Ein Südländer, im kräftigsten Alter und vollkommen gesund, besuchte eines Tages einen Nachbar. Als er zur Eingangsthüre hereingetreten war, schlüpfte die Gestalt einer weissgekleideten Frau an ihm vorüber; sogleich darauf eine zweite und dieser folgte eine dritte. Als er mit der Hand nach dieser griff, ver- schwand sie. -- Kurz darauf gieng der Mann durch einen Park; er sah hier mehre Esel weiden; er wollte einem davon auf den Rücken klopfen, und war sehr bestürzt, nichts zu erfassen. Sie zeigten sich noch vor seinen Augen und er wiederholte mehrmals vergeblich den Versuch, sie zu berühren.
Folgender Fall bietet ein vortreffliches Beispiel zahlreicher Hallucinationen und Illusionen einer Geisteskranken und zeigt sehr schön die Entstehungs- weise der falschen Vorstellungen aus ihnen (Bergmann, Bemerkungen einer irre gewesenen Person über ihren geisteskranken Zustand. Friedreichs Archiv für Psychologie. 1834. Heft I. p. 15 seqq.). Die Kranke erzählt selbst:
Einmal war ein Gewitter. "Wie war das Unwetter aber so verschieden von allen, die ich vor- und nachher gesehen habe! Die heraufsteigenden Wolken schienen mir Meereswogen zu sein, die von Schevelingen aus dem Meere herauf bis an die Wolken sich erhoben und oben in den Lüften mit einander kriegten, während eine feindliche Flotte am Ufer mit den Einwohnern einen Kampf auf Tod und Leben begann, denn diess war der entscheidende Moment für Hollands Wohlfahrt, die mir schon ganz zerstört schien. Ich hörte keine Donner, sah keine Blitze, sondern förmliche Feuerschlünde sich öffnen und laute Canonaden auf einander folgen etc. -- Als ich später meine Wäsche und Kleider aus dem Koffer leerte, sah ich deren eine ausserordentliche Menge und auch ein Tisch- gedeck, das doch in C. zurückgeblieben war. Als nun am andern Tage viele Sachen fehlten, die ich mir einbildete, in den Händen gehabt zu haben, glaubte ich bestohlen zu sein etc. Eines Abends lag ich im Bett und schaute wachend immer nach meiner Aufwärterin, dem vermeintlichen Gespenste; da fieng das Talglicht sehr stark zu laufen an, ich sah den Talg jedoch nicht von dem Lichte, sondern aus einem Loche in der Wand laufen, und zwar in solcher Menge, wie ein durchbrechender Strom, wesshalb ich denn mit Geschrei behauptete, man wolle mich ersticken. Hierauf fiel ich in den Wahn, dass man die Luft ver- giften wolle, und von dem Augenblicke an hatte ich in der Nase einen süsslich- widrigen Geruch, allen Speisen schmeckte ichs an und bildete mir ein, das Fleisch, welches man brachte, sei Menschenfleisch etc. Die Gebäude, welche ich aus meinem Zimmer sehen konnte, zeigten mir eine kleine irdene Rauch- pfeife, welche oben aus dem Schornsteine ganz sichtbar hervorragte, und daher in mir die schreckliche Ide erzeugte, es sei diese Pfeifenröhre das einzige Luft- loch, wesshalb alle Menschen, welche hineingiengen, von mir so angesehen wur- den, als wolle man sie darin ersticken," u. dergl. m.
§. 49.
Was die näheren Umstände betrifft, unter denen die Hallu- cinationen vorkommen, so sind hier besonders folgende Momente zu berücksichtigen.
1) Oertliche Krankheiten des betreffenden Sinnorgans können zur Quelle von Sinnesdelirien werden; es ist daher in dieser Beziehung stets eine genaue Untersuchung des Kranken nothwendig.
Beispiele von Hallucinationen.
Ein Südländer, im kräftigsten Alter und vollkommen gesund, besuchte eines Tages einen Nachbar. Als er zur Eingangsthüre hereingetreten war, schlüpfte die Gestalt einer weissgekleideten Frau an ihm vorüber; sogleich darauf eine zweite und dieser folgte eine dritte. Als er mit der Hand nach dieser griff, ver- schwand sie. — Kurz darauf gieng der Mann durch einen Park; er sah hier mehre Esel weiden; er wollte einem davon auf den Rücken klopfen, und war sehr bestürzt, nichts zu erfassen. Sie zeigten sich noch vor seinen Augen und er wiederholte mehrmals vergeblich den Versuch, sie zu berühren.
