von einem Erzbischoff
und einem Polizeiminister für einen göttlichen Gesandten gehalten
wurde, und als solcher mit einem König (Louis XVIII.) über Staats-
angelegenheiten conferirte.

S. die Geschichte des Bauern Martin, bei Leuret. l. c. p. 171. Während
er sein Feld düngte, erschien ihm eine Gestalt, die ihn aufforderte, den König
von Gefahren für seine Person, von Staatscomplotten u. dergl. zu unterrichten.
Pinel erklärte, nachdem die Sache in Paris das grösste Aufsehen gemacht, Martin
leide an intermittirender Manie mit Hallucinationen; er ward nach Charenton ge-
bracht; aber auch dort fand er Gläubige, und sogar unter den Aerzten! --

Wir geben im Folgenden weitere Beispiele von Hallucinationen und Illusionen
der Irren nach den einzelnen Sinnen. *)

§. 51.

Gesichtssinn. Die einfachsten Fälle sind die, wo die Kran-
ken Feuer- oder Lichtmassen sehen. Je nach Umständen, nach der
schon gegebenen Richtung der Vorstellungen wird diese Erscheinung
verschieden ausgelegt; Einige glauben sich im Himmel und sehen die
Herrlichkeit Gottes leuchtend geoffenbart, Andere wähnen sich von
den Flammen der Hölle umgeben. Ein Mädchen sah während ihrer
Menstruation ihr elterliches Haus (wirklich) abbrennen; sie wird als-
bald rasend, will sich in das Feuer stürzen, erkennt Niemanden mehr
und glaubt selbst zu brennen. Ins Krankenhaus gebracht, erfüllt sie
dieses mit entsetzlichem Feuergeschrei, indem sie selbst Flammen-
qualen zu erleiden und ihre Eltern diesen preisgegeben glaubt. Sie
raste und tobte fort, und schrie beständig: "Seht, wie Alles brennt;
alle Stadtspritzen können das Feuer nicht löschen, das uns Alle

*) Vgl. hierzu besonders die Schriften von Esquirol, Hagen, Leuret
Sinogowitz
.

Gesichtshallucinationen.
tasie und der höchste Inhalt des menschlichen Gemüths findet am
liebsten in selbsterzeugten Bildern seine Bestätigung. Bei Geistes-
kranken sind Stimmen vom Himmel, bald Menschenopfer heischend,
bald messianische Sendungen dem armen Wahnsinnigen verkündend,
ausserordentlich häufig; ihr näherer Inhalt wechselt nach der Bildungs-
stufe, und es kommt hier viel darauf an, ob sich der Mensch früher
mehr an die Apocalypse oder an Tiedges Urania, an Byrons Engel
oder an Eschenmaiers Teufel hielt. Im Allgemeinen ist unser Jahr-
hundert der Anerkennung einer Realität der geisteskranken Visionen
von Seiten Anderer nicht günstig; doch kam noch in unsern Zeiten
(1816) der Fall vor, dass ein Hallucinant nicht nur bei der Volks-
masse für einen Inspirirten galt, sondern sogar von einem Erzbischoff
und einem Polizeiminister für einen göttlichen Gesandten gehalten
wurde, und als solcher mit einem König (Louis XVIII.) über Staats-
angelegenheiten conferirte.

S. die Geschichte des Bauern Martin, bei Leuret. l. c. p. 171. Während
er sein Feld düngte, erschien ihm eine Gestalt, die ihn aufforderte, den König
von Gefahren für seine Person, von Staatscomplotten u. dergl. zu unterrichten.
Pinel erklärte, nachdem die Sache in Paris das grösste Aufsehen gemacht, Martin
leide an intermittirender Manie mit Hallucinationen; er ward nach Charenton ge-
bracht; aber auch dort fand er Gläubige, und sogar unter den Aerzten! —

Wir geben im Folgenden weitere Beispiele von Hallucinationen und Illusionen
der Irren nach den einzelnen Sinnen. *)

§. 51.