Folgender Fall bietet ein vortreffliches Beispiel zahlreicher Hallucinationen und Illusionen einer Geisteskranken und zeigt sehr schön die Entstehungs- weise der falschen Vorstellungen aus ihnen (Bergmann, Bemerkungen einer irre gewesenen Person über ihren geisteskranken Zustand. Friedreichs Archiv für Psychologie. 1834. Heft I. p. 15 seqq.). Die Kranke erzählt selbst:
Einmal war ein Gewitter. „Wie war das Unwetter aber so verschieden von allen, die ich vor- und nachher gesehen habe! Die heraufsteigenden Wolken schienen mir Meereswogen zu sein, die von Schevelingen aus dem Meere herauf bis an die Wolken sich erhoben und oben in den Lüften mit einander kriegten, während eine feindliche Flotte am Ufer mit den Einwohnern einen Kampf auf Tod und Leben begann, denn diess war der entscheidende Moment für Hollands Wohlfahrt, die mir schon ganz zerstört schien. Ich hörte keine Donner, sah keine Blitze, sondern förmliche Feuerschlünde sich öffnen und laute Canonaden auf einander folgen etc. — Als ich später meine Wäsche und Kleider aus dem Koffer leerte, sah ich deren eine ausserordentliche Menge und auch ein Tisch- gedeck, das doch in C. zurückgeblieben war. Als nun am andern Tage viele Sachen fehlten, die ich mir einbildete, in den Händen gehabt zu haben, glaubte ich bestohlen zu sein etc. Eines Abends lag ich im Bett und schaute wachend immer nach meiner Aufwärterin, dem vermeintlichen Gespenste; da fieng das Talglicht sehr stark zu laufen an, ich sah den Talg jedoch nicht von dem Lichte, sondern aus einem Loche in der Wand laufen, und zwar in solcher Menge, wie ein durchbrechender Strom, wesshalb ich denn mit Geschrei behauptete, man wolle mich ersticken. Hierauf fiel ich in den Wahn, dass man die Luft ver- giften wolle, und von dem Augenblicke an hatte ich in der Nase einen süsslich- widrigen Geruch, allen Speisen schmeckte ichs an und bildete mir ein, das Fleisch, welches man brachte, sei Menschenfleisch etc. Die Gebäude, welche ich aus meinem Zimmer sehen konnte, zeigten mir eine kleine irdene Rauch- pfeife, welche oben aus dem Schornsteine ganz sichtbar hervorragte, und daher in mir die schreckliche Ide erzeugte, es sei diese Pfeifenröhre das einzige Luft- loch, wesshalb alle Menschen, welche hineingiengen, von mir so angesehen wur- den, als wolle man sie darin ersticken,“ u. dergl. m.
§. 49.
Was die näheren Umstände betrifft, unter denen die Hallu- cinationen vorkommen, so sind hier besonders folgende Momente zu berücksichtigen.
1) Oertliche Krankheiten des betreffenden Sinnorgans können zur Quelle von Sinnesdelirien werden; es ist daher in dieser Beziehung stets eine genaue Untersuchung des Kranken nothwendig.
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Beispiele von Hallucinationen.
Ein Südländer, im kräftigsten Alter und vollkommen gesund, besuchte eines
Tages einen Nachbar. Als er zur Eingangsthüre hereingetreten war, schlüpfte
die Gestalt einer weissgekleideten Frau an ihm vorüber; sogleich darauf eine
zweite und dieser folgte eine dritte. Als er mit der Hand nach dieser griff, ver-
schwand sie. — Kurz darauf gieng der Mann durch einen Park; er sah hier
mehre Esel weiden; er wollte einem davon auf den Rücken klopfen, und war sehr
bestürzt, nichts zu erfassen. Sie zeigten sich noch vor seinen Augen und er
wiederholte mehrmals vergeblich den Versuch, sie zu berühren.
Folgender Fall bietet ein vortreffliches Beispiel zahlreicher Hallucinationen
und Illusionen einer Geisteskranken und zeigt sehr schön die Entstehungs-
weise der falschen Vorstellungen aus ihnen (Bergmann, Bemerkungen einer irre
gewesenen Person über ihren geisteskranken Zustand. Friedreichs Archiv für
Psychologie. 1834. Heft I. p. 15 seqq.). Die Kranke erzählt selbst:
Einmal war ein Gewitter. „Wie war das Unwetter aber so verschieden von
allen, die ich vor- und nachher gesehen habe! Die heraufsteigenden Wolken
schienen mir Meereswogen zu sein, die von Schevelingen aus dem Meere herauf
bis an die Wolken sich erhoben und oben in den Lüften mit einander kriegten,
während eine feindliche Flotte am Ufer mit den Einwohnern einen Kampf auf
Tod und Leben begann, denn diess war der entscheidende Moment für Hollands
Wohlfahrt, die mir schon ganz zerstört schien. Ich hörte keine Donner, sah
keine Blitze, sondern förmliche Feuerschlünde sich öffnen und laute Canonaden
auf einander folgen etc. — Als ich später meine Wäsche und Kleider aus dem
Koffer leerte, sah ich deren eine ausserordentliche Menge und auch ein Tisch-
gedeck, das doch in C. zurückgeblieben war. Als nun am andern Tage viele
Sachen fehlten, die ich mir einbildete, in den Händen gehabt zu haben, glaubte
ich bestohlen zu sein etc. Eines Abends lag ich im Bett und schaute wachend
immer nach meiner Aufwärterin, dem vermeintlichen Gespenste; da fieng das
Talglicht sehr stark zu laufen an, ich sah den Talg jedoch nicht von dem Lichte,
sondern aus einem Loche in der Wand laufen, und zwar in solcher Menge, wie
ein durchbrechender Strom, wesshalb ich denn mit Geschrei behauptete, man
wolle mich ersticken. Hierauf fiel ich in den Wahn, dass man die Luft ver-
giften wolle, und von dem Augenblicke an hatte ich in der Nase einen süsslich-
widrigen Geruch, allen Speisen schmeckte ichs an und bildete mir ein, das
Fleisch, welches man brachte, sei Menschenfleisch etc. Die Gebäude, welche
ich aus meinem Zimmer sehen konnte, zeigten mir eine kleine irdene Rauch-
pfeife, welche oben aus dem Schornsteine ganz sichtbar hervorragte, und daher
in mir die schreckliche Ide erzeugte, es sei diese Pfeifenröhre das einzige Luft-
loch, wesshalb alle Menschen, welche hineingiengen, von mir so angesehen wur-
den, als wolle man sie darin ersticken,“ u. dergl. m.
§. 49.
Was die näheren Umstände betrifft, unter denen die Hallu-
cinationen vorkommen, so sind hier besonders folgende Momente
zu berücksichtigen.
1) Oertliche Krankheiten des betreffenden Sinnorgans können zur
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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/91>, abgerufen am 27.11.2024.
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