Gesichtssinn. Die einfachsten Fälle sind die, wo die Kran-
ken Feuer- oder Lichtmassen sehen. Je nach Umständen, nach der
schon gegebenen Richtung der Vorstellungen wird diese Erscheinung
verschieden ausgelegt; Einige glauben sich im Himmel und sehen die
Herrlichkeit Gottes leuchtend geoffenbart, Andere wähnen sich von
den Flammen der Hölle umgeben. Ein Mädchen sah während ihrer
Menstruation ihr elterliches Haus (wirklich) abbrennen; sie wird als-
bald rasend, will sich in das Feuer stürzen, erkennt Niemanden mehr
und glaubt selbst zu brennen. Ins Krankenhaus gebracht, erfüllt sie
dieses mit entsetzlichem Feuergeschrei, indem sie selbst Flammen-
qualen zu erleiden und ihre Eltern diesen preisgegeben glaubt. Sie
raste und tobte fort, und schrie beständig: „Seht, wie Alles brennt;
alle Stadtspritzen können das Feuer nicht löschen, das uns Alle

*) Vgl. hierzu besonders die Schriften von Esquirol, Hagen, Leuret
Sinogowitz
.
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[80/0094] Gesichtshallucinationen. tasie und der höchste Inhalt des menschlichen Gemüths findet am liebsten in selbsterzeugten Bildern seine Bestätigung. Bei Geistes- kranken sind Stimmen vom Himmel, bald Menschenopfer heischend, bald messianische Sendungen dem armen Wahnsinnigen verkündend, ausserordentlich häufig; ihr näherer Inhalt wechselt nach der Bildungs- stufe, und es kommt hier viel darauf an, ob sich der Mensch früher mehr an die Apocalypse oder an Tiedges Urania, an Byrons Engel oder an Eschenmaiers Teufel hielt. Im Allgemeinen ist unser Jahr- hundert der Anerkennung einer Realität der geisteskranken Visionen von Seiten Anderer nicht günstig; doch kam noch in unsern Zeiten (1816) der Fall vor, dass ein Hallucinant nicht nur bei der Volks- masse für einen Inspirirten galt, sondern sogar von einem Erzbischoff und einem Polizeiminister für einen göttlichen Gesandten gehalten wurde, und als solcher mit einem König (Louis XVIII.) über Staats- angelegenheiten conferirte. S. die Geschichte des Bauern Martin, bei Leuret. l. c. p. 171. Während er sein Feld düngte, erschien ihm eine Gestalt, die ihn aufforderte, den König von Gefahren für seine Person, von Staatscomplotten u. dergl. zu unterrichten. Pinel erklärte, nachdem die Sache in Paris das grösste Aufsehen gemacht, Martin leide an intermittirender Manie mit Hallucinationen; er ward nach Charenton ge- bracht; aber auch dort fand er Gläubige, und sogar unter den Aerzten! — Wir geben im Folgenden weitere Beispiele von Hallucinationen und Illusionen der Irren nach den einzelnen Sinnen. *) §. 51. Gesichtssinn. Die einfachsten Fälle sind die, wo die Kran- ken Feuer- oder Lichtmassen sehen. Je nach Umständen, nach der schon gegebenen Richtung der Vorstellungen wird diese Erscheinung verschieden ausgelegt; Einige glauben sich im Himmel und sehen die Herrlichkeit Gottes leuchtend geoffenbart, Andere wähnen sich von den Flammen der Hölle umgeben. Ein Mädchen sah während ihrer Menstruation ihr elterliches Haus (wirklich) abbrennen; sie wird als- bald rasend, will sich in das Feuer stürzen, erkennt Niemanden mehr und glaubt selbst zu brennen. Ins Krankenhaus gebracht, erfüllt sie dieses mit entsetzlichem Feuergeschrei, indem sie selbst Flammen- qualen zu erleiden und ihre Eltern diesen preisgegeben glaubt. Sie raste und tobte fort, und schrie beständig: „Seht, wie Alles brennt; alle Stadtspritzen können das Feuer nicht löschen, das uns Alle *) Vgl. hierzu besonders die Schriften von Esquirol, Hagen, Leuret Sinogowitz.

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Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/94>, abgerufen am 23.11.2024.